Aufforderung zur Deeskalation von FU-Spitze und Berliner Senat!


Aufarbeitung der Schwächen der FU-Leitung, Kritik am Polizeieinsatz vom 7. Mai und verstärkte inhaltliche Debatte zum Gaza-Krieg und zu einem vernünftigen Begriff von Antisemitismus!

Liebe Studierende und Kolleg:innen![1]

(1)Zum Dialog gehört, dass die Zuständigen im Präsidium auch zeitlich angemessen antworten; ich bin nach wie vor dafür, dass die Anzeigen wegen Hausfriedensbruch vom 14. Dezember alsbald zurückgenommen werden; es bedarf dazu einer neuen Entscheidung des Präsidiums.

Nach vielen Diskussionen in den letzten wenigen Tagen, mit Betroffenen, mit Dozenten unter anderem des Diensttagskreises, von denen viele hier sind und Vertretern der Universitätsspitze habe ich den Eindruck, dass dies erneut ernsthaft erwogen wird. Das wäre ein Schritt der Deeskalation.

(2) Der Polizeieinsatz vom letzten Dienstag war einer der brutalsten, die ich – ich bin Mitglied dieser Universität seit genau 60 Jahren – erlebt habe; es war ein Ausdruck der Eskalation. Das allerwichtigste ist, dass Vertreter der Universität, die zuständig sind und Einfluss nehmen können, vor Ort sein müssen und mit der Polizei besprechen, dass solche Eskalation in Gewalt nicht außer Kontrolle gerät; nach dem gegenwärtigen Stand sind zig Studierende nach glaubwürdigen Berichten vor allem vieler internationaler Studierender in einem mehrstündigen Zoommeeting nicht zuletzt durch Pepperspray in die Augen körperlich angegriffen worden und viele regelrecht traumatisiert.

Ich fordere die Universitätsleitung auf, sich das kritisch anzuschauen und Folgerungen im Sinne einer Deeskalation zu ziehen. Dafür gibt es an dieser Universität reichlich Erfahrung.

(3) Die Angriffe auf ein Statement von inzwischen über 1000 vor allem Dozentinnen und Dozenten an Berliner Universitäten durch Bild und die Bundeswissenschaftsministerin ist beispiellos und erinnert an die dunkelsten Zeiten der McCarthy Ära in den Vereinigten Staaten, eine kollektive Denunziation, die indirekt eine Aufforderung zur Gewalt enthält und der deswegen mit Beschwerden und Anzeigen begegnet werden sollte.

Der Bundeswissenschaftsministerin empfehle ich zu prüfen, ob sie ihrer Amtspflicht gerecht wird.

Die Universitätsspitze hat sich in diesem Fall zurecht vor die Mitglieder dieser Universität gestellt, ebenso die Hochschulrektorenkonferenz.

(4) Es ist sinnvoll, dass die Spitzen der Universität, also Präsidium, Akademischer Senat und Kuratorium, sich offensiv konkret und alsbald in unserer Universität um eine offene Debatte um den Gaza Krieg, den Nahostkonflikt und Antisemitismus bemühen und hierzu ein Angebot zum Dialog mit allen Mitgliedern dieser Universität machen. Es ist schade, dass dies nicht schon im November/ Dezember angemessen angegangen worden ist. Die Bereitschaft von sehr vielen auch Dozentinnen und Dozenten war da.

Einige Sätze zur Sache aus meiner persönlichen Sicht dazu: Die gesamte internationale Welt versucht mit immer größerem Druck auf die israelische Regierung und auf die Terrorgruppe Hamas, nach unendlichem Leid und völkerrechtswidrigen Handlungen endlich einen Waffenstillstand durchzusetzen. 

Ich sprach anlässlich einer Fernsehsendung mit meinem großartigen Kollegen, dem Historiker Moshe Zimmermann, der schlicht sagt und dies auch öffentlich immer wiederholt hat: Eine Lösung im Sinne etwa eines Waffenstillstands kann nur von außen kommen; das würde erlauben, dass die Spannungen innerhalb des Kriegskabinetts und der Regierung Netanjahu zunehmen und doch noch ein Waffenstillstand durchgesetzt werden kann.

Saul Friedländer, 91-jährig, der Israel mit aufgebaut hat und die vielleicht beste Darstellung zur Ermordung der Juden in Nazideutschland und zum Antisemitismus gemacht hat, hat uns alle in seinem „Blick in den Abgrund. Ein israelisches Tagebuch“, veröffentlicht im Herbst 23, vor der mit Rassisten durchsetzten Regierung Netanjahu als einer Regierung der Vernichtung und des Ungeheuers gewarnt und die anhaltende Diskriminierung von Palästinensern in der Westbank kritisiert.

Für mich bedeutet es: Es geht um Solidarität mit denen, die Leid erfahren haben: um die Befreiung der Geiseln und um ein Ende des Leids in Gaza. Es geht um Empathie, die hoffentlich die Basis all dieser sich gegeneinander richtenden Bewegungen ist. In den Worten der Schriftstellerin Lena Gorelik auf der Erinnerungsveranstaltung an die Befreiung von Ravensbrück:

„Ich stehe ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober hier, nach diesem Tag, den man eine Zäsur nennt. Ich stehe an einem Tag hier, an dem in Israel Menschen immer noch um ihre Angehörige in Geiselhaft bangen, und in Gaza Bomben fallen und Zivilbevölkerung hungert.“

Zum anderen: Es ist wichtig,  dass wissenschaftlich genauer erörtert wird, was unter Antisemitismus begriffen werden kann und was nicht. Bei der Bild und auch bei der Wissenschaftsministerin kommt da einiges durcheinander, zumal wenn deren weitreichenden denunzierenden Vorwürfe ohne genauen Bezug auf Personen und ihre Aussagen gleichsam kollektiv zugeordnet werden und dies dann auch noch bestraft werden soll. Wir sind noch in einer Demokratie, in der wissenschaftliche und politische Regeln verantwortlich beachtet werden müssen, und dies gilt erst recht für die Universität. Zurecht hat der in Bild angegriffene renommierte Antisemitismusforscher und Historiker Michael Wildt (HU) Beschwerde eingelegt, vorbildlich.

Wenn eine Polizeisprecherin zum Polizeieinsatz vom 7. Mai sagt, es habe antisemitische Parolen gegeben, ohne dies inhaltlich zu belegen und dies eine der Rechtfertigungen für den frühen Polizeieinsatz war, und dies dann in Windeseile von dem für die Stadt verantwortlichen Regierenden Bürgermeister ohne weitere eigene Begründung wiederholt wird, ist dies schlicht unverantwortlich. Der Vorwurf des Antisemitismus ist schwerwiegend und ist ein Akt der Verleumdung, wenn er nicht ausführlich begründet und mit einem Diskussionsangebot versehen wird, statt mit Bestrafung und Polizeieinsatz.

Auch der Verweis auf eine politisch durchgesetzte IHRA-Definition zum Antisemitismus ist unterkomplex und wird wissenschaftlich in der Jerusalemer Erklärung fundamental bestritten. Zur Debatte um eine angebliche BDS-Nähe des großartigen südafrikanischen Historikers Achille Mbembe und dem fälschlich vorgeworfenen Antisemitismus durch den derzeitigen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein habe ich – wie mein Freund, der Antisemitismusforscher Micha Brumlik – begründet in „Black Lives Matter in Deutschland“ 2022 unter dem Kapitel „Antisemitismus? Ein Beitrag zur Sache. Felix Kleins Agenda“ Stellung genommen und hierbei auch die israelische Politik in den besetzt gehaltenen Gebieten und schon damals gegenüber der Bevölkerung von Gaza kritisiert.

Ich denke an Cilja Harders und viele andere, die auch hier sind, zur Sache zu sprechen, das muss offen und öffentlich geschehen und ohne Rücksicht auf politischen Druck. Und es muss bald geschehen

(5) Damit komme ich zu meinem letzten Punkt: Nach den letzten intensiven Debattentagen habe ich die begründete Hoffnung, dass die Universitätsspitze im Sinne eines offenen Dialogs und im Sinne der Deeskalation sich öffnet und weitere Konsequenzen zieht und die Studierenden auch darauf setzen.

Geschieht dies nicht – wofür gegenwärtig noch mehr spricht – , sehe ich eine weitere Spaltung und eine weitere Eskalation auch in gewalttätigen Aktionen voraus und damit eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit dieser Universität sowie eine weitere keineswegs zielführende Verschärfung in Medien und der Berliner Politik.

Daher bitte ich, ja, fordere ich die Akteure – Studierende wie Universitätsverwaltung  – dringlich auf, das inzwischen angedeutete Angebot von sehr vielen Dozentinnen und Dozenten offensiv aufzugreifen und Gewalt auszuschließen (!) und die Universitätsspitze, nie einen Polizeieinsatz ohne genügende Begleitung und Kontrolle zuzulassen.

Und dies im Sinne einer solidarischen, offenen freiheitlichen Freien Universität.

(Hajo Funke, Berlin 16. Mai)


[1] Diskussionsbeitrag zur Kundgebung von Studierenden und Dozent:innen am Donnerstag, dem 16. Mai 2024 14:00 Uhr in der Otto von Simonstraße 27/gegenüber der Mensa. Schriftliche Version