Palästinensische Kinder: Feinde in Windeln


„Es besteht ein rassistischer, verzerrender Blick auf palästinensische Kinder. Das trägt dazu bei, ihr tausendfaches Sterben in Gaza hinzunehmen.

Es war eine Zeremonie der leisen Töne, als am vergangenen Sonnabend, dem Internationalen Tag des Kindes, in Berlin die Namen von mehr als 10.000 in Gaza getöteten Kindern verlesen wurden. Nebenan die Neue Wache; dort steht die Pietà von Käthe Kollwitz, die Skulptur der trauernden Mutter. Die Lesung dauerte 20 Stunden, bis nach Mitternacht. Es ist nicht leicht, die Namen toter Kinder vorzutragen, mitsamt ihrem Alter; ich habe es mir nicht zugemutet.

Nachdem ich später ein Foto der Zeremonie ins Netz gestellt hatte, gab es solche Reaktionen: Erstens sei dies der klassisch antisemitische Kindermord-Topos, zweitens seien die Toten keine Kinder, sondern heranwachsende Terroristen. Dass Kinder ein Kriegsgebiet nicht verlassen dürfen, stellt an sich eine Besonderheit dar. Die Flüchtlingslager der Welt sind voller Mütter mit Kindern, die bewaffneten Konflikten zu entkommen suchten; bei uns fanden zum Glück viele Ukrainerinnen mit Kindern Zuflucht.

Anders als die Ukraine ist das Gebiet von Gaza gänzlich von Kriegshandlungen durchdrungen. Auf einer Fläche, die etwas kleiner ist als das Stadtgebiet von Köln, irren seit acht Monaten eine Million Kinder und Jugendliche umher, davon 335.000 unter fünf Jahren. Dies sind Zahlen von UNICEF. Kinder sind ein Spiegel, in diesem wie in anderen Kriegen; ihr Leid spiegelt das Versagen der Verantwortlichen.“

(Auszug des Textes von Charlotte Wiedemann in der taz vom 6. Juni 2024: – Palästinensische Kinder: Feinde in Windeln – taz.de