Das Afghanistan-Desaster


„I´m going to say to the whole world – shame on you“ (Seraj Mahbouba)

Das Afghanistan-Desaster[1]

Von Vietnam bis Afghanistan, von Reagan bis Bush Junior  – Großmachtillusionen der US-Amerikanischen Rechten.  Eine Erinnerung an die Instrumentalisierung „westlicher Werte“

 von Hajo Funke, 22.8.21

Nach einem kurzen Befund über das gegenwärtige Desaster (in I) erinnere ich in eher ideologiekritischen Anmerkungen an die ideologische Fracht, mit der der Krieg gegen Afghanistan seit seinem Beginn nach dem Terrorangriff auf die Twin Towers in Manhattan beladen und überladen war.

II: In einem ausführlichen Blick zurück erinnere ich daran, dass nach der Niederlage in Vietnam radikalisierte Neokonservative und die US-Administration des republikanischen Präsidenten Ronald Reagan (1980-1988) Visionen militärischer Dominanz entwickelten. Das führte dazu, dass die USA mit Pakistan in den 80ern die Vorläufer der Taliban systematisch gefördert haben, ehe diese selbst sich in den 90ern die Macht holten !

III: Für den seit Beginn des Jahres 2001 amtierenden Präsident Bush junior war das Terrorattentat auf die Twin Towers vom 11. September 2001 zentraler Anlass für seine Weltmacht-Mission: gegen  die Achse des Bösen. Er verband damit rechtsgerichtete autoritäre Visionen seiner Republikanischen Partei für eine Dominanz der Vereinigten Staaten in der Welt mit radikalen Neokonservativen, die eine ähnliche weltweite Mission vertraten. Die Antwort auf 9/11 war der Angriff nicht nur auf die angenommenen Attentäter in Afghanistan, sondern auf das ganze Land unter der Herrschaft der Taliban.

IV: Dann folgte der Angriff auf den Irak. In den Kreuzzügen gegen die Achse des Bösen (Bush junior) kam  der Rolle des Irak (und dem Iran) eine zentrale Rolle zu, sodass alsbald nach dem Sieg über die Taliban Ende 2001 eine Umorientierung auf den für die Ideologen um Bush junior noch wichtigeren Kampf gegen den Irak angezettelt wurde und damit die Kräfte für etwa eine differenzierte kluge demokratische Entwicklung, das sogenannte Nation Building, in den Hintergrund getreten waren. Stattdessen dominierte u.a. von Robert Kagan geprägte Ideologie absoluter militärisch gestützter Dominanz, der ich vertiefend in (V) zur Analyse der ideologischen Antreiber nachgehe.

VI. Diese sehr ähnlichen Muster eines eng gefassten militärischen Siegs waren zentrale Gründe für das Scheitern der Afghanistan- wie der Irak-Mission und legen einige Fragen und Konsequenzen einer anderen internationalen Verantwortungsethik zur Eindämmung von Gewalt und Terror nahe.


I.Das Desaster, der Verrat und der Rücktritt der Zuständigen. Deutschlands Saigon in Kabul. August 2021

Alle Kenner von Thomas Ruttig bis Winfried Nachtwei haben vor der inneren Hohlheit der afghanischen Streitkräfte und der gänzlich korrupten Regierung in Kabul gewarnt. Vor allem: das Rückgrat des gesamten militärischen Einsatzes war die Präsenz der US-Amerikaner: Die afghanischen Soldaten hatten, so US-General Petraeus [2], keine Chance – erst recht nach dem überstürzten Entscheid der internationalen Besatzer, Afghanistan nach dem von Donald Trump mit den Taliban im April 2020 verabredeten Abzugsentscheid, ohne weitere Vorsorge zu verlassen.

Die Experten warnten davor, dass eine von Anfang an brutale Besatzungspolitik der Vereinigten Staaten, zunächst unter Bush junior, alles andere taten als eine demokratische Entwicklung auf gleicher Augenhöhe zu fördern.
Vor weit über einem Jahrzehnt erzählten uns in unserem Flüchtlingshilfe-Verein Afghanen und Iraner, dass die amerikanischen Streitkräfte viel zu oft nur auf ihre Waffen setzten und kein Konzept hatten, vor Ort die von ihnen hochgehaltene nation building zu betreiben. Das versuchten die deutschen Kräfte immer wieder – vom Brunnenbau bis zur Förderung der Schulen – , aber sie wurden von der nächsten großen Bombardierung wieder düpiert. Man hatte schon vor 15 Jahren vor den gegenläufigen Ansätzen gewarnt, im Wissen, dass die Vereinigten Staaten in dieser Weise – ganz ähnlich und ähnlich katastrophal im Irak zur gleichen Zeit (vgl Funke 2006: Gott Macht Amerika) – die Besatzung dominierten. Hinzu kam eine ideologisierte und auch arrogante Haltung des für den Krieg verantwortlichen Präsidenten Bush junior. Er war wie im Irak für eine fehlgeleitete Kriegs- und Besatzungspolitik zuständig. (Dies gehörte zu den Gründen, warum Obama und Biden vor 10 Jahren den Einsatz in Afghanistan reduzieren wollten.)

Der vielleicht überzeugendste Fachpolitiker zum Afghanistan-Einsatz, der ehemalige Grünen-Abgeordnete (1994-2009) Winfried Nachtwei, sprach anders als sein damaliger Fraktionskollege Joschka Fischer – schon Mitte der tausender Jahre von einem Einsatz voller Fehler. Im Juli 21 schreibt in seinem Blog www.nachtwei.de: „Drei Lehren (sind) aus dem Einsatz (zu) ziehen. Erstens: Von Anfang an müssen bei Kriseneinsätzen fundiertes Konfliktverständnis, politische Konfliktlösung und local ownership höchste Priorität haben. Daran mangelte es beim internationalen Afghanistaneinsatz. Vor allem die USA blockierten lange Verhandlungen mit den Taliban. Zweitens: Solche Krisenengagements im Auftrag der Vereinten Nationen brauchen eine kohärente Strategie mit realistischen, überprüfbaren Zielen und ausgewogenen Fähigkeiten, also viel mehr zivilen Kräften. Wirkungsorientierung muss an die Stelle von Symbolpolitik treten und darf nicht immer wieder innenpolitischem Opportunitätsdenken zum Opfer fallen. Drittens: Eine Politik, die für gemeinsame und menschliche Sicherheit wirken will, muss als Erstes dem üblichen Trend widerstehen, dass mit einem Truppenabzug erst die mediale Aufmerksamkeit, dann auch jede internationale Unterstützung schwindet. Politisch dranbleiben ist die dritte Lehre. Das gilt gerade jetzt! (…) Afghanische Ortskräfte, die für deutsche Ministerien gearbeitet haben, dürfen nicht im Stich gelassen und ihren Verfolgern ausgeliefert werden. Sie sollten in Deutschland Aufenthalt erhalten. Überfällig ist, die Wirkungen des Einsatzes und nationaler Beiträge unabhängig, akteursübergreifend  und selbstkritisch zu analysieren.“   Nach Nachtweis Einschätzung in der ARD vom 16. August 2021 war die Moral kaputt, die Loyalität kaum existent, die Verluste hoch und in Kabul Korruption und Vetternwirtschaft. Am Ende ist das Scheitern auch „Deutschlands Vietnam“. (FAZ, 16.8.21)

Die schräge Erklärung des jetzigen US-Präsidenten, man habe die Terrorgefahr ja gebannt und sei mit sich zufrieden, bestätigt auf ungewollte Weise die Ursache des Scheiterns des gesamten Afghanistan-Einsatzes: es ging nicht in erster Linie um die Bevölkerung, oder um die Demokratie, auch wenn das immer wieder behauptet wurde, sondern um die Bannung einer für das Inland vermeintlichen oder realen Terrorgefahr mit einem vor allem militärischen Besatzungskonzept. Das war der zutiefst falsche Kern des sogenannten „Kriegs gegen den Terror“.

Wäre man den Berichten von Flüchtlingen wie den NGO-Mitarbeitern und den klugen Experten wie Thomas Ruttig und Winfried Nachtwei gefolgt, wäre die Überraschung der internationalen Gemeinschaft (Heiko Maas) nicht denkbar gewesen. Nein, es war die wiederholte und damit bewusste Abblendung der absehbaren Schieflage, und das, nachdem zunächst Trump, und nun Biden nur noch den Abzug im Auge und deswegen jede Einflussnahme selbst aufgegeben hatten.

Dennoch sich überrascht zu geben, gleicht einem bewussten Zynismus gegenüber den Afghanen, für die man durch die Besatzung selbst verantwortlich ist, ebenso gegenüber den deutschen Soldaten. Mit diesem bewussten Abblenden ist jeder vernünftige Schutz von ehemaligen Mitarbeitern, Ortskräften, NGO-Mitarbeitern, ja der gesamten an einer Entwicklung Afghanistans interessierten in den letzten Monaten ebenso bewusst blockiert worden. Vor allem ist es ein Verrat an der afghanischen Bevölkerung. Dem korrespondiert die Tatsache, dass obwohl zugesagt, kaum ein Visum für Ortskräfte ausgestellt worden ist, man womöglich im Blick auf Rechtsextreme in Deutschland den Ausweg für die Ortskräfte erschwert hat. Das wäre ein unglaublicher Kotau vor der AfD. Man hat sich wochenlang geweigert zu evakuieren. Jetzt ist es für sehr viele zu spät. Der gegenwärtige Innenminister war sich nicht zu schade, noch vor wenigen Wochen für Abschiebungen nach Afghanistan zu plädieren. Deutsche Bürokraten in hohen Ämtern haben sich als menschenfeindlich erwiesen; sie nahmen mit ihrer kleinlichen Blockade die Gefährdung von ihrem Schutz Anvertrauten in Kauf; sie haben sie verraten.[3]  

Die für „Deutschlands Vietnam“ (Kohler/FAZ) Zuständigen, die Verteidigungsministerin, der Außen- und der Innenminister sollten zurücktreten und die Geheimdienste zur Verantwortung gezogen werden.

Es wäre billig, erst recht im Wahlkampf ohne weiteres Nachdenken über das doppelte Desaster in Afghanistan und im Irak für mehr Rüstung im Kampf um westliche Werte zu plädieren.

II.Blick zurück: Visionen militärischer Dominanz in den 80ern und die Förderung der Vorläufer der Taliban im Kampf gegen die SU                                                                                                    

Der Irrsinn der 80er Jahre: Die USA haben radikale Islamisten großgezogen, die sie wenig später als Taliban bekämpften.[4]

Das Vietnam-Trauma

Die erste politische Formierung einer radikalen neokonservativen Bewegung war schon im Zuge der Auseinandersetzungen der 1960er Jahre entstanden. Personen wie Norman Podhoretz, Nathan Glazer oder Irving Kristol kritisierten vehement die libertären Werte ihrer Zeit. Sie richteten sich gegen die Protestbewegungen, gegen vermeintlich zuviel Sozialstaat und (zum Teil auch in scharfer Form) gegen die Versuche, rassistisch tradierte Ungerechtigkeiten durch Sozialprogramme abzumildern. Linksliberale und Linke galten für sie als „antiamerikanisch“ (Midge Decter). Vor allem aber war es der Vietnam-Krieg, den neokonservative Autoren wie Norman Podhoretz heftig gegen Kritiker wie Hannah Arendt oder Stanley Hoffman als „unseren“ Kampf gegen den Kommunismus verteidigten (vgl.  Podhoretz: 1982)

Für Neokonservative war es eine Konsequenz des Vietnam-Krieges, US-Dominanz mit militärischer Gewalt zu propagieren. Große Teile des konservativen Amerikas haben sich mit der Niederlage in Vietnam nie abgefunden. Das Scheitern dort wird bis heute als nationale Tragödie wahrgenommen. Es war die erste militärische, politische und ethische Niederlage der damals, in politischen Zeiträumen gedacht, relativ neu zur Weltmacht aufgestiegenen Vereinigten Staaten. Im Verlauf des Krieges verglich man das militärische Engagement in Vietnam mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg. Ein Rückzug aus dem Land wurde mit dem Appeasement gegenüber Hitler 1938 assoziiert. Die Niederlage erfolgte nach dem Tod von über zwei Millionen Vietnamesen und 58.000 amerikanischen Soldaten (vgl. Marc Frey 2002). Die Bilder der Brutalisierung dieses Kriegs gingen dank engagierter Journalisten und Medien um die Welt. Was an moralischer Emphase zur Begründung des militärischen Engagements vorgebracht wurde, kehrte sich im Lauf des Krieges gegen die Vereinigten Staaten: Art und Ausmaß eines Krieges, der in seinem Einsatz gegen Zivilisten die Genfer Konventionen verletzte, wurden auch in der amerikanischen Öffentlichkeit moralisch diskreditiert. 1972 machte ein Vietnam-Soldat vor dem Untersuchungsausschuss eine Aussage, die bis heute die Gesellschaft spaltet. Noch 30 Jahre später, im polarisisierten Wahlkampf 2004, verkörperte dieser Soldat sowohl das militärische Engagement der Soldaten wie die tiefe moralische Erschütterung über das Versagen der amerikanischen Truppen – Bushs Gegenkandidat John Kerry.

Die „Wunde Vietnam“ und die alles überschattende Wahrnehmung, durch den Kommunismus bedroht zu sein, waren zwei der entscheidenden Gründungsmythen der (neo-)konservativen Ideologie. Inneramerikanische Kritik galt ihren Protagonisten als selbstgeschaffene Schwächung und als Verrat an den USA, als „antiamerikanisch“. Sie sahen sich und ihr Land in einem dauernden hochmoralischen Kampf, der ihnen in den folgenden Jahrzehnten ihre Moral diktieren sollte. Für sie ging es um einen Sieg über die Sowjetunion. Dies gehörte zu den ursprünglichen fundamentalen Übereinkünften des Neokonservatismus,die Intellektuelle wie Irving Kristol, Norman Podhoretz, Midge Decter, Samuel Lipset, Daniel Bell, Nathan Glazer, Michael Nowak und Jeane Kirkpatrick formulierten. Sie sahen sich als nach rechts „Konvertierte“ (Glazer). Sie organisierten in den 1970er Jahren mit riesigen finanziellen Zuwendungen in den heute bekannten und renommierten Think-Tanks, wie dem American Enterprise Institute (hier saßen William Kristol, Samuel Huntington, Elliot Cohen im Beirat), der Heritage Foundation oder dem Ethics and Public Policy Center sowie den Magazinen The Public Interest, Commentary, Policy Review, Weekly Standard und dem National Interest ihre Plattformen für ihre Theorie-, Ideologie- und Bewegungspolitik. Mitte der 1970er Jahre revitalisierten sie das 1950 gegründete Committee on the Present Danger (CPD). Es wurde zur Lobbygruppe, um das Containment als außenpolitische Doktrin und eine Politik der Stärke gegen die Antikriegspolitik der Demokratischen Partei durchzusetzen.

In den 1980ern fanden sie in Ronald Reagan einen Kooperationspartner, der ihren außenpolitischen Interessen entsprach. Reagans Wahlsieg 1980 war auch Resultat der Kampagnen der religiösen Rechten, der Moral Majority Jerry Fallwells. Öffentlich vermied es Reagan zwar, sich allzu sehr mit der religiösen Rechten zu liieren, aber da seine Weltsicht und sein strategisches Denken zu großen Teilen die Ansichten der Neokonservativen reflektierte und er sich mit neokonservativen Denkern und Schreibern umgab, kamen diese entschiedenen Überzeugungstäter – insbesondere aus dem Committee on the Present Danger – in Regierungsfunktionen (vgl. Diamond 1998: 198), unter anderem Jeane Kirkpatrick als UN-Botschafterin, Richard Perle als ehemaliger Mitarbeiter des Senators Henry Jackson im Verteidigungsministerium in der Funktion eines Unterstaatssekretärs, Elliot Abrams, ein weiterer Vertrauter von Jackson als Unterstaatssekretär für Menschenrechte und später zuständig für Lateinamerika und die Unterstützung der Contras, Max Kampelmann für Rüstungsfragen und Richard Pipes als Sowjetexperte für den nationalen Sicherheitsrat (vgl. ebd.).

Die religiösen und neokonservativen Rechten unter Reagan mit an der Macht.

Ronald Reagan hatte bei aller ihm zugesprochenen persönlichen Flexibilität ein klares Schwarz-Weiß-Bild in der internationalen Politik. Er sah im „Reich des Bösen“ (Reagan), der Sowjetunion, seinen außenpolitischen Feind. Die Unterstützung ihrer Feinde – auch durch „schmutzige Kriege“, etwa in Zentralamerika oder in Afghanistan – betrachtete er als seine zentrale Aufgabe. Christian Tuschhoff (1990) rekonstruierte nüchtern die konservative Philosophie der damaligen Administration und kam zu dem Schluss, dass Ronald Reagan sich als politisch-religiösen moralischen Führer und seine Mission in der moralischen Aufrüstung sah (vgl. Tuschhoff 1990: 43). Moral war für Reagan direkte Grundlage von Politik. Innerhalb seines Wertesystems spielte der Glaube an Gott als konstantes Element der Gesellschaft eine zentrale Rolle. Zwar sei, so Reagan, der Staat unwiederruflich säkularisiert, die Mitglieder der Gesellschaft aber handelten seiner Ansicht nach auf der Basis religiöser Grundsätze (ebd.: 44). Reagans internationale Politik war von militärischer Stärke gekennzeichnet, mit der das „Reich des Bösen“ niedergerungen werden sollte, und von nahezu „fundamentalistischen“ ethischen Wertmaßstäben geprägt. Für ihn bedeutete Frieden nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern die Erhaltung des gesamten amerikanischen Werte-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Sein Verständnis von Frieden und Sicherheit sei „nicht kompromissfähig, sondern missionarisch“ (ebd.: 45) und kaum von demokratischem Pluralismus oder Kooperation bestimmt gewesen. Frieden, Freiheit und die Vereinigten Staaten selbst waren in Reagans Weltsicht ein und dasselbe. Das höchst moralisch aufgeladene Verständnis von Politik begünstigte sein Denken in Schwarz-Weiß- und Freund-Feind-Kategorien. Dieser Weltsicht entsprach sowohl bei Ronald Reagan wie auch bei seinem Verteidigungsminister Caspar Weinberger die Vorstellung, dass die Sowjetunion expansionistisch nach Weltherrschaft strebe. Das der Reagan-Doktrin zufolge absolut menschenfeindliche, verwerfliche und böse System bedürfe der Radikalisierung westlicher Konkurrenz, der Eskalation und der Konfrontation in einer Politik der Stärke auch mit den besten, modernsten Rüstungstechnologien (vgl. ebd.: 159). Reagan ging davon aus, dass die Sowjetunion nicht nur eine totalitäre Gewaltherrschaft ausübe, sondern auch ein Regime sei, das seine außenpolitischen Interessen frei von jedweden innen- und außenpolitischen Einschränkungen und Rücksichtnahmen verfolgen könne. Die damaligen Mitglieder seiner Administration, Caspar Weinberger und Richard Perle, bezeichneten die militärische Gewalt als einzige Grundlage der politischen Strategie und der Herrschaft der sowjetischen Führungselite. Konflikt und Gewalt würden in der Sowjetunion als natürliche Regulatoren aller menschlichen Beziehungen betrachtet (vgl. ebd.: 229). Der totalitäre sowjetische Polizeistaat unterscheide sich kaum von Hitlers Nazi-Deutschland. Der Staat stehe über allem. Alles sei dem Streben nach internationaler Hegemonie durch Gewaltherrschaft untergeordnet (vgl. ebd.).

Der politisch-religiöse Fundamentalismus „erlaubte“ es der Reagan-Administration, mit allen Mitteln eine vermeintlich existentielle Gefahr zu bannen. Sie sah sich als „verfolgter Verfolger“, der, wie es in Adornos „Studien zum autoritären Charakter“ heißt, jede noch so grausame Handlung damit rechtfertigt, dass sie in präventiver Notwehr begangen worden sei, um nicht selbst vernichtet zu werden. Um der tödlichen Gefahr entgegenzuwirken, scheint alles legitim. Im Kampf des Guten gegen das Böse muss das Gute überleben. Wie verankert dieses autoritäre Denken war, wird daran sichtbar, dass es der Administration zunächst sehr schwer fiel, sich auf die Reformstrategie Gorbatschows einzustellen. Später gehörte Richard Cheney zu den ideologischen Erbverwaltern Reagans in der Bush-Administration – auch er konnte damals nicht denken, Gorbatschow könnte es ernst gemeint haben. Vielmehr hatte er darauf beharrt, dass die Sowjetunion weiterhin militärische Macht für das entscheidende politische Durchsetzungsmittel halte. Einen grundsätzlichen Wandel der sowjetischen Politik erwartete die Administration nur dann, wenn die Wesens- und Funktionsmerkmale des Systems verändert würden. Richard Burt, ehemaliges Mitglied der Reagan-Administration, der den Deutschen seinerzeit zwecks besserer Kooperation mit Amerika eine konservative Regierung empfahl, vermutete damals, bei Gorbatschows Reformen handele es sich nur um taktische Maßnahmen. Paul Nitze hatte bereits vor Gorbatschows Amtsantritt bezweifelt, dass es überhaupt je einen inneren Reformprozess in der sowjetischen Gesellschaft hin zu einer gerechten Ordnung geben könne (vgl. ebd.: 267). Tatsächliche Veränderungen wurden stattdessen zwanghaft in das Feindbild der Reagan-Administration eingepasst.

Manichäisches Weltbild und „low intensity warfare”: Reagan. Rumsfeld. Cheney. Weinberger

Die Reagan-Administration blieb ihrem ideologischen Schwarz-Weiß-Denken verhaftet und sah sich im Kampf um Hegemonie trotz der Beschwörungen der Prinzipien von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten „genötigt“, mit „gleicher Münze“ zurückzuzahlen: „Ein politisches System, das in seinem Aufbau auf totalitärer Herrschaft beruhte, konnte ihrer Ansicht nach von außen auch nur mit totalitaristischen Methoden wie Zwang, Drohung und Bestrafung beeinflusst werden.“(Tuschhoff 1990: 85).

Die Reagan-Doktrin war die Antwort von Neokonservativen, fundamentalistischen Christen und der Rechten auf die „Gefahren“ des Multilateralismus unter Jimmy Carter, die als bittere Niederlage erlebte Vietnam-Katastrophe, das Drama um Watergate, die sozialen Umbrüche und die Kränkung durch die Geiselaffäre von Teheran 1979/1980. Dabei hatte das Reagan-Wahlkampfteam mit dafür gesorgt, dass die Lösung der Geiselaffäre verzögert wurde. Reagan war ihnen ein Retter, der die narzisstische Kränkung durch einen neuen Mythos von Stärke und vermeintlicher Unverwundbarkeit zu überspielen verstand. Und dies nicht zuletzt durch eine Strategie der Eskalationen und der Spannungen. Trotz oder wegen Vietnam und Watergate ist der Kampf gegen den Feind, den Kommunismus, noch forciert worden, als dieser klar erkennbar endgültige Erschöpfung signalisierte. War es in den 1970er Jahren die Unterstützung des Putsches gegen den rechtmäßig gewählten chilenischen Präsidenten – so im darauffolgenden Jahrzehnt die Unterstützung der Contras in Nicaragua, die Einmischung in die Innenpolitik der Länder Afrikas und Südostasiens (Indonesien, Philippinen), die Affäre um den Politiker und Rauschgifthändler Norjega in Panama (für Cheney das Skript für den Irak-Krieg) und nicht zuletzt die Unterstützung der Mudjahedin in Afghanistan als (eingestandenem) Racheakt an den Sowjets für Vietnam.

                                                                                   „Diese Bastarde müssen bezahlen.“ (Casey)

Afghanistan – Schon in den 80ern Instrument im geopolitischen Spiel der großen Mächte [5]                                                          Oder die vom Westen betriebene Radikaliserung der Gotteskrieger – im Namen „westlicher Werte“

Die Neokonservativen teilten nicht nur die politische Haltung des neuen Präsidenten Reagan, sondern sahen auch Chancen, an der Macht zu partizipieren und ihre ideologischen Überzeugungen umzusetzen. Dies gilt neben der Bekämpfung der Revolution in Nicaragua durch die Contras, vor allem für ihren Kampf gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan. Dieser diente keineswegs nur der Befreiung der afghanischen Bevölkerung, sondern war ein Mittel ersten Ranges, über die Sowjetunion den endgültigen Sieg davonzutragen. Für manche sollte es ein „sowjetisches Vietnam“ sein. Reagan und die CIA ließen Anfang der 1980er Jahre mit (fundamentalistischen) Mudjahedin einen (fundamentalistischen) Kampf gegen das sowjetische „Reich des Bösen“ auf stellvertretendem Territorium führen.

Mohammed Yousaf war als Brigadegeneral in den entscheidenden Jahren zwischen 1983 und 1987 vom pakistanischem Geheimdienst (dem ISI: Inter-Services-Intelligence) in Kooperation mit dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA beauftragt worden, die vier radikalsten islamistischen Mudjahedin-Gruppen im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan zu unterstützen. Er war für Logistik und Ausbildung zuständig und in diesem Zeitraum für die Ausbildung von ca. 80.000 Mudjahedin verantwortlich. Es lag sowohl im Interesse des radikal islamistischen Präsidenten Pakistans, Zia-ul-Haq, wie auch in dem des vor allem finanziell kooperierenden Chefs des saudiarabischen Geheimdienstes, des bis 2001 aktiven Prinzen Turkie, radikal-islamistische Gruppen in Afghanistan und im angrenzenden Zentralasien zu unterstützen, um so dem Kampf Pakistans um Kaschmir strategische Tiefe zu verleihen.Die Instrumentalisierung von Freiheitskämpfern wie Mohammed Yousaf für die eigene nationale Sache, nämlich in Afghanistan die „Scharte für Vietnam auszuwetzen“, produzierte jenen Terror mit, dem 20 Jahre später der „Kampf gegen das Böse“ galt und dessen Scheitern wir 40 Jahre danach konfrontiert sind.

Im Interesse der US-amerikanischen Reagan-Administration und ihres CIA-Direktors William Casey aber lag es, den zur gleichen Zeit ausgerufenen Kampf (1983) gegen das sowjetische „Reich des Bösen“ auch mit nebendemokratischen, nichtrechtlichen und geheimdienstlichen Mitteln – mit den Mitteln des Feindes – zum Erfolg zu führen. Die Logik der Amerikaner und vor allem der CIA bezüglich des Krieges in Afghanistan war dem Geheimdienstbeauftragten Yousaf zufolge einfach: „Die Sowjets unterstützten damals die Vietkong mit Material, damit diese die Amerikaner bekämpfen und besiegen konnten, während die USA dasselbe tun würden, um die Mudjahedin in ihrem Kampf gegen die Sowjets zu unterstützen“(Yousaf/Adkin: 1992: 60).

Zu den Enttäuschungen des religiös engagierten Geheimdienstlers gehörte es, dass die US-Amerikaner ab 1988 – nach dem Abzug der Sowjets und damit dem Sieg über die Sowjetunion – seine Mudjahedin daran hinderten, Kabul zu besetzen. Erst zu jenem Zeitpunkt erkannte er, dass sie – wie er selbst – nur Instrument im großen Spiel gegen das „Reich des Bösen“ waren. Die US-Amerikaner und die CIA hatten sich durch die Kooperation mit dem pakistanischen Geheimdienst mit einem Regime unter Zia-ul-Haq verbunden, das unter Kriegsrecht stand, von einem rücksichtslosen Diktator geführt wurde, der kurze Zeit zuvor (1979) seinen innenpolitischen Gegner Zulfiquar Ali Bhutto hatte hängen lassen. Zia-ul-Haq war es nicht gelungen, den paschtunischen Nordwesten Pakistans unter Kontrolle zu bekommen. Die Paschtunen leben diesseits und jenseits der Grenze zu Afghanistan, welche einst willkürlich von der britischen Kolonialmacht gezogen worden war. Pakistan war und ist ein Land, das kaum eine andere als eine negative, nämlich muslimisch-nationalistische, gegen Indien gerichtete Mythologie aufweist. Es ist – auch als Resultat des britischen Kolonialismus – in einem Zustand extremer Armut mit einer dünnen reichen Oberschicht, was ein außergewöhnliches Maß an innerer Gewalt produziert. Während der 1980er Jahre war die Außenpolitik der Reagan-Administration nicht nur mit den nicht geteilten Zielen der Mudjahedin verquickt, sondern auch mit einem höchst labilen autoritären, ja brutalen pakistanischen Regime – im Dienste der Bekämpfung der Sowjetunion. Innerhalb weniger Jahre, spätestens nach dem Einsatz der Stinger-Flugabwehrraketen 1986 und der Rede Gorbatschows von der „blutenden Wunde“ Afghanistans war dieser Guerillafeldzug erfolgreich. Aber noch 1987, also zur Zeit der Reformära Gorbatschows, hat die Reagan-Administration zusammen mit dem pakistanischen Geheimdienst Guerillaangriffe auf die sowjetischen Republiken Tadschikistan und Usbekistan mitorganisiert, um so die sowjetischen Truppen zu schwächen. Im März 1987 überquerten Einheiten des radikalen Islamisten Gulbuddin Hekmatyar den Grenzfluss nach Tadschikistan und starteten Raketenangriffe auf Dörfer in jenem Land, das im späteren Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Neokommunisten von 1992 bis 1997 über hundertfünfzigtausend Tote zu beklagen hatte (vgl. Rashid 2001: 221f.)

35.000 radikalisierte Muslime folgten dem Aufruf des pakistanischen Geheimdienstes nach Afghanistan

Ebenfalls Ende der 1980er Jahre duldete der Westen einen weltweiten Aufruf des pakistanischen Geheimdienstes, um radikale Muslime zu rekrutieren. 35.000 radikalisierte Muslime aus insgesamt 43 Ländern kamen – einige Jahre später wurden sie zum Gegenstand des weltweiten Kriegs gegen den Terrorismus (vgl. ebd.: 223). Zu ihnen stießen Usama bin Laden und seine Mitstreiter aus zahlreichen Ländern der islamischen Welt. In Algerien werden sie später als GIA ein autoritär regiertes Land destabilisieren, die einst moderate islamische Bewegung desavouieren und schließlich das autoritäre Regime zum Bürgerkrieg mit mehr als 70.000 Toten treiben (vgl. Hasel 2002). In Kaschmir waren sie an der Eskalation der Spannungen zwischen Indien und Pakistan mitbeteiligt (vgl. Rashid 2001: 234).

Neuformierung der rechten Bewegung durch die zweite Generation. Die Clinton Jahre

Für Neokonservative waren die Jahre der Reagan-Ära erfolgreiche Jahre für die Neokonservativen innerhalb der Administration auch eine erste Zeit praktischer Erfahrung, nicht zuletzt in der Außenpolitik. Doch mit der Wende zu den 1990er Jahren hatte sich die außen- und innenpolitische Konstellation für sie völlig verändert. Im älteren George Bush, den sie als Reagans Vize kennengelernt hatten, sahen sie keinen gleichgesinnten Alliierten. Teilweise überwinterten sie wie Richard Cheney und Donald Rumsfeld während dieser Übergangszeit zur Präsidentschaft Clintons noch innerhalb der Administration – teilweise auch damals schon außerhalb, als Mitarbeiter von Institutionen, Publikationen und den von ihnen gegründeten Stiftungen, den rechten Think-Tanks.

Womöglich hateine zweifache Verjüngung,die Minkenberg (1998: 145) beschrieben hat, diese neue Koalition „erleichtert“. Es ist die zweite Generation, die nun zum Beispiel als Mitarbeiter der Zeitschrift The New Republic (Charles Krauthammer, Leon Wieseltier, Martin Peretz) von sich reden machte. Sie durchliefen nicht den Konversionsprozess der ersten Generation, sondern sind „born and raised neoconservative“. Zum anderen formierte sich insbesondere um die Zeitschrift Weekly Standard, finanziert von Rupert Murdoch, die „echte“, biologische, zweite Generation der Söhne, William Kristoloder John Podhoretz. Zu dieser biologisch zweiten Generation zählen auch Daniel Pipes und David Brooks. (vgl. im folgenden Mylius/Jaenicke). Was diese damals jungen Männer der zweiten Generation versuchten, war eine radikalisierte Wiederholung der Aktivitäten der Väter mit einem geänderten, ihrer Zeit angemessenen Feindbild. Mitte der 1970er Jahre hatten sie das Committee on the Present Danger wiederbelebt – 20 Jahre später rief William Kristol das schon erwähnte Project for the New American Century ins Leben und forderte die Rückkehr zu einer robusten Außenpolitik im Stile Reagans. So kam es zur Imitation einer in Amerika stets mobilisierbaren Tradition der Beschwörung großer unkontrollierter, ja, apokalyptischer Gefahren, der „Gefährlichkeit der Welt“ (Vgl mein Interview mit Kristol), der innenpolitischen Sicherung konservativer Werte sowie der Beschwörung der Stärke Amerikas.

Trotz oder wegen des Erfolgs, der mit dem Fall der Sowjetunion verbunden war, kam es zu einer anhaltenden Kooperation der Neokonservativen mit einer nun mehrheitlich durch die religiöse (weiße) Rechte geprägten Republikanischen Partei. Das war für manche von ihnen, wie Michael Lind, Anlass, sich zurückzuziehen und dieses „zynische“ Kooperationsverhältnis öffentlich zu kritisieren (vgl. Interview mit Michael Lind am 18. Oktober 2003 in Washington).

Republikanische Partei wie Neokonservative sahen sich während der Präsidentschaft Clintons in Opposition zur etablierten amerikanischen Innen- und Außenpolitik und drängten auf eine Radikalität in der Außenpolitik wie unter Reagan, nun vor allem für die nah- und mittelöstliche Krisenregion. In den Jahren dieser Auseinandersetzung formte sich das neokonservative Konzept einer imperialen Außenpolitik, ausgerufen zu Gunsten der Ausbreitung von Demokratie, Wohlstand und Frieden. Wolfowitz, Perle, Kristol und andere warben mit wachsender öffentlicher Präsenz für eine solche neo-reagansche Außenpolitik, und formulierten sie seit 1997, eheihre Konzepte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Jahr 2002 als Bush-Doktrin zur offiziellen Außenpolitik erklärt wurden und schließlich 2003 in einem ersten „Test“, im Krieg gegen den Irak, umgesetzt werden sollten.

III. Blick zurück 2: Bushs Ideologie, 9/11 und der Krieg gegen Afghanistan[6]

Erlösung durch Krieg ? Die politisch-religiöse Ideologie von George W. Bush

Unter Bush Jr. ist die christliche Rechte zusammen mit den Neokonservativen zu einer entscheidenden Einflussgröße geworden – und zwar sowohl in der inneren wie in der auswärtigen Politik. „Nie zuvor gab es eine derartig „rechtslastige“ Administration, nie zuvor eine solche Nähe der Christlichen Rechten zur politischen Macht in Washington“ (Minkenberg 2003: 29). Dies gilt in der Innenpolitik: bei Fragen der Religion und von Familie und Erziehung, aber auch in der Außenpolitik, in welcher die Bush-Administration in drei zentralen Bereichen im Sinne der Christlichen Rechten operiert: „in ihrem nationalistischen Unilateralismus, in der Nahost-Politik und im Kampf gegen den Terrorismus“ (ebd. 30). Stärker als andere Regierungen glaubte diese an eine politisch-religiöse Mission Amerikas, in der amerikanische Werte mit universellen gleichgesetzt werden. Auch wenn alle Präsidenten der USA sich bisher in ihren Reden auf Gott berufen und um seinen Segen gebeten haben, so schien Präsident George W. Bush weit mehr als seine Vorgänger von seinen religiösen Überzeugungen geleitet zu sein, die ihm zugleich als Leitfaden für seine Politikkonzepte dienen. In der Rhetorik der Bush-Administration verbanden sich christlich-religiöse wie säkulare zivilreligiöse Vorstellungen zu einer Dichotomie von Gut und Böse, besonders nach dem 11. September, die in einen new exceptionalism (Stanley Hoffmann) münden.

Bush´s religiös-fundamentalistische Rhetorik schloss von Anfang an Elemente von Endzeitstimmung und Apokalypse ein: Bush schon in seiner Inaugurationsrede am 20.1.2001:

…wir sind geleitet von einer Macht größer als wir selbst, die uns nach ihrem Angesicht erschaffen hat.“ (…) „Nachdem die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet war, schrieb John Page, Staatsmann aus Virginia, an Thomas Jefferson: „Wir wissen, dass dieses Rennen ist nicht dem Flinken gehört und diese Schlacht nicht dem Starken. Glauben Sie nicht, dass ein Engel den Wirbelwind reitet und den Sturm dirigiert?“ (…) Viel Zeit ist vergangen, seit Jefferson zu seiner Inauguration eintraf. Die Jahre und Wechsel sind angewachsen. Aber die Themen dieses Tages würde er kennen: Die große Geschichte der Tapferkeit unserer Nation und ihr einfacher Traum von Würde. Diese Arbeit dauert an. Diese Geschichte schreitet weiter. Und immer noch reitet ein Engel im Wirbelwind und dirigiert diesen Sturm. – Gott segne Sie alle und Gott segne Amerika.“ (20.Januar 2001, Inaugurationsrede).

In „göttlicher“ Mission

Der im Januar 2001 vereidigte neue US-Präsident Bush junior aber sah sich seit dem Attentat vom 11. September 2001 auf einer göttlichen Mission gegen das Böse. Der Krieg gegen Afghanistan hatte ihn zu einem „Kreuzzügler“ gemacht, so David Frum, zeitweiliger Redenschreiber Bushs.

Seine Metaphern waren von einem polaren Weltbild durchzogen, das seine zweifellose Entschiedenheit noch zu stärken schien: Das Gute gegen das Böse, das Göttliche gegen das Satanische, die „Koalition der Willigen“ gegen die „Achse des Bösen“. Ein missionarisch-manichäischer Duktus findet sich nicht nur in den State of the Union Addresses, in Parteitagsreden und der oben zitierten Ansprache unmittelbar vor dem Irak-Krieg, sondern auch in seiner Berliner Rede vor dem Deutschen Bundestag, in der er die neue Bedrohung als eine totale begreift und den Feind als satanisch bezeichnet: „Wir stehen vor einer aggressiven Kraft, die Tod verherrlicht, (die) Mittel für ihre Zwecke sucht, (um) Mord in großem Maßstab zu verüben“.Die Terroristen des 11. September haben für Bush, wenn man seiner Wortwahl folgt, weniger eine konkrete politische oder eine symbolische Botschaft, sie zielten weder auf das Pentagon noch auf das Weltwirtschaftszentrum, sondern waren bloße Abbilder des absolut Bösen, Monster ohne zeitgeschichtlichen Kontext, Bestien, die in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommen wollen. Dadurch reduzierte er – zumindest in seiner Rhetorik – das Geschehene auf Terror um des Terrors willen. Wenn aber in der theoretischen Analyse eines (jeden) Geschehens die Analyse selbst durch Beschwörung von etwas absolut Bösem verhindert wird, wird auch jeglicher reale Lösungsansatz für die Zukunft prekär.

Dieser entpolitisierten Welt des Terrors mit mythologisierter Motivlage gegenüber beschwört George Bush eine Welt der Gerechtigkeit, die es zu „bauen“ gelte: „Mit unseren Freunden werden wir das Haus der Freiheit bauen – für unsere Zeiten und für alle Zeiten.“ Die Bezüge zu seinem Gottesglauben sind unmittelbar: „Die Freiheit, die ihr verteidigt, ist das Recht jedes Einzelnen und jeder Nation. Die Freiheit, die wir schätzen, ist nicht das Geschenk Amerikas an die Welt. Sie ist die Gabe Gottes an die Menschheit.“ (George Bush während des Irakkriegs in Florida am 26.3.2003).

Mit der Hilfe des Lamm Gottes

„ … da ist die Kraft, die Kraft, die Wunder bewirkt, die wunderwirkende Kraft in der Güte und dem Idealismus und dem Glauben des amerikanischen Volkes.“ (Bush in der State of the Union 2003) “Unser viertes Ziel ist es das Mitgefühl Amerikas auf die schwerwiegendsten Probleme Amerikas zu beziehen. Für so viele in unserem Land – die Obdachlosen und die Vaterlosen, die Suchtkranken– ist die Not groß. Jedoch gibt es eine Kraft, eine wunderwirkende Kraft in der Güte und dem Idealismus und dem Glauben des amerikanischen Volkes.“ (Zitiert nach Public Broadcasting Service). Codiert in den – für das ungeübte oder auch europäische Ohr – nur warmen Worten des Mitgefühls für die Schwachen liegt die Kennzeichnung der religiös motivierten und ausgerichten Lösungsansätze des 43. und 44. Präsidenten. Neben der emotionalen Konnotation des Compassionate Conservatism klingt für gläubige Christen die Melodie des zitierten Kirchenliedes mit.

Would you be free from the burden of sin? There’s pow’r in the blood, pow’r in the blood; Would you o’er evil a victory win? There’s wonderful power in the blood. Refrain There is pow’r, pow’r, wonder working pow’r In the blood of the Lamb

There is pow’r, pow’r,

wonder working pow’r

In the precious

blood of the Lamb.[7]  Die von Bush zitierte wunderwirkende Kraft, die helfen wird, gesellschaftliche, gesellschaftspolitische und politische Probleme der Vereinigten Staaten zu Anfang des 21. Jahrhunderts zu lösen, ist die Kraft des Lamm Gottes[8].

Das Attentat vom 11. September 2001 auf die Twin Towers und die sträfliche Vernachlässigung der Sicherheit


Wenige Monate nach dieser Rede geschah das Attentat auf das World Trade Center (WTC) in Manhattan; es war ein nie da gewesener Schock für die Vereinigten Staaten. Unmittelbar darauf entschied der Präsident den Angriff auf Afghanistan, in der Annahme, dass die Attentäter aus Afghanistan kamen.

In der Bush-Administration wurde indes, wie Richard Clarke präzise nachzeichnet, die planvolle geheimdienstliche internationale Kontrolle von beobachtbaren Attentatsplänen, die dann am 11. September zur Durchführung kamen, sträflich vernachlässigt. Richard Clarke war unter Clinton und Bush Chef-Organisator der amerikanischen Anti-Terrorpolitik und leitete in den entscheidenden Stunden nach den Anschlägen auf die Twin Towers den Krisenstab im Weißen Haus. In seinem Buch Against All Enemies. Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror (Clarke 2004) stellt er der Bush-Administration ein vernichtendes Urteil aus. Seine Hauptthese ist, dass Bush schlicht nicht an den umfassenden Einsichten Richard Clarkes interessiert war, ebenso wenig das ideologische Trio Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld, letzterer im Verteidigungsministerium, erster als Vizepräsident. Clarke erhielt erst wenige Tage vor 9/11 Gelegenheit, seine Warnungen vor Attentaten der Spitze mitzuteilen. Es war zu spät; man war nicht ernsthaft interessiert.

Mit der Zäsur von 9/11 war der Weg frei für die Entfaltung einer ideologisch radikalisierten, religiös inspirierten Kriegs gegen den Terror

Bushs Anrufe des göttlichen Willens für die gegenwärtige amerikanische Situation sind Legion.[9] Welche Bedeutung diese Rhetorik im konkreten außenpolitischen Handeln auch hat – Bush hat mit seinem Aufruf zum Kreuzzug des Guten gegen das Böse seine Außenpolitik religiös begründet, was sowohl Auswirkungen auf die internationale Politik als auch auf die Innenpolitik besaß. Er hat damit das Sendungsbewusstsein Amerikas, das von Anfang an ein Teil des Nationalmythos und religiös geprägt war, zu einer national basierten, internationalen Politik deklariert – gegen vehemente Opposition innerhalb und außerhalb seines heute mehr denn je gespaltenen Landes. “Eine Nation mit einer Mission.” (Januar 2004), „mit einer Berufung von jenseits der Sterne“ (September 2004). Die göttliche Mission „legitimiere“ sich aus der apokalyptischen Gefahr, die er in der State of the Union Address vom 29. Januar 2002 in seinem Narrativ von einer umfassenden, zeitlich und räumlich entgrenzten Bedrohung durch den Terrorismus beschwört: Über Ozeanen und Kontinenten, auf Bergspitzen und in Höhlen träfe man auf die Terroristen. Deren Hass werde nur durch den Wahn ihrer Zerstörungswut überboten. Sie würden gestützt von einer ‚Achse des Bösen’, die nicht nur aus Iran, Irak und Nordkorea, sondern auch ihren terroristischen Alliierten bestehe.

Die Anschläge vom 11. September wurden dabei als ein Angriff auf die gesamte „zivilisierte Welt“ gedeutet, die nun gemeinsam einen ebenso bedingungslosen wie umfassenden Kampf gegen den Terrorismus, der das Böse an sich verkörpert, führen müsse. Die bevorstehenden Auseinandersetzungen werden von Bush immer wieder im Sinne des Kampfes zwischen Christus und Satan, zwischen Gut und Böse porträtiert. So etwa in einer Ansprache im Juni 2002:

„Wir sind in einem Konflikt zwischen Gut und Böse und Amerika wird das Böse bei seinem Namen nennen.“ Oder bei den Gedenkfeiern zum ersten Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center: „Und das Licht scheint in der Finsternis. Und die Finsternis wird es nicht bezwingen.“ Dies ist eine Anspielung aus dem Johannes-Evangelium auf die Wiederkehr Christi (zitiert nach: Yourish 2003: 20). Diese Denkfigur spiegelt die Vorstellung einer manichäischen Welt wider, die sich in einem andauernden Kampf zwischen Gut und Böse befindet. Dieses Denksystem, das nur radikale Optionen von Entweder-Oder zulässt, ist in der rechten politischen Kultur der USA tief verwurzelt. Die religiöse Legitimation der Gründung der Vereinigten Staaten als utopischer Gegenentwurf zum intoleranten Europa mit dem Auftrag, das „neue Jerusalem“ zu errichten, läßt nur „die Wahl zwischen dem heilsgeschichtlichen gottgewollten Programm und seiner Vereitelung durch die Mächte des Satan“ (Ostendorf 1998: 180). Dieses Denken in „killer-oppositions“ fördert einen paranoiden Stil: Die paranoide Disposition wird durch soziale Konflikte in Handlungen mobilisiert, die ultimative Wertvorstellungen betreffen und fundamentale Ängste und Vorurteile und Hass an der Stelle von verhandelbaren Interessen in politische Handlungen einbringen. (Hofstadter, zitiert nach Ostendorf 1998: 180). Das Böse wird als Gegner ernst genommen, eben weil es ein Teil des Planes Gottes ist, und verlangt eine autoritäre, gewaltige und gewaltträchtige Reaktion.

Im Dienst der imperialen Mission

Diese Rhetorik porträtiert politische Konflikte wie ein Drama zwischen der zivilisierten Menschheit einerseits und dem Bösen andrerseits, dem sich die zivilisierte Menschheit zu widersetzen habe. Die Rolle Bushs und Amerikas ist es demnach, ihre Pflicht zu tun und die erwählte Funktion im Geschichtsdrama zu erfüllen. Sie greift Traditionen auf, die seit der Eroberung des amerikanischen Kontinents durch religiöse Siedler existieren. Selten hat ein Präsident in seinen politischen Reden ein solches Ausmaß an hegemonialem Nationalismus mobilisiert. Je umfassender der bevorstehende Kampf gegen das Böse sein soll, und je weniger glaubwürdig die angeführten empirischen Belege für die unmittelbare Bedrohung waren, desto entschiedener, ja hermetischer wurden auch die prophetischen Worte, die zur Legitimierung des Kampfes nötig werden. Die Neigung, die Geschichte als Schauplatz von Verschwörungen zu deuten, hat Richard Hofstadter im Blick auf den McCarthyismus der 1950er Jahre den „paranoiden Stil der amerikanischen Politik“ genannt. Danach stünde Amerika in der ganzen Welt einem ausgeklügelten und dicht vernetzten System einer auf Vernichtung ausgerichteten Gegenmacht gegenüber. Solche Vorstellungen sind nicht nur Ausdruck imperialer Machtpolitik, die einer solchen Feindbeschwörung bedarf, um legitimiert zu werden.[10] Sie korrespondieren auch mit Weltbildern apokalyptischer Natur. Präsident Reagan hat in solchen Weltbildern gedacht. Dies war nicht nur bei seiner Totalverurteilung der Sowjetunion als „Reich des Bösen“ zu beobachten, sondern auch in seinem explizitem Bezug auf die Apokalypse: „Wie sie wissen, gehe ich immer wieder auf die Anzeichen zurück, die Armageddon ankündigen. Ich ertappe mich dabei, dass ich frage, ob wir die Generation sind, die erlebt, wie das auf uns zukommt.“ [11]

In der „benevolent global hegemony“ Bushs und seiner Bewegung ist es Auftrag der USA „die Nationen dieser Welt zu lehren, auf dem Pfad der Freiheit zu wandeln“, so schon Woodrow Wilson (zitiert nach: Pfaff 2002: 703). Die Anschläge vom 11. September brachten den Durchbruch für diese Doktrin, da nun ein geeignetes Feindbild von hoher Integrationskraft zur Verfügung stand: “Eigeninteresse und Moralität, Macht und Werte, der Sheriff und der Missionar waren wieder zusammen.“ (Hoffmann 2003: 30; vgl. Kosterlitz 2002: 3643f.). In ihrem Kern aber befand sich ein säkularer, imperialistischer Nationalismus, der sich auf Elemente der amerikanischen Zivilreligion bezieht und ihre religiösen Traditionen mobilisiert.[12]

Die Afghanen aber waren Instrument für etwas, was mit ihren Wünschen nach Freiheit und Demokratie wenig zu tun hatte. Es ging den Bushs und Cheneys um eine kriegerische „Großtat“ (Bush), den Krieg gegen die „Achse des Bösen“.

IV.Das Irak-Desaster[13]

Pläne zum Sturz Saddam Husseins seit 9/11

Nach dem Beginn der Präsidentschaft von Bush jr. entwickelten Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Lewis Libby Plänezum Sturz Saddam Husseins (vgl. ebd.), die allerdings zunächst nicht zu einer direkten Umsetzung führten, nicht zuletzt, weil Außenminister Powell für kluge Sanktionen statt eines Waffengangs plädierte. Dies änderte sich unmittelbar nach den Terroranschlägen in New York und Washington, als Bush den Krieg gegen den internationalen Terrorismus formulierte. „Die Vereinigten Staaten werden keinen Unterschied machen zwischen den Terroristen, die diese Anschläge begangen haben, und den Staaten, die ihnen Unterschlupf gewähren.“ Obwohl hinsichtlich des Irak keine Verknüpfung gezogen worden war, war damit nicht nur die Afghanistan-, sondern auch die Irak-Politik der Regierung Bush II vorgezeichnet, wie Stefan Fröhlich (vgl. ebd.) zu Recht hervorhebt.

Schon wenige Tage nach dem 11. September plädierte der Irak-Krieg-Lobbyist Paul Wolfowitz implizit für einen Angriff auf das Zweistromland: „Ich denke, wir müssen auch darüber nachdenken, (…) wie wir Staaten eliminieren, die den Terrorismus unterstützen“ (so am 13. September 2001 und ähnlich während einer Lagebesprechung in Camp David am 15. September 2001). Nach den Attentaten vom 11. September stand neben Afghanistan der Irak auf der „Prioritätenliste“. Daalder/Lindsay (2003) beschreiben, dass schon wenige Minuten nach den Anschlägen auf das WTC Paul Wolfowitz seinen Assistenten gegenüber äußerte, Saddam Hussein stecke hinter den Attentaten. Bush folgte dieser Sicht: „Ich glaube, der Irak war beteiligt“, erzählte er seinem Kriegsrat am 17. September 2001. Dick Cheneys Sicht, so Paul Wolfowitz, habe sich ebenfalls mit den Erfahrungen des 11. Septembers gewandelt – durch die „Erkenntnis“ einer Verbindung zwischen Terroristen und Massenvernichtungswaffen sowie angesichts der vermeinten wachsenden Evidenz von Verbindungen zwischen dem Irak und Al Qaida (so Paul Wolfowitz gegenüber der Times, zitiert nach Daalder/Lindsay 2003: 130). Bernhard Lewis, einer der renommierten Islamforscher, undFujad Ajami, ein prominenter arabisch-amerikanischer Intellektueller, hatten in Gesprächen mit Cheney dafür plädiert, ein Sturz Saddam Husseins würde eine starke Botschaft in die gesamte islamische Welt aussenden und Amerikas Glaubwürdigkeit verbessern. Gleichwohl war in den Wochen nach den Attentaten auf das WTC Afghanistan und Usama bin Laden im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kurz nach dem Sieg über die Taliban änderte sich das entscheidend. Schon Mitte November 2001 sprach Richard Perle, Berater des Verteidigungsministeriums davon, dass es eine „Phase Zwei“ geben müsse. An der Spitze der Liste für Phase Zwei stehe Irak. (ebd. 131) Auch Bush äußerte sich nun über Saddam Hussein: „Der Führer des Irak ist ein Mann von Übel“, so im Oktober 2001. Sechs Wochen später steigerte er seine Rhetorik, als er davon sprach, dass Saddam Hussein die Inspektoren ins Land hineinlassen müsse, und mit weiteren Konsequenzen drohte, falls dies verweigert werden würde. Im Dezember 2001 traf sich der amerikanische Präsident mit General Tommy Franks, um über militärische Optionen gegen den Irak zu debattieren. Im gleichen Monat wies er David Frum an, eine Ideologie zu entwickeln, die einen Krieg gegen das Zweistromland rechtfertigen würde. Anfang 2002 war sich Bush klar, dass es nichts unterhalb des Sturzes von Saddam Hussein geben könne (ebd.).

Im Dezember 2001 organisierte eine Gruppe um die einflussreichen Hardliner Richard Perle und Paul Wolfowitz – beide Schüler von Albert Wohlstetter, dem führenden Aufrüstungsexperten des Kalten Kriegs – in dem semi-offiziellen Defense Policy Board die Kampagne für den Krieg gegen den Irak. Laut New York Times vom 3. Dezember 2001 waren daran beteiligt: Donald Rumsfeld, James Woolsey, Douglas Feith (seinerzeit nach Rumsfeld und Wolfowitz der dritte Mann des Pentagon), Newt Gingrich, Dan Quayle, Henry Kissinger, James Schlesinger, Wayne A. Downing, I. Lewis Libby, Vizestabschef im Weissen Haus, das Hudson Institute, das konservative American Enterprise Institute und der „Weekly Standard“. Der Druck auf verbündete Staaten wuchs in der ersten Hälfte des Jahres 2002 so, dass sich der türkische Ministerpräsident nach einem Besuch von Paul Wolfowitz gezwungen sah, öffentlich einzugestehen, dass der Angriffskrieg gegen den Irak unabwendbar geworden sei.

State of the Union 2002: Instrumentalisierung von Afghanistan für den „Krieg gegen den Terror“

„7000 Meilen von hier, über den Ozeanen und Kontinenten, auf Bergspitzen und in Höhlen treffen wir auf die terroristische Bedrohung, die unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt hat.“ „Unsere Nation ist im Krieg, unsere Ökonomie in der Rezession und die zivilisierte Welt sieht sich präzedenzlosen Gefahren ausgesetzt. Aber: Der Zustand unserer Nation ist mächtiger denn je.“ In diesen wenigen Sätzen ist die doppelte Botschaft des Präsidenten enthalten. Der präzedenzlosen Bedrohung steht die mächtigste Nation im Krieg gegenüber. Diese doppelte Botschaft wiederholte Bush während der gesamten State of the Union Address 2002. Dem Gefühl der Erniedrigung und der Ohnmacht stellte er die Größe und die militärische Macht der Vereinigten Staaten gegenüber. Dem tödlichen Feind, der „Achse des Bösen“, die Achse der größten Militärmacht. Dem absoluten Übel das Gute: die amerikanische Nation und die amerikanischen Werte der Freiheit und des Friedens, welche die der Welt seien.

Bush hatte wenige Wochen zuvor den Sieg über die Taliban und das terroristische Netzwerk verkündet, ohne auf die Kehrseite dieses Sieges einzugehen: eine hohe Anzahl getöteter Zivilisten und die prekäre gesellschaftliche sowie politische Lage Afghanistans nach einer zwanzigjährigen Zerstörung von innen und außen. Er benutzte die private und nationale Trauer, die mit den Attentaten vom 11. September verbunden war. „Jeden Tag kehrt ein pensionierter Feuerwehrmann an die Stelle des Geschehens in New York zurück, um sich seinen beiden Söhnen näher zu fühlen, die dort starben. An einem Mahnmal in New York hinterließ ein kleiner Junge seinen Fußball mit einer Notiz an den verlorenen Vater: ‚Lieber Vater, nimm diesen Fußball in den Himmel. Ich möchte solange nicht spielen, bis ich mit dir eines Tages das zusammen tun kann.’ Letzten Monat verabschiedete sich Shannon (…) von ihrem Ehemann, einem CIA-Offizier, der in Mazar-Il-Sharif in Afghanistan starb – Shannon ist heute unter uns. Ich versichere Ihnen und allen, die ihre Liebsten verloren haben, dass unsere Sache gerecht ist und unser Land nie vergessen wird, was wir Michael und all denen, die ihr Leben für die Freiheit gaben, schulden.“ (Bush: State of the Union. 2002)

Die Adressierung dieser persönlichen und von der Nation geteilten Trauer dient dem Präsidenten dazu, nicht nur seinen Kampf gegen den Terror zu legitimieren, sondern auch seine Zuspitzung im Kampf gegen die „Achse des Bösen.“ Dazu dramatisierte er die ohne Zweifel bestehende Bedrohung zu einem geradezu apokalyptischen Szenario: „Unsere Sache ist gerecht (…). Die Entdeckungen in Afghanistan haben unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt und die Größe der Aufgabe vergegenwärtigt. Wir haben die Tiefe des Hasses unserer Feinde in Videos gesehen, wo sie über den Tod unschuldigen Lebens lachten. Ihr Hass wird nur noch überboten durch den Wahn ihrer Zerstörungsabsicht. Wir haben in Diagrammen amerikanische Atomanlagen und Wasserversorgungseinheiten gesehen, detaillierte Instruktionen zum Bau von Chemiewaffen. Das bestätigte uns darin, dass dieser Krieg gegen den Terror gerade erst begonnen hat.(…) Diese Feinde betrachten die gesamte Welt als Schlachtfeld und so müssen wir sie da stellen, wo immer sie sind. Solange Ausbildungscamps funktionieren und Nationen Terroristen beherbergen, ist die Freiheit in Gefahr.“ (ebd.)

Bush sah dabei neben der Aufgabe, die terroristischen Kerne zu zerstören, eine vorbeugende Aufgabe ersten Ranges: Terroristen und den Terrorismus unterstützende Regime, die chemische, biologische oder atomare Waffen in ihren Besitz bringen wollen, davon präventiv abzuhalten. Ohne Beleg zählte er zu diesen Regimen so unterschiedliche Staaten wie Nordkorea, den Iran und den Irak. Sie konstituierten zusammen mit den terroristischen Alliierten, wer immer das sei, eine „Achse des Bösen“, die sich bewaffnete, um den Weltfrieden und die USA zu bedrohen. Für den amerikanischen Präsidenten ist diese Gefahr so groß und unmittelbar, dass keine Zeit zu verlieren sei: „Die Zeit ist nicht auf unser Seite. Ich will nicht Ereignisse abwarten, während sich die Bedrohung verdichtet. Ich will nicht abseits stehen, wenn die Gefahr näher und näher kommt. Die amerikanische Nation wird nicht zulassen, dass die in der Welt gefährlichsten Regime uns mit den gefährlichsten Massenvernichtungswaffen bedrohen. In diesem Krieg gegen den Terror, den wir begonnen haben, sind wir erst am Anfang.“ (ebd.)

Noch nie in der Geschichte sei die einzige Weltmacht auf ihrem eigenen Boden so unmittelbar bedroht gewesen. Angesichts dieser alarmierenden Situation sei alles Notwendige zu tun, um der essentiellen Gefahr entgegenzutreten Im Mittelteil der State of the Union Address von 2002 konzentrierte sich Bush auf die Begründung eines beispiellosen Rüstungsprogrammes, das an das Ronald Reagans anschließt. Ein umfassendes Ministerium für innere Sicherheit soll nicht nur eine härter durchgreifende Polizei und die Sicherung der Nachbarschaften, sondern auch den Kampf gegen illegale Drogen integrieren. Programme für Erziehung und zur Steuersenkung sollen ökonomische Sicherheit gewährleisten. Dann kehrte Bush wieder zur allgemeinen Bedrohung des Landes zurück, auf die er 80 Prozent der Redezeit verwendet.

Er forderte eine nationale Kraftanstrengung: „Eine neue Ethik und einen neuen Pakt im Namen der gefallenen Soldaten, der entschiedenen Kameradschaft der Feuerwehrleute und dem Mut und der Großzügigkeit der Bürger. Wir erkennen eine neue Kultur der Verantwortung“, die sich, so der Präsident, in einem neuen Freiheits-Korps niederschlagen soll. Durch die Mobilisierung der Bevölkerung für diesen Kampf „werden wir das Übel mit einem größeren Gut überwinden: Denn es sind die amerikanischen Werte, über die nicht verhandelt werden kann und die bedroht sind: die menschliche Würde, die Rechtssicherheit, die Gewaltenteilung, das private Eigentum, die Freiheit der Rede, die Gleichheit vor dem Gesetz und die religiöse Toleranz.“ (ebd.)

In seiner Friedens- und Freiheitsutopie sah er Amerika mit Russland, China und Indien vereint im Kampf für Frieden und Wohlstand und appellierte dabei an das spezifische amerikanische Nationalverständnis, diesseits aller ethnischen Differenzen als Nation einig zu sein und gemeinsam der Gefahr entgegenzutreten: „In der Tiefe des amerikanischen Charakters existiert die Ehre und sie ist stärker als der Zynismus und viele haben in der Tragödie erfahren, dass Gott ihnen nahe ist.(…) Wir haben erkannt, dass wir in einer entscheidenden Dekade in der Geschichte der Freiheit sind und darin eine einzigartige Rolle in der menschlichen Geschichte spielen. Nur selten hat die Welt sich einer Herausforderung gegenübergesehen, die so klar und so konsequenzenreich ist.“ (ebd.) Schließlich appellierte der Präsident an den Gründungsmythos der amerikanischen Nation, gegen Tyrannei und Tod aufzustehen und für Freiheit einzutreten: „Wir haben eine andere Wahl getroffen, zu der wir uns heute erneut verpflichten: Freiheit und die Würde des Lebens jedes Einzelnen. Wir haben den Preis der Freiheit gesehen und die Macht der Freiheit gezeigt. Wir werden den Sieg der Freiheit erleben. Ich danke Ihnen. Gott möge Sie segnen.“ (ebd.)

Der Beginn der Rede beschwor eine tödliche, universale und ubiquitäre Bedrohung der Menschheit, ihr Ende die emphatische Einstimmung auf Krieg: einen Krieg, der gerade erst begonnen habe, der in Zeit und Dauer unbegrenzt sei, auf das Ziel unendlicher Gerechtigkeit ausgerichtet sein müsse und den die amerikanische Nation gewinnen werde. Dieser weltweite und umfassende Krieg werde nicht nur gegen Tyrannen wie in Afghanistan, gegen das „reale Böse“ geführt, sondern für die amerikanischen Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, für den Schutz menschlicher Würde, Rechtssicherheit, Gewaltenteilung, das private Eigentum, die Freiheit der Rede, die Gleichheit vor dem Gesetz und die religiöse Toleranz – the American Creed. Die Beschwörung einer umfassenden Bedrohung korrespondierte mit der Mission, zeitlich und räumlich unbegrenzte Präventivkriege gegen alle zu entfachen, die je das amerikanische Territorium bedrohen könnten. Bush verwies in seiner Rede bereits auf eine Selbstermächtigung zum Präventivkrieg, wie sie erst Monate später in einer eigenen Strategie-Doktrin umgesetzt und in der Mobilisierung für den Irak-Krieg als ein Exempel des Weltordnungskriegs angewandt werden sollte. Die Rede des US-amerikanischen Präsidenten vom 29. Januar 2002 markiert damit das Ende einer als umsichtig beschriebenen Politik der Allianz im „Krieg gegen den Terror“ und ist von einem weltweiten Bedrohungsszenario geprägt: Die Herausforderung, die selten in der Weltgeschichte so klar und folgenreich sei, ist von absoluter und permanenter Dringlichkeit. Sie ist gleichsam zeitlich entgrenzt.

US-amerikanische Politik zu mehr Terror

Nach Studien der CIA ist der Irak nach seiner Eroberung 2003 – neben einem breiten Widerstandsverhalten – zu einem idealen Rekrutierungs- und Rückzugsraum des internationalen Terrorismus avanciert (vgl. Spiegel vom 10. Juli 2005). Es ist, als folgte die Bush-Administration einem gefährlichen Wiederholungszwang. Schon in den späten 1980er Jahren hatte die damalige republikanische Administration im Afghanistan-Krieg zunächst massiv radikal islamistische Widerständler unterstützt. Nach dem Sieg über die Sowjetunion, der in einem furchtbaren achtjährigen Stellvertreterkrieg errungen worden war, zogen sich die USA ohne weitere Sorge um das Schicksal Afghanistans unvermittelt zurück. Sie überließen das Land einem verheerenden Vakuum, aus dem sich sowohl die radikalislamistische Bewegung der Taliban wie das terroristische Netzwerk Al Quaida hatte bilden können.

Im Irak wiederholten die Vereinigten Staaten mit ihrer Unfähigkeit und ihrem Unwillen zu einem legitimen Umgang mit dem Mittel des Krieges und zur Herstellung einer Nachkriegsordnung das Muster ihrer Afghanistan-Politik der späten 1980er Jahre: der Zerstörung der gesellschaftlichen und moralischen Webstruktur (Michael Naumann) der irakischen Gesellschaft. Durch eine unsensible und brutale Besatzungspolitik ist exakt der Raum der Anarchie in einem Failed State entstanden, der zum Rekrutierungs- und Rückzugsraum des internationalen Terrorismus geraten ist. Man hat sich so die Produktionsstätte und die Logistik eines terroristischen Netzwerkes selbst herbeigebombt und erreicht, was man bekämpft. Der IS war nur ein Resultat dieser verheerenden Irak-Politik. Das aber ist nicht anderes als eine in ihrer Wirkung zerstörerische und selbstzerstörerische Politik.

V. Zur Analyse der ideologischen Antreiber

Erprobt in der Dämonisierung des Feindes rief die US-Amerikanische Rechte nach einem Churchill, der sich wie jener 1940 gegen das damalige kontinentaleuropäische Appeasement nun gegenüber einem Feind auflehnt, der wiederum alles bisherige übertrifft und nur mit der Gefahr des Totalitären verglichen werden darf: dem weltweiten Terror gegen die Zivilisationen der Welt. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer alles Bisherige überbietenden revolutionären Strategie der Selbstbehauptung im „Dschungel“ (Kagan 2003) weltweiter terroristischer Gefahren. Das Mittel, das alle bis dato gültigen Verträge und Strategien über Bord wirft, ist auch gefunden: die präventive Kriegsdoktrin Bushs. Die Schüler von Wohlstetter  sahen im Irak-Krieg nur den Anfang, eine amerikanische Vorherrschaft in der für sie gegenwärtig ausschlaggebenden Weltregion des Nahen und Mittleren Ostens durchzusetzen. Hier entscheidet sich für sie die Frage, ob die Vereinigten Staaten ihre Dominanz in dieser Region und damit perspektivisch auch weltweit sichern können. Was Neokonservative und die klassische Rechte eint, ist der Wille zur ökonomischen, politischen, militärischen Dominanz. Es ist der gleiche Wille zur Macht und die gleiche ideologische Fixierung auf einen dämonisierten, zeitlich und räumlich entgrenzten, ubiquitären Feind. Ein Wille, der – an die Macht gekommen – inzwischen mehrfach zu schweren politischen und strategischen Fehlern geführt hat.

In der Tradition der antidemokratischen Konservativen Revolution[14]

Die neokonservative Ideologie hat sich mit der politischen Bewegung entwickelt und mit dem Aktivwerden der zweiten Generation radikalisiert. Sie besteht im Kern aus dem fundamentalen Glauben daran, angesichts weltweit drohender Gefahr des „Bösen“ gegenüber der „Freiheit“ und den Werten der Vereinigten Staaten einen politisch-religiösen Auftrag zur Bekämpfung und Vernichtung dieser Gefahren erfüllen zu müssen. Zu ihren prominentesten Repräsentanten gehören derzeit einflussreiche Publizisten wie Bill Kristol und Robert Kagan. Sie treten für eine Ideologie imperialer Herrschaft in der „internationalen Anarchie“ sowie für eine nicht verregelte und verrechtlichte Entfaltung militärischer Macht und kriegerischer Gewalt zur Bekämpfung des Bösen ein. Ihre publizistische Agitation folgt dabei einem sozialdarwinistischen Konzept der Herrschaft der Stärkeren und Gewaltbereiteren im internationalen „Dschungel“ (Kagan). Robert Kagan hat die gegenwärtige Version der Ideologie des Neokonservatismus auf den Punkt gebracht: „Europäer und Amerikaner bilden keine gemeinsame Wertegemeinschaft mehr“ (Kagan 2002). Der Macht der USA korrespondiere, spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg, eine eklatante Machtschwäche Europas. Selbst die große europäische Einigung nach einem Jahrhundert nationalistischer Kriege und Weltkriege habe nur durch die amerikanische Absicherung im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion errungen oder erhalten werden können. Für Kagan ist das Weltbild Europasin einem unrealistischen Idealismus befangen. Die Europäer, eine für ihn skurrile Rasse, glaubten tatsächlich, die heiklen und harten Probleme in der Anarchie der internationalen Politik mit Diplomatie lösen zu können. Das führe zu Nachgiebigkeit, zu Appeasement. Robert Kagan zufolge ist das Europa der 1990er Jahre durchzogen vom Wunsch nach ewigem Frieden. Es habe dabei nicht einmal die Kraft gehabt, die „europäischen Angelegenheiten“ auf dem Balkan zu regeln. Das europäische Engagement in Afghanistan bewertet er als gerade noch erträglich. Eine Außenpolitik, die diesen Namen verdient, existiere aber nicht, (auch) weil die Militäretats dürftig seien. Nun wolle dieses so definierte, schwache Europa der Weltmacht Amerika jene unrealistische, idealistische Herrschaft des internationalen Rechts, der geduldigen Diplomatie und des Multilateralismus aufdrängen.

In Kagans Welt der Macht der Gewehre kann eine solche Idee nicht ernstgenommen werden. Die Welt brauche, so Kagan, eine harte Machtpolitik, um „Schurkenstaaten“ zu bezwingen. Er benennt nicht nur die von Präsident Bush definierte „Achse des Bösen“, sondern gleich noch eine Handvoll Länder mehr: Libyen und Syrien zum Beispiel und – wie Samuel Huntington – China. Die Vereinigten Staaten seien nun einmal die größte Weltmacht und benutzten ihre Macht durchaus benevolent, wenn siegegen die gefährliche Anarchie in der Welt und den potentiellen Einfluss des Bösen nationale wie internationale Sicherheit durchsetzen. Kagan war, gemeinsam mit radikalen Neokonservativen um William Kristol, seit langem ein glühender Verfechter eines Angriffskriegs auf den Irak und einer unilateralen militärischen Präventivdoktrin gewesen. Sarah Diamond (1995: 382, Fußnote 86) zufolge war er Mitte der 1980er Jahre als Mitglied des State Department unter Reagan auch in die sogar US-gesetzwidrigen Iran-Contra-Operationen verwickelt. Kagan will die Entfesselung der Macht des Mächtigen ohne Zähmung. Thomas Hobbes, auf den sich Kagan mehrfach bezieht, hatte die Errichtung einer absoluten Autorität und die konsequente Selbstunterwerfung der Bürger in einem autoritären Gesellschaftsvertrag konzipiert. Hobbes entwickelte seine Philosophie aus den zerstörerischen Erfahrungen der religiösen Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts. Er setzte in seiner pessimistischen Anthropologie kein Vertrauen in die Gesellschaftsfähigkeit der Bürger. In Zeiten des Bürgerkriegs ließe sich Sicherheit – und die Durchsetzung des Rechts – im „Kampf aller gegen alle“ nur durch Selbstunterwerfung der Bürger unter den Souverän gewährleisten.

„Weil die Amerikaner die Macht haben“, so kritisch Ulrich Preuß über die Ideen Kagans, „brauchen sie nicht das Recht.“In Widerspruch zu Kagan stellt er fest: „Ich kann in der amerikanischen Rechtskultur keinen Hinweis darauf finden, dass dort eine derart verächtliche, geradezu Nietzscheanische Vorstellung vom Recht vorherrschen sollte“ (Preuß 2002). Nach Kagans These, die er in Interviews, Artikeln und Büchern äußerte, jedoch soll eine imperiale Hegemonialmacht den Lauf der Welt getreu einer selbst gewählten Mission nach eigenem Gutdünken bestimmen. Das bezeichnende Bild, das er wählt, stellt außerfrage, dass ein Mann, der nur – wie Europa – ein Messer als Waffe hat, sich devot verhält und verhalten muss, wenn er einem Bären im Wald begegnet, anders als ein Mann mit Gewehr: die Vereinigten Staaten. Der Wille und die Waffen zur Macht sind die Faktoren, die Kagans Thesen determinieren; ein Bär, zudem als Metapher, findet sich immer.[15]Aber diese Metapher ist auch Ausdruck der immensen Überschätzung amerikanischer Macht durch die radikalisierten Neokonservativen der neuen Generation – die militärische und mehr noch die ökonomische Machtfülle des einzigen Hegemon ist jedoch (noch) erkennbar begrenzt. Er ist zuweilen sogar hilflos und über Jahre unfähig, den Nahostkonflikt auch nur unter Kontrolle zu bringen, geschweige denn zu befrieden. Auch die stärkste Militärmacht ohne Konkurrenz hat nicht die absolute Machtfülle, die der Autor dem amerikanischen Imperium attestiert. Was die europäische Politik anbelangt: In der Tat, ihr fehlt es an einer kohärenten Außenpolitik. Das Bild jedoch, das Kagan von Europa zeichnet, entsteht aus seiner dichotomen und auf militärische Herrschaftsmechanismen begrenzten Sicht der Weltpolitik: dort die Tapferkeit des Stärkeren – hier die Feigheit des Schwachen. Dort militärisch gestützte Dominanz – hier zwanghaft nachgiebige Diplomatie. Die von Kagan verachtete Entspannungspolitik nach innen und außen ist eine, wenn nicht die, historische Konsequenz der schon während des Zweiten Weltkriegs gewonnenen Erkenntnis, Nachkriegseuropa von den Nationalismen und so auch den daraus resultierenden zwei Weltkriegen in Zukunft zu verschonen – unter entschiedener Mithilfe eines damals durchaus „idealistischen“ Amerika. Die von Kagan und anderen Konservativen abgelehnten soft politics haben, zusammen mit der Achtung internationalen Rechts manche kriegerische Eskalation oder Teilhabe daran verhindert. Kagan wie die Neokonservativen plädieren für die Rückkehr zu jener Macht- und „Realpolitik“, die die Krisen des 20. Jahrhunderts mit ausgelöst hat. Noch gravierender aber ist, in welchem Maß Kagan von unumkehrbaren Größen in der menschlichen Natur und von a priori festgelegten politischen Kulturen, Identitäten und Interessen in der Anarchie der Welt sich bekämpfender Staaten ausgeht. Wem Freund-Feind-Verhältnisse unumkehrbar sind, der Krieg aller gegen alle zur Natur des Menschen und der Gesellschaften gehört, dem müssen Konflikte und Kriege als unvermeidbar erscheinen. Nur unter dieser Prämisse erscheint Eskalaltion als Lösung, präventiver Angriff als Verteidigung.

Macht macht Recht

Die sich als „Neoliberale“ verstehenden Politikwissenschaftler Ron Asmus und Kenneth Pollack, die für den Krieg gegen den Irak eingetreten sind, haben in der Zeit vom 4. September 2003 die Kernelemente der neokonservativen Weltneuordnungsideologie auf ihren einfachen Nenner gebracht. Neokonservative halten die Probleme der gesamten Nahost-Region, über den Irak hinaus, für so schwerwiegend und die Gefahren des Terrorismus für so dringend, dass dies derzeit jedes Mittel heilige. Sie gehen davon aus, dass Amerika die Regime, die dem auch durch Kriege wie gegen den Irak entfalteten massiven Veränderungsdruck widerstehen, mit Gewalt zur Umgestaltung zwingen werde. Die Intervention im Irak und der Wiederaufbau danach werde, so Asmus und Pollack, innerhalb und außerhalb der gegenwärtigen Administration daher nicht als Ausnahme gesehen, sondern als Präzedenzfall, der bei Bedarf anderswo wiederholt werden kann und wird.Das Primat der Demokratie, gesellschaftliche, aber vor allem wirtschaftliche Modernisierung ist um jeden – auch anti-demokratischen – Preis durchzusetzten.Präsident Bush und seine Regierung sind so keineswegs an einem fairen Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelis und daher auch nicht an der Roadmap, also einer fairen territorialen Lösung interessiert. Ebenso wenig an Nation Building und der Entwicklung demokratischer Basisstrukturen; sie glauben vielmehr, dass Macht Recht schafft und internationale Normen und Verträge nur für die Bösen, nicht für Amerika gelten. Die Neokonservativen an der Macht betrachten daher ein amerikanisches Imperium und die Vorherrschaft Amerikas als legitimes Ziel. Diese Skizze der amerikanischen Politikwissenschaftler trifft den autoritären Ton, mit dem ein imperialer Anspruch auf eine Weltordnung unter der Dominanz der Vereinigten Staaten aus der Sicht der Neokonservativen umgesetzt gehört. Der Kern der am 22. September 2002 vom Präsidenten autorisierten Präventionsstrategie lautet: Wann immer die US-Administration von einer Gefahr für die Sicherheit des Westens oder Amerikas ausgeht, sieht sie sich zu einem präventiven Angriffskrieg ermächtigt. Da die US-Administration aber eine permanente Bedrohung durch internationalen Terrorismus bzw. andere Mächte unterstellt, insbesondere aus dem sogenannten „islamischen Krisenbogen“, hat sie damit das Potential für andauernde Kriege etabliert. Wenn jedes Mittel zur Sicherung der Sicherheit recht ist, käme dies einer autoritären, man ist versucht zu sagen, totalitären Selbstermächtigung der einzigen Weltmacht gleich – auch wenn diese Weltmacht demokratisch ist. Und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die autoritäre manichäische Weltsicht Rückwirkungen auf die gesellschaftliche Verfasstheit dieser Demokratie hätte und erst recht auf die internationalen Beziehungen, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in internationalen Regelwerken geordnet sind.

Ulrich Thielemacht darauf aufmerksam, dass die Bush-Doktrin „substantiellere Parallelen zu Carl Schmitts politischer Theologie auf(weist) als üblicherweise konstatiert“ (Thiele 2004: 993). Die Ausübung der Definitionsmacht von Freund und Feind wird nach Schmitt „als außerrechtliches Ursprungsphänomen gedacht (…), das sich allen Legalisierungsversuchen entzieht“. Die Feinddefinition müsse sich als permanentes Phänomen verstehen lassen, da das Subjekt des Politischen seine existenziell bedrohte Identität nur durch das konstante Bemühen um die richtige Unterscheidung von Freund und Feind sichern könne. Auch sei der Feind „immer auch derjenige, der sich nicht offen zeigt, sondern im Geheimen wirkt“ und daher dezisionistisch zum Feind bestimmt werden kann. Nach Thiele sind diese Kriterien in der aktuellen amerikanischen Militärdoktrin durchaus erfüllt, wobei „Schurkenstaaten“ bzw. „Achse des Bösen“ hochmoralisch aufgeladene Ausdrücke mit starken politisch ideologischen Wurzeln seien. Es ließe sich sogar sagen, dass, so Carl Schmitt, „alle prägnanten Begriffe (der Nationalen Sicherheits-Strategie) säkularisierte theologische Begriffe“ sind, weil sie „aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden“ (ebd.: 994). Diese „fundamentalistischen Kampfbegriffe dienen einer Dämonisierung des Gegners, mittels derer Angriffskriege mit der überlegalen Legitimität eines eschatologisch gedeuteten Naturrechts ausgestattet werden sollen: Im metaphysischen Szenario der Neokons treten die Vereinigten Staaten als der Katechon (der Aufhalter, d.V.) des radikal Bösen auf.“ (ebd.) Die Definition des Feindes sei darüber hinaus „auf Permanenz bzw. Unendlichkeit angelegt, insofern im Zeichen des „Krieges gegen Terrorismus“ die Unterscheidung zwischen individuellen Straftätern und staatlichen Akteuren nivelliert wurde“. Die Neokonservativen befreien, so Thiele weiter, den Be-griff der Landesverteidigung aus dem territorialstaatlichen Bezugsrahmen (ebd.: 997). Auch hier gebe es Parallelen zu den Überlegungen von Carl Schmitt zur Monroe-Doktrin. Ihr zufolge sollte ein „über das eigene Staatsgebiet weit hinausgehender […] Großraum im völkerrechtlichen Sinne des Wortes […] als eine Zone der Selbstverteidigung definiert werden.“ (Vgl. Schmitt 1997:256). Schmitt hat gegen das liberale universalistische Völkerrecht und für ein konkretes internationales Ordnungsdenken, eine damit verbundene Rehabilitierung des beiderseitigen Rechts zum Krieg und für eine raumordnende Idee hegemonialer Macht geworben.

Strategie des permanenten Ausnahmezustands. Die Kritik von Habermas

Entkoppelt man den Begriff der Prävention von einer nachweislich unmittelbar existierenden Bedrohung, so rückt die Entscheidung über einen (präventiven unilateralen) Angriffskrieg „in den rechtfertigungsfreien Raum der Bedrohungswahrnehmung der Herrschaftszentrale“ (Steffens 2003: 1337). Es ist die Bedrohungswahrnehmung selbst, deren Realitätsgehalt weder medienöffentlich noch im Rahmen internationaler Institutionen geprüft werden kann (oder sollte), die als Kriegsgrund akzeptiert zu werden hat. Ein gleichsam symbiotischer Kriegsgrund (auch) paranoider Wahrnehmung: Da der Erfolg terroristischer Angriffe darauf beruht, dass sie im Plan unbemerkt blieben, die Geheimdienste also allenfalls mutmaßen können, muss die Mutmaßung der unbemerkten Planung als real existierender, wenn auch noch potentieller casus belli gewertet werden dürfen. Nur so sei der (vermeintlich) Bedrohte zu schützen, auf dieses Unvorhersehbare soll alle Kompetenz hin bezogen werden, kulturell, politisch und militärisch. Nicht nur, dass damit der Unterschied zwischen terroristischer und staatlicher Gewalt zugunsten der terroristischen eingeebnet wird und damit alle Gebundenheit an Recht und Verfahren – diese Selbstermächtigung zum präventiven Handeln stellt einen Freibrief für Jeden und jedes militärisches Handeln gegen jedweden potentiellen Gegner für eine beliebige Zeit an einer beliebigen Zahl von Orten in der Welt dar. Sowohl die Definition der Bedrohung wie die Mittelwahl zu ihrer Abwendung und die konkrete Zielsetzung sind damit in den Raum der unüberprüfbaren Eigendefinition, der Willkür gerückt. Wer immer sich diese Definitionshoheit unwidersprochen aneignen kann, ist auch im Besitz der (schein-legalisierten) Waffenhoheit – sei es über das eigene Volk oder die Völker anderen Länder. „Konflikttheoretisch gesehen, installieren die Entgrenzungen von ‚Bedrohung’ und ‚Prävention’ (oder ‚Präemption’ oder, wie es in der Nationalen-Sicherheits-Strategie 2002 auch heißt, ‚antizipatorischer Selbstverteidigung’) eine Spirale von Gefährdung, Verdacht und (behaupteter) militärischer Prävention, in der Handlungsfreiheit jederzeit in Handlungszwang zur Selbstverteidigung umschlagen kann. Demokratietheoretisch betrachtet fixiert die Nationale-Sicherheits-Strategie ein Herrschaftskonzept, welches sich von der Last öffentlicher Rechtfertigung sogar äußerster Formen staatlicher Gewalt weitgehend befreit.“ (ebd. 1338)

Nach dem 11. September 2001 war, so Leon Kass, in der Bush-Administration zuständig für Bioethik, „ein Anwachsen des moralischen Ernstes in Amerika zu fühlen, eine frische Brise moralischer Urteilskraft, die den Nebel der Gedankenlosigkeit und des leichtfertigen Relativismus weggeweht hat und uns nun befähigt, das Böse als das zu sehen, was es in Wirklichkeit ist. Der Krieg selbst hat Klarheit gebracht, und die Bedeutung der Tugend wiederhergestellt. Ohne Krieg ist uns die Fähigkeit zu Heroismus und zu Tapferkeit, die Bereitschaft zum Opfer verlorengegangen. Im Krieg entscheiden Menschen zu sterben. Männer sterben, freiwillig, füreinander, für ihre Kameraden, für ihr Vaterland, für ihren Glauben. Der Krieg rettet die Menschen vor den Verheerungen der Zivilisation.“ (Norton 2004:153)

Diese offene, aus den Schriften der konservativen Revolution am Ende der Weimarer Republik bekannte Preisung einer „Moral“ des Krieges, ja, einer wie Anne Norton schreibt, regelrechten „Kriegsromantik“ ist  die langgesuchte Antwort auf das „Ende der Geschichte“, auf „Humanität“ in internationalen Institutionen in der Tradition des Völkerbundes, auf Machtschwäche und Ineffizienz und den damit verbundenen angeblichen Gefahren eines imperialen Totalitarismus in jenen internationalen Institutionen (vgl. ebd.: 2004: 148).

Die eigentümliche Denkfigur eines Totalitarismus durch Zivilisierung der internationalen Beziehungen geht u.a. zurück auf Carl Schmitt und sein mit den Denkfiguren der Neokonservativen jedenfalls verblüffend analoges, emphatisches Plädoyer für die Notwendigkeit von Krieg. In „Die Einbeziehung des Anderen“ (Habermas 1996) analysiert Habermas diese Denkfigur bei Carl Schmitt. Er kann nachweisen, dass hinter dem Argument Carl Schmitts von der nötigen Einhegung des Krieges letztlich der Versuch steht, Krieg in keiner Weise begrenzen zu wollen. Zwar scheint es Schmitt um die völkerrechtliche Zivilisierung des Krieges in Verbindung mit der Erhaltung einer bewährten internationalen Ordnung zu gehen. Das Recht zum Krieg sei für die Souveränität eines Staates konstitutiv. Nur die Tatsache der Nicht-Diskriminierung des Krieges könne die Kriegshandlungen begrenzen – und vor den Übeln eines totalen Krieges schützen. Das sei die realistischere Alternative zu einer international rechtlich gestützten Pazifizierung des Naturzustandes zwischen den Staaten. Schließlich habe das Völkerrecht vor den Tatsachen der im 20. Jahrhundert entfesselten totalen Kriege versagt. – Auch nach 1945 hat Schmitt versucht, weiterhin Krieg mit dem Anschein von moralischer Neutralität zu verknüpfen, was ihm nur dadurch „gelang“, dass er Menschheitsverbrechen, wie sie in Nürnberg verhandelt wurden, in seinem Gutachten für den damals Angeklagten Friedrich Flick als „atrocities“ prozesstaktisch ausklammerte. (vgl. Habermas 1996:228). In seinem wenige Jahre später abgefassten Tagebuch, dem sogenannten Glossarium, so Habermas, wird aber klar, dass Schmitt nicht nur den Angriffskrieg, sondern auch den Zivilisationsbruch der Judenvernichtung entkriminalisiert sehen möchte und sich fragt, ob es überhaupt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben könne. Die „Schutz- und Angriffsobjekte“ solcher Verbrechen seien nicht hinreichend präzise umschreibbar: „Genozide, Völkermorde, rührender Begriff; ich habe ein Beispiel am eigenen Leibe erlebt: Ausrottung des preußisch-deutschen Beamtentums im Jahr 1945.“ „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sei nur die generellste aller Generalklauseln zur Vernichtung des Feindes.“ Der Sinn dieses Zynismus wird klar, wenn er diese Polemik zur Abwehr der politischen Schuld von Deutschen begreift. „Es gibt Verbrechen gegen und Verbrechen für die Menschlichkeit. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden von Deutschen begangen. Die Verbrechen für die Menschlichkeit werden an Deutschen begangen.“ (C. Schmitt, Glossarium (1947-1951), Berlin 1991: 113, zit. nach Habermas 1996:229)

Die von Habermas nachgezeichnete Entwertung universalmoralischer Dimensionen dient Schmitt offenkundig dazu, zum einen die Entwertung des Krieges als solchen abzuweisen, zum anderen aber kommt für ihn der totalitären Ausweitung der Kriegführung auf nichtmilitärischem Gebiete ein geradezu volkshygienischer Verdienst zu: Der Schritt über das rein Militärische hinaus bringt nicht nur eine quantitative Ausweitung, sondern eine qualitative Steigerung. Daher bedeutet er (der totale Krieg) keine Milderung, sondern eine Intensivierung der Feindschaft. Mit der bloßen Möglichkeit einer solchen Steigerung der Intensität werden dann auch die Begriffe Freund und Feind wieder politisch und befreien sich auch dort, wo ihr politischer Charakter völlig verblasst war, aus der Sphäre privater und psychologischer Redensarten.“ (C. Schmitt 1963, zit. nach ebd.)

Habermas folgert, dass für Schmitt das zu vermeidende Übel nicht der totale Krieg ist, sondern der Zerfall einer Sphäre des Politischen, die auf der klassischen Trennung von Innen- und Außenpolitik beruht und in der stattdessen der Kampf gegen äußere, beliebig definierte Feinde als Lebenselixier des Politischen der Nation weitergelten müsse. Die Substanz des Politischen solle sich nur im Medium der Tötungs- und Todesbereitschaft einer Nation erneuern können, weil das Politische selbst seinem Wesen nach auf „die reale Möglichkeit der physischen Tötung“ bezogen ist. „Politisch“ ist die Fähigkeit und der Wille eines Volkes, den Feind zu erkennen und sich gegen „die Negation der eigenen Existenz“ durch „das Anderssein des Fremden“ zu behaupten (ebd.) Habermas hebt im weiteren die vitalistische Aufladung des Politikbegriffs hervor, die mit der Vorstellung verbunden ist, dass sich die kreative Kraft des Politischen in eine zerstörende Kraft verwandeln muss, sobald ihr die internationale Wolfsarena „der erobernden Gewalt“ verschlossen wird (ebd.: 231). Krieg ist für Schmitt offenkundig gleichsam eine Art volkshygienischer Entfesselung destruktiv-aggressiver Triebkräfte, auf die sich der Intensitätsgrad des Politischen allein beziehen lässt. Vor dem Hintergrund seiner pessimistischen Anthropologie – in der Tradition einer Ästhetik der Stahlgewitter – kann eine völkerrechtliche Abschaffung von Krieg nur als (Selbst-)Zerstörung, als Selbstaufgabe der Nation, des Volkes und der Macht gedacht werden.

Die von radikalen Neokonservativen wie Richard Perle offen betriebene Preisung des Krieges, die Notwendigkeit einer strikten Unterscheidung von Freund und Feind, die Selbstbefähigung zu Tötung und zum Opfer für das Vaterland steht in einer rechtsautoritären  Tradition. Selten allerdings ist die Emphase für die Notwendigkeit, gegen einen als übermächtig portraitierten Feind Krieg zu führen, so scharf ausgeprägt wie in dem von Richard Perle und David Frum, dem Erfinder der Bushschen „Achse des Bösen“, verfassten Buch „An End to Evil: How to Win the War Against Terror“. Dieser Text war ein Aufruf zur staatsterroristischen Gewalt im Namen der Verteidigung gegen einen als weltgefährlich gezeichneten Feind, den Islam als einer Religion des Terrors. Anne Norton hat die paranoide Botschaft von Perle und Frum, die von keinem Rechtsextremisten schärfer formuliert werden könnte, so zusammengefasst: Die Terroristen werden von moderaten Muslimen in der gesamten Welt einschließlich der muslimischen Minderheiten des Westens unterstützt. Muslime sind gefährlich. Amerikaner müssen muslimische Nachbarn polizeilich kontrollieren. Keinem Muslim darf man trauen: nicht dem Professor, nicht dem FBI-Agenten, nicht dem Nachbarn. Alle müssen beobachtet werden. Alle sind gefährlich. Die amerikanische Gesellschaft muss lernen, „nicht nur den Muslimen zu misstrauen, sondern auch ihren fellow travelers von Nicht-Muslimen im Westen“ (Perle/Frum, zit. nach Norton 2004:212). Die USA und Israel müssen gegen den Islam aufstehen. „Die Vereinigten Staaten müssen den Sturz des terroristischen Regimes in Syrien, und den der terroristischen Mullahs im Iran vollziehen.( …) Es wird keinen Mittelweg für Amerikaner geben: es gibt nur Sieg oder Holocaust“ (Perle/Frum, zit. nach Norton 2004: 211)

Führende Neokonservative plädierten für einen in Zeit und Raum entgrenzten „Welt“-Krieg gegen einen ebenso umfassenden, als Weltterrorist gehandelten Feind: die islamische Welt. Sie verbinden dies mit einer radikalen autoritären Ideologie eines „humanitären Interventionismus“, der es erlaubt, bei politischem Bedarf jederzeit und an jedem Ort mit den Mitteln, die ihnen gerechtfertigt erscheinen, einem als tödlich gefährlich wahrgenommenen Feind der Menschheit präventiv zuvorzukommen. Sie verknüpfen damit die Argumente nationalistischer Souveränität zur Verteidigung mit einer scheinbar idealistischen Aufladung, Kriege im Dienste von Menschheitszielen – im Namen der Freiheit – durchführen zu müssen und entziehen sich damit jeder internationalen Rechtsraison. Mit dem Plädoyer für Willkür reformieren sie nicht, sondern zersetzen jedes, nicht zuletzt auch internationales Recht.

Nach dem Bombenattentat vom 7. Juli 2005 in London notierte der Spiegel (28/2005): „Unter Experten gilt der Irak-Einsatz der Kriegskoalitionäre Bush und Blair als größter Rückschlag in der Terrorbekämpfung. CIA-Mitarbeiter ließen in einer Studie im Januar keinen Zweifel daran, dass der Irak heute das ist, was Afghanistan einst war: terroristisches Rekrutierungs- und Übungsgebiet. Dazu eine ständige Werbemaßnahme für alle islamistischen Fanatiker der Welt. Die ruchbar gewordenen Foltereien in den Gefängnissen Abu Ghraib und Guantánamo hatten moderate Muslime auch in den westlichen Ländern empört.“

Die militärisch verengte „bewaffnete Demokratisierungs“-Strategie der USA war für die gesamte Region, von Bush einst als Schritt gegen den Terrorismus propagiert, mit dem Desaster im Irak weitgehend blockiert. Noch gravierender: Die Krisenzeichen der US-amerikanischen Außenpolitik mit imperialem Anspruch wurden indes von dieser noch als Beleg für mehr Standhaftigkeit und ein lähmendes „Weiter und jetzt erst recht so“ benutzt: Amerikanische Außenpolitik unter Bush wirkte infolge ihrer dogmatischen Verengung auf militärisch gestützte imperiale Ansprüche – bei gleichzeitiger Überdehnung zunehmend selbst (gefährlich) gelähmt. Schließlich hielt Amerika wider seine eigene Menschenrechtstradition an Folter und dem Lagersystem von Guantánamo und damit einem permanenten Ausnahmezustand fest. Anfang Juli 2005 verteidigt US-Präsident Bush bei seinem Dänemark-Besuch das Lager von Guantánamo „als unter humanitären Gesichtspunkten vollständig in Ordnung.“ (taz vom 7. Juli 2005).

Nach dem neokolonialen Triumph

Dabei war der Aufstieg der Machtallianz aus Neokonservativen und christlichen Fundamentalisten unter Bush nach dem 11. September 2001 zum Triumph geraten: „Wir haben uns durchgesetzt!“ (Bill Kristol im Interview im Oktober 2003 in Washington). Die Neokonservativen schienen sowohl mit ihrer Entschiedenheit in der Feindbestimmung wie in ihrer Entschlossenheit zum Präventivkrieg – unabhängig von der Unmittelbarkeit einer tatsächlichen Bedrohung – in den Augen des Präsidenten eine faszinierende Antwort auf die Situation nach dem September 2001 für die Weltmacht zu bieten. Gestützt auf das in die Administration berufene, weitverzweigte Netzwerk setzten sie nach dem Afghanistan-Krieg den präventiven Krieg gegen den Irak durch. Sie re-mobilisierten dazu die bewährte Kooperation zwischen revolutionär-konservativen „Neokonservativen“ und einigen Mitgliedern der in der Republikanischen Partei weithin dominierenden fundamentalistischen Rechten, die als Einflussgruppe vom Präsidenten nach dem 11. September systematisch genutzt wurde. Neokonservatives Netzwerk und konservativer Präsident konnten sich auf eine politische Kultur der Polarisierung in der Innen- und Außenpolitik stützen, die durch die Erfahrungen der Macht während der Reagan-Administration und die in der Opposition zur Clinton-Präsidentschaft radikalisierte Medien- und Think-Tank-Landschaft erhebliche Erfolge aufwies.

Dem neoimperialen und neokolonialen Anspruch der Bush-Revolution fehlte es darüber hinaus an einer ausbuchstabierten positiven Vision für die (neue) internationale Ordnung. Im Zentrum steht stattdessen der Kampf gegen das Böse. Die Kosten des Anspruchs auf ein Empire erwiesen – auch deswegen – sich als hoch. Neokonservative und mit ihnen die Bush-Administration stellten, wie Michael Lind lakonisch schreibt, „ihre Ideologie über die nüchterne Analyse der Militärs und Aufklärungs-Experten. (…) Mindestens zwei Jahrzehnte lang haben die Neokons sich in der Außenpolitik über so gut wie alles geirrt. Als die Sowjetunion am Rande des Zusammenbruchs stand, erklärten die Falken des Team B und das Committee on The Present Danger, sie stehe an der Schwelle zur Weltherrschaft. In den 90er Jahren übertrieben sie Chinas Macht und Gefährlichkeit (…). Die Obsession der Neokons mit Saddam Hussein und Yassir Arafat ging soweit, dass sie die wachsende Bedrohung durch Al Qaida übersahen. Nach 9/11 forcierten sie den Einsatz unwirksamer Allheilmittel wie des Präventivkriegs und der Raketenabwehr als Lösung für Probleme wie Flugzeugentführer und Selbstmordattentäter.“

Nach Charles Kupchan, Professor an der Georgetown University Washington, beruhte die neokonservative Ideologie vom Empire auf dem Vertrauen, dass „die Vereinigten Staaten die Retter der Welt sind, sein sollen und sein können, sobald sich amerikanische Macht mit amerikanischen Zielsetzungen verknüpft. (Nur) dies kann (und wird) der Welt und ihren Bewohnern Frieden und Demokratie bringen – eine revolutionäre radikale Ideologie, die die amerikanische Militärmacht als Plattform benutzt, der Welt Demokratie und Frieden im globalen System zu liefern. Sie beruht auf dem unbedingten Glauben an die Richtigkeit der Vereinigten Staaten und ihres Wertesystems und der daraus resultierenden Vorstellung, dass das amerikanische System weltweit implantierbar ist“ (Interview National Press Centre, Washington 14. Oktober 2003).

VI. Fragen und Konsequenzen aus dem doppelten Desaster Afghanistan Irak

(1)Dies sind einige Anmerkungen für eine militärisch verengte Außenpolitik der US-amerikanischen politischen Rechten in den Kriegen gegen den Terror, wie in Afghanistan und dem Irak. Sie mögen zeigen, dass unter dem Begriff der westlichen Werte Unterschiedliches und Gegenläufiges subsumiert wird. Es kann sich wie im Fall der Strategie der US-Rechten um eine neoimperiale Dominanzstrategie handeln; es kann sich dagegen auch um eine zielgerichtete Verteidigung und Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie handeln, welche in der Tat darauf abgeprüft wird, ob sie perspektivisch das Ziel erreicht und nicht von anderen Dominanzüberlegungen geprägt ist.

(2)Zu den Konsequenzen sollte gehören, aus den Erfahrungen in Afghanistan und der nicht zielführenden imperialen Dominanzstrategie der radikalen Neokonservativen und von Bush junior kritisch zu lernen und genauestens zu prüfen, ob militärische Interventionen oder gar Kriege tatsächlich zur Stärkung von Menschenrechten und Demokratie führen, darin effizient sind oder ob durch das Mittel des Krieges, von Waffen und der Entfesselung von Opfern die besten Absichten aufgezehrt und durch Spiralen von Gewalt verkehrt werden.
In Afghanistan sollte das Netzwerk von Al-Kaida getroffen werden; ein Großteil der Attentäter von New York aber stammt aus anderen arabischen Ländern, nicht zuletzt aus Saudi-Arabien. Die Fixierung auf die Terrorbekämpfung hat die Überlegungen und Strategien zu einem demokratischen Aufbau an die Seite gedrängt; an den Ressourcen des State Department war die Bush-Administration nicht einmal interessiert. Dies hat der Besatzung eine Färbung verliehen, gegen die etwa die Ideen und Initiativen der deutschen Beteiligung nicht ankamen. (Der gegenwärtige Präsident hat wie schon in seiner Rolle als Vizepräsident unter Obama versucht, diese Form diese Besatzung zu beenden, ohne allerdings – ein schwerer Fehler – Bedingungen für einen einigermaßen erträglichen Übergang für die Menschen und die Gesellschaft im Afghanistan hergestellt zu haben.)
Im Irak hat der gleiche Präsident Bush junior einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf einer systematischen Lüge, der Diktator Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen,  und eine  verheerende Besatzung entschieden, an dessen Ende nicht nur Millionen Opfer zu beklagen sind, sondern auch als Resultat dieses Kriegs gegen den Terror sich der Terror ausgebreitet und mit dem IS auch in Syrien und in Europa lange Zeit sein Unwesen getrieben hat. (Vgl Funke 2006)
Damit sind beide Kriegsabenteuer von Bush junior, erst recht was dessen Absichten anlangt,  gescheitert.


(3) Stattdessen wäre es notwendig gewesen, dass die Vereinigten Staaten ihre eigenen Verbündeten Pakistan und Saudi-Arabien in Ideologie und der Praxis der Unterstützung von Gewalt und Terror einzudämmen versucht hätten.
Strategien, Terror einzudämmen, sind gehalten sich darauf überprüfen zu lassen, ob sie dies mit angemessenen Mitteln und effizient tun, ohne neuen Terror zu produzieren oder sogar wie im Fall der Vereinigten Staaten in diesen beiden Kriegen mehr Terror als zuvor auszulösen. (Wie sehr Fehler dabei begangen werden können, zeigen ja die unzureichenden Versuche, den inländischen Terror etwa in Deutschland angemessen zu erkennen und zu bekämpfen. (Vgl Funke: Staatsaffäre NSU. Münster 2015)


(4)Das heißt nicht, dass es nicht begründete und erfolgreiche bewaffnete Interventionen und Kriege zur Vermeidung und Begrenzung schwerster Kriegs- , Menschenrechtsverbrechen und Genozide gab und geben muß, nicht zuletzt den Sieg über den Nationalsozialismus und die daran anschließende Politik der Besatzung für Demokratie im westlichen Deutschland. Und: Es wäre wichtig gewesen, ein robustes Mandat der Vereinten Nationen gegen drohenden Genozid in Bosnien schon 1992 wirkmächtig zu etablieren und nicht erst nach dem absehbaren Genozid von Srebrenica im Juli 1995. (Vgl Funke/Rhotert: Unter unseren Augen. Berlin 1999) Es wäre angemessen gewesen, in Ruanda 1994 gegen den dortigen Genozid das UN-Mandat in ein robustes zu verwandeln statt zu fliehen.

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Mylius, Marten/ Jaenicke, Matthias 2003: Der Einfluß der Neuen Christlichen Rechten und der Neokonservativen auf die Nahostpolitik der Bush-Administration. Unv. Projektkursarbeit am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin

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Parin, Paul 1991: Es ist Krieg und wir gehen hin. Berlin

Perle, Richard/ Frum, David 2004: An End to Evil: How To Win The War Against Terror. New York

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Podhoretz, Norman 1982: Why We Were in Vietnam. New York

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Walzer, Michael 1980: Just and Unjust Wars

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Yousaf, Mohammed/Adkin, Mark 1992: Die Bärenfalle. Der Kampf der Mudschahedin gegen die Rote Armee, Düsseldorf


[1] Diese Anmerkungen beruhen unter anderem auf meinen Publikationen: Der amerikanische Krieg. Berlin 2003; Gott Macht Amerika. Berlin 2006 und Das Erbe des Rassismus in den Vereinigten Staaten, in Funke 2021: Black Lives Matter in Deutschland – sowie Seminaren am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

[2] Tagesschau vom 20.8.21: Interview (in Ausschnitten) mit dem in Afghanistan zeitweise leitenden General David Petraeus zur afghanischen Armee: „Sie hatten plötzlich keine Rückendeckung mehr“. David Petraeus: „Einige von uns hatten Alternativen vorgeschlagen, von denen ich glauben möchte, dass sie die jetzige Situation verhindert hätten. Wir sollten aber vor allem anerkennen, dass wir jetzt eine moralische Verpflichtung haben gegenüber denjenigen, die ihr Leben und das ihrer Familien aufs Spiel gesetzt haben, indem sie uns gedient haben. Es wird jetzt wichtig, zu sehen, wie wir dieser moralischen Pflicht in den kommenden Tagen und Wochen nachkommen.

(Es hätte) weiterhin moderate Streitkräfte, die vor allem viele Drohnen und Luftwaffe vorhalten, (gebraucht). Man muss dranbleiben. Schauen Sie, wie lange wir in Korea geblieben sind. Es ist kein Kriegsgebiet mehr, aber wir haben noch über 30.000 Streitkräfte dort. Ich meine, wir haben noch über 30.000 Streitkräfte in Westeuropa. Das sind natürlich andere Umstände. Aber Afghanistan war, als wir die Taliban gestürzt haben, eine mittelalterliche Theokratie mit einem ultrafundamentalistischen islamistischen Regime. Da konnte man natürlich nicht erwarten, dass wir in 20 Jahren einen Staat wie die Schweiz draus machen. Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt, das wird Jahrzehnte brauchen, nicht Jahre.

(…)  Die Fakten sind, dass 27-mal so viele afghanische Sicherheitskräfte im Kampf für ihr Land gestorben sind wie US-Amerikaner. Ich bedauere diese Aussage [von Joe Biden], denn aus meiner Zeit als Kommandeur weiß ich, wie hart die Afghanen Seite an Seite mit unseren Frauen und Männern in Uniform gekämpft haben. Die Afghanen haben in riesiger Anzahl gekämpft, bis sie jetzt plötzlich gemerkt haben, dass ihnen keiner mehr Rückendeckung gegeben hat. Dass unsere Luftwaffe nicht mehr da war. Ich denke, das war vor allem der ausschlaggebende Punkt für ihre Kapitulation und letztlich für den psychologischen Zusammenbruch der afghanischen Sicherheitskräfte. Die Situation, in der sie sich aufgrund unserer politischen Entscheidung [des Abzuges] befanden, war eine ausweglose. Wie kann man von Streitkräften erwarten, dass sie kämpfen, wenn sie wissen, dass keiner mehr zur Unterstützung kommt?“

[3] Tagesschau vom 16.8.2. Aus dem Interview mit Thomas Ruttig:„Man hat von Anfang an auf einen verengten und falschen Kreis von Leuten gesetzt, und damit meine ich nicht in erster Linie die Präsidenten und ihre Kabinette und Berater. Sondern ich meine die Warlords, auf die man als Hauptkraft im Kampf gegen die Taliban gesetzt hat. Man hat ihnen dafür große Teile des politischen Systems überlassen und die Augen vor ihrer Korruption, Verwicklung in den Drogenhandel, Kriegsverbrechen und schlimmsten Menschenrechtsverletzungen verschlossen. Das hat das untergraben, was eine entstehende afghanische Demokratie hätte sein können. Das war der eigentliche Fehler. Die Warlords waren das zersetzende Element in dem neuen Afghanistan, und sie haben jetzt auch nicht lange gegen die Taliban durchgehalten.

tagesschau.de: Wir sehen verzweifelte Szenen am Flughafen von Kabul – gibt es noch Chancen, das Land zu verlassen und rechnen Sie mit einer größeren Flüchtlingswelle?

Ruttig: Die Taliban kontrollieren seit langem die Grenzübergänge und es muss sich erweisen ob sie bei ihrer Zusagen bleiben, sie würden niemanden daran hindern, das Land zu verlassen. Aber die Fahrt dorthin bleibt gefährlich, und die Leute wagen nicht, sich auf den Landweg zu begeben, weil sie nicht wissen, ob nicht doch unterwegs Taliban-Kommandeure ihr Mütchen kühlen wollen. Das ist hochriskant. Wichtig wäre, dass die Amerikaner sich mit den Taliban abstimmen, dass es für die Leute im Flughafen und diejenigen davor einen geregelten Abflug geben kann. Man hat ja den ehemaligen Mitarbeitern und Partnern aus den zivilgesellschaftlichen Projekten und Journalisten zugesagt, sie auszufliegen.

Ruttig: Was die Ortskräfte der Bundeswehr und der zivilen deutschen Ministerien und Einrichtungen anbelangt: Die hätte man schon vor vier bis acht Wochen ausfliegen können und müssen. Dass jetzt erst Flugzeuge losfliegen, ist ein Totalversagen der Bundesregierung. In Kabul sitzen Ortskräfte fest, die auf private Initiative von Bundeswehrsoldaten und anderen gerettet wurden – und die standen lange ganz oben auf der Racheliste der Taliban. Da noch Botschaftspersonal auf dem militärischen Teil des Kabuler Flughafens ist, kann es sein, dass man sich nur noch auf die eigene Evakuierung konzentriert.

tagesschau.de: Man hat also Wochen verstreichen lassen, um Menschen zu helfen, die und jahrelang geholfen und auf die wechselseitige Solidarität vertraut haben.

Ruttig: Das wird schon sehr lange von Partnern und auch ehemaligen Partnern dieser Afghanen öffentlich kritisiert, aber die Bundesregierung hat immer wieder verzögert, hat Versprechungen gemacht, Dinge zu prüfen, die nie eingehalten wurden – das schließt auch die Bundeskanzlerin ein, die zum Beispiel über Charterflüge gesprochen hat. Während die Bundesregierung es bis noch vor wenigen Tagen für möglich hielt, Charterflüge nach Kabul zu schicken, um abgelehnte Asylbewerber abzuschieben, wollte sie die andere Maßnahme nicht ergreifen. Das ist ein riesiger Skandal. Dafür sollten sich Politiker verantworten müssen.“

Abschreckend ist die Reaktion derjenigen, die den Afghanen empfehlen, im Land zu bleiben  bzw sie als rückständig  rassistisch abzuwerten.

[4] Vgl Funke 2003, 2006

[5] Vgl Funke 2003

[6] Mit aktualisierten Auszügen aus Funke: Gott Macht Amerika. 2006

[7]                 Hymne 294, „Power in the Blood“ von L. E. Jones, 1899. Siehe auch Audio unter:http://www.friendshipbaptistchurch.com/hymn/bphym159.mid. Vgl auch : ww.believers.org/believe/bel207.htm „Pleading the Blood of Jesus is not begging, it is a legal term.“(…) “However the enemy comes, he can be overcome by the Blood of the Lamb and the word of our testimony. We have victory over every evil because of Jesus‘ shed Blood.“

[8]              Vgl. http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/jesus/president/public.html

[9]              Vgl.: Caldwell, An Evolving Faith… Christian Ethics Today, Issue 044, Volume 9 vom 2.4.2003.

[10]             Vgl Elias Cannettis Definition von Paranoia als einer „Krankheit der Macht“ in Mario Erdheim 2004

[11]             Dieses Weltbild hat sich in der außenpolitischen Doktrin der Bush-Administration niedergeschlagen. Neokonservative waren bei der Formulierung dieser Doktrin federführend, die Christliche Rechte nur am Rande beteiligt. Dies zeigt sich exemplarisch am Project for a New American Century: 1997 forderten spätere Mitglieder der Bush-Administration wie Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Richard Perle zusammen mit (Neo)Konservativen wie Robert Kagan, Frank Gaffney oder Norman Podhoretz eine Abkehr von der Außenpolitik Clintons und eine Rückkehr zur ihrer Ansicht nach erfolgreichen Außenpolitik Reagans – nämlich einer „policy of military strength and moral clarity“, so im Statement of Principles des PNAC. Als Vertreter der christlichen Rechten war lediglich Gary Bauer an der Ausarbeitung dieser neuen Doktrin beteiligt. Diese Strategie sah eine kulturelle, militärische und ökonomische Vorherrschaft Amerikas vor, die langfristig gesichert werden soll. Dazu diente die Doktrin der globalen Dominanz, wie sie in der National Security Strategy (NSS) der USA vom September 2002 niedergelegt war. Diese Strategie bedeutet eine fundamentale Neuausrichtung der amerikanischen Sicherheitspolitik, indem an die Stelle von Systemen kollektiver Sicherheit und der Strategien der Abschreckung und Eindämmung das Recht der USA auf offensive militärische Interventionen und Präventivkriege im Falle einer auch nur zukünftigen Bedrohung Amerikas (insbesondere durch Massenvernichtungswaffen) tritt.

[12] Sie waren stattdessen vornehmlich daran interessiert, den Irak mit der irrigen These anzugreifen, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Ihre Beweggründe bestanden Clarke zufolge vor allem darin, Rache daran zu üben, dass die erste Regierung Bush 1991 Saddam Hussein gestattet hätte, seine Macht zu festigen, eine große feindliche Militärmacht auszuschalten und so die strategische Lage Israels zu verbessern; eine arabische Demokratie zu schaffen, die als Vorbild für andere freundlich gesinnte arabische Länder dienen könnte, eine weitere ungefährliche Ölquelle für den amerikanischen Markt zu sichern und damit die Abhängigkeit von Saudi-Arabien zu verringern (ebd.: 343f.). Präsident Bush war nicht einmal in der Lage, einigermaßen präzise Informationen über angebliche Massenvernichtungswaffen Saddams der Öffentlichkeit mitzuteilen, sondern fabulierte stattdessen von der Gefahr, dass Hussein sich Waffen beschaffen könnte (ebd. 344f.). Insbesondere die ideologische Fixierung Cheneys und des Verteidigungsministers Rumsfeld führte dazu, sich – noch dazu unter Einsatz von Lügen – nicht in Afghanistan auf die Bekämpfung des Al-Qaida-Netzwerks zu konzentrieren, sondern dies zu vernachlässigen und sich mit einer kriegerischen »Großtat« (Bush) zu schmücken. Im März 2003 griffen sie zusammen mit Großbritannien unter Blair und einer »Koalition der Willigen« den Irak völkerrechtswidrig an und entfesselten damit eine Eskalation in der Region, die bis heute anhält. Das führte nicht nur als indirektes Ergebnis zum Terrorismus des »Islamischen Staates«, sondern auch dazu, dass der Westen im Sinne Huntingtons den Kampf gegen den Islam (und nicht nur gegen den islamistischen Terrorismus) aufgenommen und die Spannungen zwischen dem Westen und dem Islam angeheizt hat.

[13] Vgl Funke 2006

[14]             Dieses Kapitel basiert u.a.auf Interviews mit neokonservativen Publizisten: mit Gary Schmitt (PNAC); Bill Kristol (Weekly Standard); Michael Novak; Joshua Muravchik; Danielle Pletka (alle AEI), die ich vom 13. bis 21.10. 2003 in Washington führte, und kurzen Gesprächen mit Richard Perle und Robert Kagan (letzterer während der Aspen-Konferenz zur UNO, am 30.9.2004) in Berlin. Kagan bestritt damals allerdings, je intensiver mit Neokonservativen zu tun gehabt zu haben.

[15]             Die diesem Bild innewohnende Logik beinhaltet für manche auch eine Unterlegenheit konstatierende verschlüsselte Drohung gegen Europa: nicht nur der Bär ist dem Gewehr unterlegen, auch der Mann mit dem Messer.