Noch einmal bietet sich durch den Besuch des Bundeskanzlers in Peking die Chance zur Beendigung der Kampfhandlungen und zu einer friedlichen Lösung des Ukrainekrieges


Der chinesische Sondergesandte Li Hui, der im Auftrag der chinesischen Regierung jüngst in Kiew und in Moskau sowie in anderen Städten Europas Gespräche führte, erscheint in seinem Bericht verhalten optimistisch. Neben den Bemühungen der türkischen und der Schweizer Regierung ist es vor allem die reaktivierte, neue chinesische Initiative, die von wachsender, womöglich entscheidender Bedeutung ist, da sie gleichermaßen von der ukrainischen wie der russischen Regierung anerkannt wird und jene diplomatische, strategische Geduld aufweist, die zu zunächst kleinen ersten Schritten einer Entspannung beitragen kann. Laut „China daily“ vom 23. März 2024 „Envoy: Moscow, Kyiv believe in peace talks“ sieht Li Hui erhebliche Chancen für die chinesische Initiative. Ein längeres Telefongespräch zwischen dem amerikanischen und chinesischen Präsidenten vom 2. April verstärkt die Signale für eine Intensivierung der Kooperation in allen relevanten Fragen, einschließlich der von Krieg und Frieden („China daily“, 3.4.24)

In diesen Wochen scheint es, als geben sich westliche Diplomaten und Politiker in Peking die Klinke in die Hand. Markus Söder war da, Bundeskanzler Olaf Scholz am kommenden Wochenende mit einer großen Delegation, wenig später der US-amerikanische Außenminister Anthony Blinken und erneut Finanzministerin Janet Yellen.

Mehrheiten für mehr Diplomatie, auch in der Ukraine

Wird es dem Bundeskanzler gelingen, mit der Rückendeckung einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung und dem Wissen einer noch größeren Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung, endlich ein Ende der Kampfhandlungen und durch die Unterstützung der chinesischen Initiative eine friedliche Lösung des Ukrainekrieges zu erreichen?

Wie in Deutschland wollen auch die Menschen in der Ukraine eine diplomatische Lösung.

Selenskyis Vorgabe, den Krieg gewinnen zu wollen, einschließlich Krim und Sewastopol ist inzwischen gänzlich aussichtslos und führt zu mehr Leid

Es ist der Ukraine bisher nicht gelungen, und es wird ihr auch nicht gelingen, Russland eine militärische Niederlage zuzufügen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wissen längst, dass der Krieg absehbar nicht zu gewinnen ist. Inzwischen suchen Greifertrupps teils gewalttätig in den Städten nach Personalersatz für die ukrainischen Streitkräfte. Das gesetzliche Alter der Wehrpflichtigen ist auf 25 Jahre abgesenkt worden, um 400.000 Soldaten zu rekrutieren. Selbst wenn der US-amerikanische Kongress doch noch 61 Mia. USD freigibt, reicht das für einige Monate, führt aber auch nicht zu einer Veränderung der Kriegslage.

„Es gibt nichts, was der Ukraine jetzt helfen könnte. Denn es gibt keine ernst zu nehmenden Technologien, mit welchen die Ukraine die große Masse an Truppen kompensieren könnte, die Russland wahrscheinlich auf uns werfen wird. Wir verfügen nicht über diese Technologien, und der Westen auch nicht in ausreichender Zahl“, so ukrainische Militärs gegenüber dem Nachrichtenportal Politico.

Geradezu fern jeder Realität auf dem Schlachtfeld nimmt sich die monatelange Debatte um den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern aus, zumal angenommen werden muss, dass sie russische Ziele einschließlich in Moskau treffen soll, so wie dies ukrainischerseits schon mit den Angriffen auf die Bomber- und Atomwaffenanlagen in Engels bei Saratow an der Wolga geschehen ist.

Eskalationsgefahren aus Verzweiflung?

Im Wissen darum, dass der Sieg nicht mehr erreicht werden kann, lassen sich vermehrt Zeichen einer panisch-destruktiven und selbst-destruktiven Reaktion beobachten.

Erneut  ist – diesmal mit Drohnen – das Kernkraftwerk Sapporischschja angegriffen worden. Wenn das mal schief geht und eine der Kuppeln des Atomkraftwerks durchschlagen wird, braucht die Ukraine nicht weiter über Frieden nachdenken, ebenso wenig große Teile Europas. Diese Angriffe sind inzwischen Ausdruck einer aus unserer Geschichte furchtbaren Weise bekannten Nekrophilie, von Zerstörung und Selbstzerstörung in einem.

Wollen wir die Fortsetzung eines realitätsvergessenen Blindflugs, und das über Jahre? Die bisherigen NATO-Fantasien sind strategisch undurchdacht

Die gegenwärtigen taktischen Überlegungen, die sich auf den schleichenden oder abrupten Rückzug der Amerikaner beziehen, sind bisher kaum durchdacht: Europa kann das bisherige politische und militärische Unterstützung absehbar nicht ersetzen. Zehnjahresverträge, die einzelne NATO-Staaten mit der Ukraine abschließen sollen oder schon getan haben, implizieren, wenn sie ernst gemeint sind, einen ewigen Krieg, mitten in Europa und Spannungen mit mindestens einer Atommacht und vor allem Abnutzung und Zerstörung in der Ukraine selbst und einen irren Strauß an Eskalationswünschen und das entsprechende Chaos. Nachdem das bisherige Mantra einer sich ausweitenden finanziellen politischen und militärischen Unterstützung „solange es nötig ist“, erkennbar nicht und erst recht nicht, wenn die Amerikaner ausscheiden, zielführend ist. Da liegt es näher, tatsächlich zu retten, was zu retten ist, und das ist bei alsbald beginnenden Verhandlungen die Vermeidung einer gänzlichen Niederlage der Ukraine und die Erhaltung der Ukraine als funktionierende staatliche und gesellschaftliche Nation.

Noch eine Chance

Angesichts dieser sich verschärfenden Lage in der Ukraine verstärkt sich unsere Sorge davor, dass es zu einem weiteren monatelangen Schlagabtausch, sich weiter ausweitenden Verlusten der Zivilbevölkerung und nicht zuletzt der Soldaten auf beiden Seiten kommt. Umso wichtiger sind die Friedensbemühungen der Volksrepublik China und ihres Sondergesandten Li Hui zur Beendigung des Ukrainekrieges. Es gibt zurzeit keinen anderen erfolgversprechenden Vermittlungsversuch zwischen der Ukraine und Russland.

Noch einmal besteht die Möglichkeit, diesen grausamen Krieg zu beenden. Eine Verlängerung des Krieges wäre sinnlos und unverantwortlich. Der Krieg kann von der Ukraine auch mit mehr Waffen nicht mehr gewonnen werden und so würde er nur zu unermesslich mehr menschlichem Leiden und Zerstörungen des Landes führen. Das einflussreiche amerikanische Quincy Institute for Responsible Statecraft warnte kürzlich sogar, dass nur noch sofortige Verhandlungen einen totalen Zusammenbruch der Ukraine verhindern könnten. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen. Die Lage ist also ernst und braucht mutige Entscheidungen.

Mit der in diesen Wochen außerordentlich intensiv reaktivierten chinesischen Verhandlungsinitiative verstärkt sich mehr noch als gegenüber der Ukraine der Druck auf die russische Führung, den Staaten wie Deutschland und Frankreich durch ihre Unterstützung der chinesischen Initiative ausweiten können. Ganz abgesehen davon, dass es auch ernsthafte russische Interessen gibt, den Krieg nicht über Jahre auszuweiten, es also ein originäres Interesse an Verhandlungen seitens der russischen Führung gibt und diese auch mehrfach bekundet wurde und getestet gehört!

Wir sollten uns daher für einen Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinie stark machen, um:

(01) dem Leiden und Sterben der Soldaten beider Seiten sowie der Zivilisten ein Ende zu setzen, und

(02) einen weiteren Vormarsch russischer Truppen auf ukrainisches Gebiet zu verhindern, und somit die dauerhafte Unabhängigkeit der Ukraine als Staat sicherzustellen, und

(03) die Gefahr einer weiteren Eskalation (bis zum Atomkrieg) einzudämmen.

Alles Weitere, insbesondere eine menschen- und völkerrechtskonforme Regelung für die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete, soll im Nachgang auf dem Verhandlungsweg geklärt werden.

Berlin, den 11. April 2024