Hajo Funke|Nachruf auf Ulf Kadritzke


Ulf Kadritzke ist tot 

Der Schock über den plötzlichen Tod von Ulf Kadritzke, des so sehr geschätzten Soziologen, kapitalismuskritischen Forschers und langjährigen Professors für Industrie- und Betriebssoziologie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin könnte nicht größer sein. Sein langjähriger Freund und politischer Weggefährte Rudi Schmidt teilte es gerade per Mail mit. Er wurde 77 Jahre alt.

Er war es, zusammen mit seinem Bruder Nils und wenigen anderen, der im berühmten Intensivseminar über radikale Demokratien von Alexander Schwan am Otto-Suhr-Institut als Student der Soziologie an der FU im entscheidenden Semester der Studentenbewegung, im Sommer 1967, die spannendsten Nachfragen und Beiträge in die Seminardiskussion einbrachte. Das Besondere an ihm war, dass er so radikal wie verantwortlich war und uns jüngere Studierende vor allzu viel Eskalation und Unfairem gegenüber unseren Gegnern bewahrte. Er hat den Gegner immer wieder ernst genommen und auch, oft persönlich verstanden.

Nie werde ich vergessen, wie er am 11. Mai 1970 in unserer Betriebsgruppe DWM/Basisgruppe Tegel bestürzt erklärte, er habe die ganze Nacht nicht geschlafen, nachdem er erfahren hatte, dass der Gefangene Andreas Baader durch einen furchtbaren Gewaltakt aus einem Institut der FU befreit und der Bibliotheksangestellte dabei schwer verletzt worden war. Die Geschichte des gewalttätigen Untergrunds der sogenannten Roten Armee Fraktion nahm hier ihren furchtbaren Ausgang.

Er wird am soziologischen Institut und später als Professor für Ökonomie und Politik an der Hochschule für Wirtschaft eine der wenigen sein, die später zusammen mit Birgit Mahnkopf, öffentliche Veranstaltungen durchführen, die sehr genau die Schwächen des heutigen Kapitalismus und heutiger Korruption zum Thema machen und auf konstruktive Lösungsstrategien einer solchen Kritik an den Zuschärfungen des Kapitalismus dringen, oft mit Vertretern aus Gewerkschaften und aus Parteien, die dazu eine klare Analyse vorlegen. Das reicht von Vertretern der Gewerkschaft verdi bis kritischen Grünen wie Sven Giegold. Sie alle traten auf und ermöglichten eine kontinuierliche Debatte der Probleme des Kapitalismus in Berlin.

Ich traf ihn auf Demonstrationsveranstaltungen, auf eine der großen „unteilbar“- Demonstrationen gegen den Aufmarsch der gefährlichen extremen Rechten, zuletzt schon zu Corona Zeiten inmitten der Demonstration zur Unterstützung von Black Lives Matter und gegen Trump, nach dem Mord an George Floyd in Minneapolis.

Er hatte ein großes Herz und klagte immer wieder – in den 55 Jahren, die ich ihn kenne und schätze –  politisch-ethische Verantwortung ein. Darin habe ich ihn geschätzt und geliebt und behalte ihn als freundlichen Menschen in Erinnerung.

15. November 2020

Hajo Funke