Hajo Funke|Der Mord an Walter Lübcke und die Mitverantwortung der Hetzer. Ein Aufruf zur Verteidigung der Demokratie


Der Mord an Walter Lübcke und die Mitverantwortung der Hetzer. Ein Aufruf zur Verteidigung der Demokratie

Juli 2019. Von Hajo Funke

Der Mord, die Terrorszene und das Schweigen der Sicherheitsbehörden

Der Mord an Walter Lübcke, dem Regierungspräsidenten von Kassel ist von einem Täter verübt worden, der im Hotspot der terrorbereiten Szene im Umfeld von Combat 18 – der „Kampftruppe Adolf Hitler“ – in Kassel lebte und agierte. Er erklärte in seinem (zurückgezogenen, aber wertvollen) Geständnis, dass er den Mord seit langem als Antwort auf die humane Flüchtlingspolitik des Ermordeten angedacht bzw. geplant hat.

Er hat exakt nach den Vorstellungen terroristischer Formationen wie von C 18, wie sie in den „Turner Tagebüchern“ formuliert worden sind, agiert: im Zweifel allein, aber gebunden an die Ideologie des rechten Terrors und ihrer Netzwerke: C18, Blood & Honour und entsprechender örtlich-regionaler Szenen wie in Kassel: In Form eines „führerlosen Widerstands“, wie wir sie auch von den ideologischen Konzepten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, des NSU kennen. Er agierte in und mit einer rechtsterroristischen Szene und war in dieser Szene aktiv.

Zu diesem Szene- und Kontakt-Netz in und um Kassel gehört das who´s who der C 18 und NSU- Unterstützerszene: Mike Sawallich, Stanley Röske, Michel F, Benjamin G (dem von dem Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas Temme geführten V Mann), Christian W, Bernd Tö, Thorsten Heise, Ralf Wohlleben, Sandro T, Roland S (dem verstorbenen V-Mann aus Baden-Württemberg, der wesentlich für den aggressiven Auftritt von Hogesa im Oktober 2014 in Köln mitverantwortlich war).1

Stephan Ernst im NSU-Unterstützerumfeld2

Im einzelnen: Stefan Ernst war ein Freund des Kasseler Nazis Benjamin G, einem V-Mann mit dem Decknamen Gemüse unter dem V-Mann-Führer Andreas Temme. Benjamin G gehörte über Jahre zur Neonazi- und Hooligan-Szene von Kassel und berichtete seinem Führer auch über Markus E, eine weitere rechte Szenegröße in Kassel. Markus E, Mike Sawallich und auch der Lübcke Attentäter Stephan Ernst waren etwa im August 2002 an (Gewalt-)Aktionen beteiligt. Über Markus E standen sie in Kontakt mit Thorsten Heise, einem der Vordenker der rechten Kampftruppe C18, der vom BKA zu dem als Anführer der „Arischen Bruderschaft“ angesehen wurde, – C18 „eine Art Elite oder übergeordnet organisierte Kameradschaft mit entsprechendem Bekanntheitsgrad“, so das BKA.

Von ähnlichem Zuschnitt ist die „Artgemeinschaft Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“, einst von Jürgen Rieger gegründet, in der Tradition der krudesten Rassenideen Heinrich Himmlers und in welcher Stephan Ernst (nach den Erkenntnissen von Welt am Sonntag am 30. Juni 2019) Mitglied war, ebenso Ralf Wohlleben und sein Freund, der gegenwärtige Leiter der Artgemeinschaft, Jens Bauer, bei dem Wohlleben wohnt. Vier der fünf Angeklagten, die im Münchener Prozess verurteilt worden sind, unterhielten nachweislich freundschaftliche Beziehungen zu Mitgliedern der Gemeinschaft oder nahmen an deren Veranstaltungen teil. Neben Wohlleben waren dies Beate Zschäpe, Holger Gerlach und André Eminger. (Ebd)

„Eine ganze Reihe von engen Freunden und Unterstützern des NSU-Trios (…) bewegten sich im Umfeld der Gruppe, einer von ihnen war der Thüringer Ex-NPD-Kader und Mitangeklagte im NSU Prozess, Ralf Wohlleben“ (ebd), der steuernde Stratege im Unterstützerumfeld des NSU.

Zur Naziszene und ihrer Verbindung zum NSU in Kassel gehört auch Bernd Tö, der aus der Haft angeboten hatte, Aussagen zum Thema NSU zu machen, wenn man ihm Hafterleichterungen zusage. Er habe die beiden männlichen Täter einer Garagenparty in Zwickau kennengelernt, vermittelt über den Kasseler „Sturm 18“, beide sollten an einer Geburtstagsfeier des Stanley R teilgenommen haben, auf der auch die Band „Oidoxie“ gespielt hab – kurz vor dem Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006. Er wisse ebenfalls die Anlaufpunkte in Nürnberg und dass die dort begangenen Morde mit dem ehemaligen Netzwerk Blood & Honour zusammenhängen. All das seien Indizien für einen gewissen Zusammenhang zwischen dem neunten Mord des NSU in Kassel und der dortigen Szene. (Vgl. ebd)

Die Behörde verfasste mit der Unterschrift von Iris Pilling einen 230 Seiten Bericht, im Jahr 2012 verfasst, zwei Jahre später einen hessischen Innenminister gesandt und (gegenwärtig) für Jahrzehnte als geheim eingestuft. Aust/Laabs gehen davon aus, dass sich praktisch alle Neonazis im Umfeld des Lübcke-Mörders in den 230 Seiten wiederfinden – und deren V-Leute, bei denen ohnehin nicht immer klar ist, auf welcher Seite sie tatsächlich stehen und für welche Sache sie kämpfen. (Vgl ebd)(Und es ist ja nicht ausgeschlossen, dass selbst Stephan Ernst einmal V-Mann war)

Hessischer Skandal der Geheimhaltung

Es ist in der Verantwortung nicht nur des hessischen Innenministers, sondern vor allem auch des langjährigen Innenministers und jetzigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und der mitregierenden grünen Partei, die absurde, die Sicherheit verschlechternde Geheimhaltung alsbald lückenlos den Zuständigen, vor allem der Generalbundesanwaltschaft zu übermitteln und zu veröffentlichen. Wir wissen nämlich nicht, wer neben Benjamin G und Andreas Temme noch mit den Verfassungsschützern in Hessen kooperiert hat, womöglich auch im Mordfall Lübcke. Schon jetzt hat diese Art unverständlicher Geheimhaltung die Sicherheitsbehörden in Hessen enorm geschwächt und womöglich mit die Bedingungen für den Mord an Walter Lübcke überhaupt eröffnet.

Die Tatsache, die den regionalen Verfassungsschutzbericht über die hessische rechte Gewaltszene Jahrzehnte geheim zu halten, ist geradezu die Bestätigung dafür, dass hier Informationen bewusst verborgen und so Sicherheitsbehörden blind gemacht wurden, auch die, die womöglich den Mord an Walter Lübcke hätten verhindern können. Die Sicherheitsbehörden, insbesondere die Verfassungsschützer haben ein ungeheures Wissen über die gewaltbereiten und rechtsterroristischen Netzwerke in Deutschland, ohne dies angemessen verlässlich den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen, vielmehr vielfach vorzuenthalten. Das erklärt das Versagen im NSU Fall (vgl Funke 2018: Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz).

Verfassungsschützer haben – das zeigen die brillanten Untersuchungsergebnisse der Untersuchungsausschüsse in Thüringen, Hessen (über das Minderheitenvotum) und NRW – dieses Wissen gehortet, dass allenfalls nur wenigen auf Geheimhaltung verpflichteten parlamentarischen Kontrollgremien vorbehalten ist, die daraus nichts machen können, weil die Geheimhaltung so hermetisch ist. De facto ein Ausnahmezustand in einem Rechtsstaat, der diesem nicht gerecht wird und die Sicherheit der ihnen Anvertrauten bis zu Mord gefährdet. Der Mord an Lübcke hätte wie der an den NSU Opfern mutmaßlich verhindert werden können, ebenso wie die nächsten Morddrohungen und Morde, die mit der bisherigen Struktur der Sicherheitsbehörden nicht vermieden werden können. Die Sicherheitsbehörden haben seit Jahrzehnten immer wieder und in den 20 Jahren NSU verharmlost, geleugnet oder aktiv zugesehen wie in jenem besonders dramatischen Fall Thüringen und dem dortigen absoluten Quellenschutz für den langjährigen V-mann des Verfassungsschutzes Thüringen und später wegen mehr als 150fachen Kindermissbrauchs verurteilten Gewaltverbrechers Tino Brandt.

Wir brauchen nichts weniger als eine Revolution des Informationsaustauschs, der Auswertung und der operativen Umsetzung in den deutschen Sicherheitsbehörden zur Abwehr des Rechtsterrors

Das ungeheure Wissen darf nicht weiter gehortet werden, sondern muss ausgewertet und operativ für die Polizeien umgesetzt werden, damit die Zahl der Gefährder nicht bei wenigen Dutzend – gegenwärtig seien es genau 39, vor geraumer Zeit wider besseren Wissens der Verfassungsschützer bei absurden 4 – bleibt und auch nicht abstrakt bei den nicht beobachtbaren 12.700 Gewaltbereiten, sondern bei den mehreren 100 Gefährdern, die an verschiedenen Knotenpunkten auch untereinander in verschiedenster Weise sich kennen oder gegenseitig stützen, aber für die jeweiligen Taten nach dem Prinzip des führerlosen Widerstands alleinverantwortlich sein wollen.

Dazu braucht es den zivilcouragierten Aufklärungswillen an der Spitze der Sicherheitsbehörden, der es tatsächlich erzwingt, dass die relevanten Informationen zeitnah ausgetauscht und operativ gemacht werden. Die Abteilung Rechtsterror der Generalbundesanwaltschaft versucht diesen Weg zu gehen, auch dadurch, dass sie die Informationen der nebeneinander arbeitenden Sicherheitsinstitutionen wie Polizei (Bundeskriminalamt) oder Verfassungsschutz selber auf Vollständigkeit, Präzision und Aktualität prüfen kann, so dass eine angemessenere Gefährder-Lage entwickelt werden kann, wie dies hätte als Konsequenz des NSU-Desasters längst geschehen müssen.

Diese Fundamentalreform jetzt ist umso dringlicher, als die Mobilisierung rechtsextremer Gewalt auf einer anhaltenden Hass- und Hetze-Welle gegen Minderheiten als vermeintlichen Sündenböcken in sozialen Medien und in rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen und Parteien anhält und noch zunimmt.

Hetze wird Gewalt“ (SZ)

Unkontrollierte Gewaltdynamik. Die Rolle der radikalnationalistischen Hetzer.

Das AfD-Fanal von Chemnitz

Am 1. September 2018 hat die AfD den braunen Rubikon überschritten: Keineswegs zufällig sondern in einem Büro dieser Partei vorbereitet und verabredet, demonstrierten Vertreter einer Partei im Bundestag das erste Mal seit 1949 mit extremen Rechten von Pro Chemnitz und gewaltradikalen Neonazis aus der Hooligan-Szene in Chemnitz.

Unmittelbar danach entfesselte sich eine neue Welle rassistischer Gewalt. Es gehört zu den mutigen Entscheidungen der Generalbundesanwaltschaft, eine gerade neu gebildete Gruppe, „Revolution Chemnitz“, die auf ihren Chats beobachtet wurde und am 15. September einen vergleichsweise kleinen Gewaltakt vollzogen, Anfang Oktober 2018 als terroristische Vereinigung festzusetzen. Auch deswegen , weil sie am 3. Oktober 2018 zum Einheitsfest in Berlin einen großen Anschlag vorbereitet habe und diesen in die Schuhe der Linken schieben wollte, um so in einer Atmosphäre des Chaos ein neues Maß an Gewalt zu entfesseln. Typisch für diese Gruppe ist, dass sie aus altbewährten Gewaltkadern des Sturm 34 aus Mittweida und aus neu gebildeten Anhängern besteht, die sich durch die Zuspitzung der Ereignisse in Chemnitz entfesselt fühlten, nun als Terrorgruppe zuzuschlagen.

Der politische Mord an Walter Lübcke – und die Verstrickung von Teilen der AfD. Die Walther-Pistole auf dem Posting der Erika Steinbach

Der Mord an Walter Lübcke ist in dieser Eskalationstradition zu sehen. Am 19. Februar 2019 wurde die Hetzkampagne gegen Walter Lübcke durch eine zentrale Repräsentantin der AfD, die Leiterin der Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach auf ihrem sozialen Medium mit angezettelt. Die Antwort, die bis Mitte Juni auf diesem Posting zu sehen war, war eine Walther Pistole: eine Form des direkten Mordaufrufs, den Erika Steinbach nicht gelöscht hat.

Dies ist eben nicht nur eine Meinungsäußerung, die sie nicht eingeschränkt sehen will, sondern mehr: ein Mordaufruf): Dreieinhalb Monate vor seinem Mord war Lübcke erneut Opfer einer Hetzkampagne. Bildlich gesprochen legte der eine die Waffe aufs Posting, der andere grub sie aus seinem Erdloch. Es ist für die Entwicklung der demokratischen politischen Kultur entscheidend, diesen indirekten – keineswegs juristischen, aber gesellschaftlich höchst relevanten – Zusammenhang einer Mitverantwortung anzuerkennen: Denn politische Morde finden – das zeigen einschlägige Untersuchungen – gehäuft in Zeiten aufgeheizter, ja aufhetzender Stimmungsmache statt. Dies gilt für den Mord an Walter Rathenau und an Matthias Erzberger in den frühen zwanziger Jahren, für den Mord an Yitzhak Rabin im November 1995, den Mord an dem Danziger Oberbürgermeister Abramowitz am Anfang diesen Jahres, dem Mordversuch an Henriette Reker – gedacht stellvertretend für einen Mordversuch an Angela Merkel. Erika Steinbach war mitschuldig an der Hetzkampagne und dem folgenden Mord.3

Die höhnischen Kommentare im Internet über den Mord an Walter Lübcke zeigen, wie entfesselt ein Teil der radikalisierten Internet-Unterstützer der Rechtsterroristen inzwischen ist.

  • Die AfD Dithmarschen erklärte ihre Sympathie zum Mord.
  • Einer der Abgeordneten der AfD, Walther Müller verweigerte die Trauer um Walter Lübcke im bayerischen Landtag.
  • Der völlig radikalisierte Antisemit und nach wie vor AfD-Mitglied und Abgeordnete im baden-württembergischen Landtag, Wolfgang Gedeon sprach von einem „Vogelschiss“, den dieser Mord bedeute.
  • Vor allem aber sind es die Hasstiraden Björn Höckes und seines Flügels, der die AfD vor sich her treibt.

Nicht die Anhänger, sondern die Gewaltagitatoren um Höcke und Kalbitz hetzen

Um einem wiederholt vorgetragenen Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht um die mutmaßliche Mehrheit der Anhänger und potentiellen Wähler der AfD, ja nicht einmal der Mitglieder dieser Partei. Sie sind in ihrer Mehrheit so verschieden wie ihre Protest- und Wutmotive. Viele in Ostdeutschland sind geeint in wutgetränkter Apathie über die Ungerechtigkeiten in der Einigungspolitik, die kalte ökonomische Revolution durch die Währungsunion am 1. Juli 1990 und das gleichzeitige Versprechen auf blühende Landschaften, das sich als bewusste Täuschung erwiesen hat. Über die vielfältigen Treuhanderfahrungen hat der Filmautor Dirk Laabs in „Der deutsche Goldrausch“ schon 2011 und auf eine andere Weise Petra Köpping: „Integriert doch erst mal uns!“ mit ihren sächsischen Erfahrungen eindrucksvoll geschrieben und eine veränderte Politik zur Stärkung der Entleerung auf dem Land angemahnt.

Es geht vielmehr um die gewaltgefährliche Ausrichtung größerer, vielfach dominierender Teile der Partei, die sich jährlich im Kyffhäuder-Treffen munitionieren – um die Agitatoren Björn Höcke, Andreas Kalbitz, Jörg Urban oder Dennis Augustin vor allem in den ostdeutschen Parteigliederungen sowie Alexander Gauland. Sie mißbrauchen diese Wut für ihre ganz anderen ideologisch ausgerichteten Gewalt- und Umsturzphantasien. Sie sind verantwortlich für eine Kette an rassistischen Äußerungen von Hass und Hetze und deswegen Prüffall des Bundesamts für Verfassungsschutz. (Vgl. Dossier-Anhang)

Es liegt in der politischen Verantwortung, einerseits Kritik an missliebigen Gegenständen wie der Flüchtlingspolitik üben zu können, aber dies ohne Volksverhetzung zu tun. Die völkischen Radikalnationalisten um Höcke sehen dagegen die Stunde ihres Marsches durch die Institutionen gekommen: Sie sehen sich in den kommenden ostdeutschen Landtagswahlen auf Siegeskurs, auf dem Sprung zur Macht, sei es für den für Sicherheit oder den für Bildung zuständigen Minister. In einem Bericht beschreiben Autoren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie sich Björn Höcke und die Neonazis um den C 18 Aktivisten Thorsten Heise in einer kleinen Szene eines Kreistags im Eichsfeld die Bälle zuspielen und sich kurz vor der Machteroberung in Thüringen oder Sachsen wähnen, eben ihren Marsch durch die Institutionen und glauben, aus taktischen Gründen könne sich dieser Erfolg durch Debatten um den Terror und die Wirkungen der Hetze noch einmal zerschlagen. Sie sehen ihre Doppelstrategie – einerseits Gewalt nahezulegen oder zu betreiben, andererseits im Biedermann-Gewand gleich die Macht an entscheidenden Hebeln wie zeitweise in Österreich zu erringen – durch allzu viel Aufmerksamkeit von Sicherheitsbehörden, Zivilgesellschaft und Politik taktisch gefährdet. Die terroraffinen Netzwerke sind indes schon so etabliert, dass Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer anhalten dürften.

Vor der Entscheidung. Zur Verantwortung der Wähler und der Medien: Wählen Sie demokratisch!

Wolfgang Schäuble hat zu Recht wenn auch indirekt als Bundestagspräsident in einer aktuellen Stunde vom 26. Juni 2019 der AfD eine Mitschuld an der Hetze und ihren Folgen attestiert. Vor diesem Hintergrund hat die CDU-Spitze, von Merkel über Merz und AKK bis Schäuble, ausgeschlossen, dass die CDU/CSU mit dieser so radikalisierten AfD eine Koalition bilden wird, auch nicht nach den ostdeutschen Landtagswahlen in den entsprechenden Bundesländer.

Die kleine Gruppe der sogenannten Werte-Union in der CDU hat nach der Debatte um die Bedingungen des Mords an Walter Lübcke kaum noch eine Chance, auf das Geschehen der Ausrichtung der CDU-Einfluss zu nehmen, schon gar nicht der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der durch seine Lügen vor dem Parlament, es habe keinen V-Mann in der Nähe des islamistischen Attentäters Anis Amri auf dem Breitscheidplatz gegeben, sich delegitimiert hat. Ebenso dadurch, dass er wahrheitswidrig behauptet hat, in Chemnitz habe es keine Hetzjagden gegeben, obwohl dies vielfach bestätigt ist.

Barbara John im Tagesspiegel erklärt schlicht: „Es gab und gibt wuchernde Helfernetzwerke von gewaltbereiten Rechtsextremisten. Weitere Morde zu verhindern, an dieser Verpflichtung müssen sich die Sicherheitsbehörden, die Zivilgesellschaft und die Politik jetzt messen lassen. (30. Juni)

Die Medien haben einen demokratischen Aufklärungsauftrag und sind nicht zur Neutralität um jeden Preis verpflichtet. Sie sind aufgerufen, Hass und Hetze eines von verfassungsfeindlichen Positionen geprägten rechtsextremen Flügels der AfD auch kenntlich zu machen. Sie werden erkennen müssen, dass die jüngsten Angriffe der Berliner AfD-Spitze (gegen angebliche „rot-grüne Gesinnungsjournalisten“) unmittelbar auf sie gerichtet sind. Ungarn läßt grüßen.

Die Wähler aber sind aufgerufen, durch ihre Wahl denen, die Hass und Hetze verbreiten, eine Absage zu erteilen.

Dossier-Anhang:

Rechtsextreme gewaltgefährliche Ausrichtung der AfD. Andreas Kalbitz (Brandenburg), Björn Höcke (Thüringen) und Jörg Urban (Sachsen).4

In dem hierzu vorzüglichen Gutachten des Bundesamts heißt es: In Parteien oder ihren Teilorganisationen werden verfassungsfeindliche Bestrebungen (§ 4 Abs. 1, Satz 1 des BVerfSchG) verfolgt, wenn sie darauf gerichtet sind, Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch politisch bestimmte ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beseitigen. (Vgl BfV-Gutachten vom 15.1.19: 8; im folgenden wird wenn nicht anders notiert nur die Ziffer der Seite angegeben)

  • Die Garantie der Menschenwürde schützt den einzelnen Menschen in seiner „personalen Individualität, Identität und Integrität und in seiner elementaren Rechtsgleichheit“. Dem Menschen kommt „um seiner selbst willen, allein kraft seines Menschseins, ein Achtungsanspruch“ zu. Ein Konzept mit einem biologisch-rassistischen oder ethnokulturellen Volksbegriff wird dem nicht gerecht.
  • Das Demokratieprinzip ist dann verletzt, wenn der Parlamentarismus oder die aktuellen politischen Verhältnisse verächtlich gemacht werden, ohne aufzuzeigen, auf welchem Weg sie sonst dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung tragen wollen. (Vgl BfV 14)
  • “Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller Freiheit“ (nach Art. 20,3); „ … und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte sowie die Beibehaltung des Gewaltmonopols des Staates“.

Und zum „Flügel“ der AfD von Höcke, Kalbitz und Gauland:

  • Der völkische Nationalismus geht (prinzipiell) von der Existenz geschlossener ethnisch-biologischer und/oder ethnisch-kultureller Völker/Volksgruppen aus. Die innere Homogenität der Gruppe ist zu wahren und durch Abgrenzung/Ausgrenzung von allem, was die eigene Homogenität, gefährdet, sicherzustellen. (Vgl BfV: 68/69)
  • Höcke geht von einem „ethnisch homogenen“ Volk und einem „organischen“ Volksverständnis aus (72). Für Höcke kann „nur deutsch sein, wer ethnisch deutsch ist“ (BfV 73) – eine völkisch-nationalistische, rassistische Haltung. Darüberhinaus spricht Björn Höcke spricht von der Notwendigkeit einer „wohltemperierten Grausamkeit“, mit der er ein „Remigrationsprogramm“ von Millionen „kulturfremder“ Menschen insbesondere aus Asien und Afrika durchführen will, wenn er denn an der Macht sei. (In seinem programmatischen Buch von 2018 „Nie zweimal in denselben Fluß“). Damit spricht er selbst an, dass die Politik des völkischen Flügels um Höcke und Kalbitz bis zur Zerstörung unseres Gemeinwesens führen soll und vor allem zu bürgerkriegsähnlicher Gewalt beitragen dürfte. Die AfD hetzt mit Höcke gegen alle größeren ethnischen und religiösen Minderheiten, gegen die Muslime, gegen die Flüchtlinge, gegen die Türken.
  • Kalbitz: „Wir sind nicht bereit dabei zuzusehen, wie sich unser Land auflöst“; „durch die Multikultipropaganda der Deutschlandhasser bis hin zu Selbstvernichtung verblendet“ (BfV 74/75) Andreas Kalbitz hat im übrigen eine neonazistische Vergangenheit, von der er sich nicht glaubwürdig distanziert hat. Er war bei Veranstaltungen der neonazistischen HDJ dabei, ebenso in klar rechtsextremen Vereinen.
  • Gauland: „Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch klassischen Sinne.“ Zwar könne man eine Verfassung ändern, nicht aber „Identität, Nationales, Kultur“ „Sie ist uns angeboren (…).“ (BfV 71) Und: Nachdem die Sozialdemokratin Aydan Özogguz im Mai 2017 die besondere Bedeutung der deutschen Sprache hervorgehoben hat, erklärte Gauland vor Anhängern im Eichsfeld: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr, was spezifische deutsche Kultur ist. Danach kommt sie nie wieder hierher, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ (Vgl SZ vom 16. 6. 2019, S. 13)
  • Dennis Augustin (MV): „Wir werden gedrängt, uns muslimischen Eroberern anzupassen.“ (BfV 75)
  • „Zuwanderung, Islamisierung, land- und kulturfremde Religionen und „Multikulturwahn“ führten (daher) zur Zerstörung der eigenen Gruppe.“ (BfV 74) Vermeintliche Überfremdung, Bevölkerungsaustausch, Umvolkung, Volkstod würden Zersetzung, Auflösung, Auslöschung bedeuten. (BfV 74)
  • Jörg Urban (Sachsen) besteht auf „weitgehender Homogenität“ (BfV 69).
  • Marc Jongen (AfD Baden-Württemberg) spricht von den „genetischen Grundlagen der Kultur“ (BfV 70).
  • Uwe Junge: „Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden! Dafür lebe und arbeite ich. So wahr mir Gott helfe!“ (Tweet 2017, zit nach „hart aber fair vom 2.7.2019). Ders.: Tweet vom 23.6.19: „Sog. „Klimaaktivisten“ sind linksradikale Extremisten“; ders. am 14.5.19:: „Nehme erstmals eine Muslima als TV-Reporterin wahr! Aber eine Islamisierung Deutschlands findet nicht statt? Es ist soweit!“ – Junges permanente Abwertungen und seine Feinderklärungen sind schlicht paranoid.
  • Maximilan Krah: „AfD-Sprache bereitet den Boden für rechten Terror. „Wir schießen den Weg frei„, so der sächsische AfD-Politiker Maximilian Krah unter tosendem Applaus auf einem Landesparteitag am 1. Juni. Einen Tag, nachdem Henriette Reker angesichts des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu mehr Engagement für eine offene Gesellschaft aufgerufen hat, erhielt die Kölner Oberbürgermeisterin in der Nacht zum Mittwoch eine Morddrohung. In einer E-Mail, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, droht der anonyme, offenkundig rechtsradikale Verfasser damit, Reker und andere Politiker „hinrichten“ zu lassen. Die „Phase bevorstehender Säuberungen“ sei mit Walter Lübcke eingeleitet worden, heißt es. „Es werden ihm noch viele weitere folgen. Unter anderem Sie beide.““ (Köln gegen rechts. Antifaschistisches Aktionsbündnis, heruntergeladen am 29.6.19)

*

Umfassend wurde diese Hetze schon in das Grundsatz Partei Programm der AfD am 1. Mai 2016 um kurz nach 11.00 Uhr in Stuttgart hineingeschrieben. Der Redner zu diesem Teilprogramm, Hans-Thomas Tillschneider, erklärte: der Islam sei nicht aufklärungsfähig und er wolle auch nicht, dass er aufgeklärt werde und verteufelte so die Gesamtheit der in Deutschland lebenden, zu mindestens 98 % gesetzestreuen und grundgesetztreuen Muslime. Er erhielt dafür wie auf Parteitagen vergangener Zeiten tosenden Beifall. Niemand aus der Führungsriege – weder Petry noch Gauland noch erst recht Höcke – intervenierten. Als dann ein Parteimitglied aus Lüneburg drauf hinwies, dass es bei ihm einige positive Erfahrungen mit der kleinen muslimischen Gemeinde dort gegeben habe, ebenso tosende Buhrufe. Dieses AfD-Mitglied hat alsbald die Partei verlassen.

Die Identitären, mit denen Höcke in Thüringen und Kalbitz auch in Brandenburg eng zusammenarbeitet, beschwören den „großen Austausch“: die Auflösung der Völker in Europa wie in den Vereinigten Staaten. Ihre paranoide Zuspitzung legt Gewalt nahe und führt wie im Fall des neuseeländischen Attentäters zu rechtem Terror. Er hat sein veröffentlichtes Pamphlet „The Great Replacement“ (Der große Austausch) betitelt und sich damit ausdrücklich auf die Ideologie der Identitären und die bei Götz Kubitschek im Antaios-Verlag veröffentlichte Kampfschrift „Revolte gegen den großen Austausch“ bezogen – und die Identitären finanziell unterstützt.

1 Vergleiche Spiegel online vom 26. Juni 2019, Stefan Aust/Dirk Laabs in der Welt am Sonntag vom 30. Juni 2019 und mein Gutachten für den NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, unter anderem über die nordhessische Gewalt- und Terrorszene.

2 Im folgenden nach Aust/Laabs WAMS, 30.6.2019

3 Stern-online verwiest in ihrer Kritik an der Sendung „hart aber fair“ vom 1. 7. 19 auf einen eingespielten Tweet der AfD, „den diese zwei Tage nach der ominösen Rede Walter Lübckes („Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen“) abgesetzt hatte. „Noch ist es unser Land, Herr Lübcke“, hieß es dort, darunter eine Latte übelster Hetzkommentare („Der gehört sofort erschossen“). Fast vier Jahre war das Posting mit allen Mordaufrufen online und wurde erst am 20. Juni 2019 gelöscht – für Uwe Junge nichts weiter als ein dummes Versäumnis. Was er bei all den „überzogenen Reaktionen“ der Kommentatoren aber auch sagen müsse: „Es waren harte Äußerungen von Lübcke.“ Die den ganzen widerwärtigen Dreck für Junge offenbar ein Stück weit rechtfertigten.  Georg Mascolo hatte von dem ganzen Lavieren und Relativieren irgendwann genug. „Wenn Gewalt angewendet wird“, sagte er, „beginnen Sätze nicht mit ‚Ja, aber.. ‚, sondern mit ‚Hier endet es‘.“ Zu jeder Form von Gewalt gehöre auch eine Form von gewalttätiger Rede – etwas, das man in der AfD häufig finde. Und weiter: „Ich habe nie einen Post von Ihnen oder Erika Steinbach gesehen, in dem es heißt: ‚Das reicht. Auf meiner Plattform werden keine Menschen bedroht.'“ (stern-online vom 2.7.19)

4 Vgl. das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz (zit. als BfV); Funke 2016: Von Wutbürgern und Brandstiftern; Ders./Mudra: Gäriger Haufen 2018; Funke: Der Kampf um die Erinnerung 2019