Hajo Funke| Krisenmanagement! Zwischenruf aus San Francisco


Hajo Funke

Krisenmanagement! Zwischenruf aus San Francisco

(9.8.2014)[1]

Pünktlich zur Wiederkehr des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, 75 Jahre nach dem Beginn des zweiten Weltkriegs und 25 Jahre nach dem verheißungsvoll interpretierten Ende der Geschichte 1989 erleben wir, wie die Fäden einer Ordnung nach dem Kalten Krieg entgleiten und im Chaos der Gewaltexplosionen reissen. Sie überlappen sich zeitlich wie regional und verstärken sich gegenseitig.

In Afghanistan,  wo wie im Irak seit Jahren Terroreinheiten die Menschen in Todesangst halten. In Nordnigeria, wo ungeheure Ungleichverteilung und politische Korruption die Bereitschaft zum Terror entfesseln. Im Irak, wo man eine terroristische Extremistengruppe aus geopolitischem Kalkül handeln lässt, sich in Baghdad lange Zeit nicht einmal auf eine Parlamentssitzung zu einigen versteht und die internationale Politik zu lange draufschaut. In Syrien, aus dem Millionen fliehen und Hunderttausende bis heute ermordet werden. In der Ukraine, wo zwei Stellvertreter – die Vereinigten Staaten und Russland – den Konflikt und damit das Leben einfacher Zivilisten weiter riskieren und die Bemühungen um Kompromisse säbelrasselnd und tricksend leerlaufen lassen, statt sich zu den allenthalben vorgeschlagenen Kompromissen Steinmeiers oder des französischen Außenministers zu verständigen. In Israel und Palästina, wo die Blockade jeder Friedensbemühung ein Vakuum ausgeweitet hat, das die Raketen wie magisch an sich zieht. Oder in Guatemala – ähnlich in Honduras, El Salvador oder Teilen Mexicos –  wo die aus den USA zurückdeportierten Jugendlichen verwahrlost den Kern der Gangs mit den weltweit höchsten Mordraten ausmachen. – Die Gewalträume und -formationen dehnen sich aus. Gewalt produziert Gewalt. Ohne zureichende innergesellschaftliche und internationale Einhegungsversuche.

Wie die Fäden internationaler Diplomatie reissen

Die internationale Staatengemeinschaft ist mit den sich zum Teil einander ergänzenden Flächenbränden heillos überfordert. Mehr noch, in dem Maße in dem sie sich ausbreiten, wird die internationale Staatengemeinschaft als schwach interpretiert und als nicht fähig, die Brände zu löschen und die Brandstifter einzudämmen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die beiden größten Vormächte, die Vereinigten Staaten und Russland seit über einer Dekade begonnen haben, sich in ihrer internationalen Politik aus einander zu leben und nun gegeneinander gerichtet erscheinen. Wenn Steinmeier recht hat, dass die zentralen Probleme wie Iran und Syrien ohne Russland nicht geregelt werden können und noch sehr viel mehr der Ukraine Konflikt nicht wirksam ohne Russland geregelt werden kann, ist die Aufspaltung der internationalen Akteure ein entscheidendes Hindernis für die Regelung aller Konflikte, vor allem aber der Konflikte, die neben der Ukraine in der Krisenregion des Nahen und mittleren Ostens sich auftürmen und nebeneinander und ergänzend zu explodieren scheinen.

Gleichzeitig erleben wir, wie das Krisenmanagement, das versucht wird, seit Monaten versagt und zum Teil die Krise verschärft. Dies ist in dem Maße so, indem die politisch jeweils dominanten Strategien eine kooperative Regelung ausschließen, torpedieren oder bisherige Regelungen aufgeben. Das Jahr 2014 ist ein Jahr, das das Hinein-Schliddern in diese Konflikte und eine immer massivere Verteidigung der eigenen Interessen geradezu exemplarisch zeigt. Es kommt einem das alte Bild der Lemminge in den Sinn, wenn man sieht, dass die jeweiligen nationalen Debatten nunmehr von dieser Eskalation ergriffen erscheinen: die US amerikanische Debatte, die den Konflikt mit Putin will; ein Europa, das den Atem anhält, im Zweifel sich auf die Seite der Vereinigten Staaten schlägt, ohne eine eigene Krisenbewältigungspolitik zu entwickeln und die Hands-off-Politik weiter betreibt..[2]

 

  1. Rußland. Die Warnung Volker Rühes vor einem Krieg mit Rußland. Krisenmanagement

Noch Anfang 2014 hat der erneut gerade ins Amt gekommene Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz und seitdem wiederholt an das Hineinschlittern nationalistisch erregter Nationen in den Ersten Weltkrieg erinnert und dies seither vielfach variiert. Er hat von der Notwendigkeit gesprochen, mit Russland international zu kooperieren: ohne Russland gebe es keine Regelung in Syrien und keine mit dem Iran. Ende Juli hatte er zunächst klein beigegeben und mit den europäischen Kollegen entschiedenere nächste Schritte von Sanktionen gegen Russland mit beschlossen. Der Weg in eine immer stärkere Eskalation zwischen den Vereinigten Staaten und nun auch Europa einerseits und Russland andererseits scheint vorgezeichnet. Die Umstände der Aufklärung des Flugzeugabsturzes hat das vorläufige Ende der Post-Kalten-Kriegskooperation besiegelt. Niemand aus dem Kreis der Diplomaten – weder Kerry, noch Steinmeier noch Lavrow schien dies wirklich gewollt zu haben und doch ist es auch das Resultat einer langen Kette tiefgreifender Entfremdung, gegenseitiger Demütigungen und des Rückgriffs der Politik Russlands auf Formen eines reaktionären eurasischen Nationalismus.

 

 

Das sich lange abzeichnende diplomatische Desaster zwischen Russland und dem Westen

Der US-Botschafter in der Sowjetunion zwischen 1987 und 1991, also unter anderem zur Zeit der Präsidentschaft von Georg Bush dem Älteren, Jack Matlock, hat jüngst in Foreign Policy die gegenwärtige Ukraine-Krise in großen Teilen als das Resultat einer Politik ungebremster und ungerechtfertigter NATO-Expansion in den Osten beschrieben. Damals noch war es das Ziel der amerikanischen Administration, die Republiken der ehemaligen Sowjetunion mit der Ausnahme der drei baltischen Staaten in einer Art Föderation zusammen zu halten. Wir waren an dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion nicht interessiert. Zu glauben, dass man die Nachfolgestaaten der Sowjetunion als Staaten begreifen können, die aus langer Tradition unabhängig sind, erklärte Matlock für schlicht absurd. Die Versuche der Bush-Junior-Administration, genau dies zu tun, etwa mit der Idee der Integration der Ukraine in die NATO trotz anderslautender Versprechen der Bush-Senior-Administration oder der rabiaten Unterstützung des jungen georgischen Präsidenten Saakaschwili, sind jedenfalls von Russland als feindliche Einflussnahmen wahrgenommen worden. Nach einer Phase von Vertrauen schaffenden Verträgen in den neunziger Jahren folgte gegenüber Russland – und vielfach auch gegenüber dem internationalen Recht – ein Jahrzehnt lang wiederholt das Gegenteil.

Das war mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak durch Bush jr und seine „Koalition der Willigen“ der Fall. Er basierte auf dem Fanatismus von Neokonservativen um das American Enterprise Institute und Weekly Standard, welche sich heute in Kiew breit zu machen versuchen, – und entsprechenden Lügen der Bush-Administration. (Der Angriff wurde damals zum Teil von jenen befürwortet, die heute das internationale Recht in Anspruch nehmen.) Das Irak-Abenteuer von Bush hat einer Million Menschen das Leben gekostet und das Land durch eine rüde und ökonomisch unachtsame Besatzungspolitik bis heute heillos in ethnische Spannungen zerlegt. (In Der amerikanische Weg 2002 und in Gott Macht Amerika 2006 habe ich darüber geklagt.)

Aber hatten Deutschland und Europa eine alternative Agenda? Noch in Sachen Irak, wenn auch ohne jeden Erfolg. Die damalige Oppositionsführerin allerdings war auch für diesen Krieg.  Später sah sie ein, dass sie zu weit gegangen war. Als Bush und Condoleezza Rice am 3. April 2008 in Rumänien auch die Ukraine und Georgien zu NATO-Mitgliedern machen wollten, stießen sie auf Protest. Erst jetzt zeigte Merkel, dass für sie diese NATO-Expansion zu weit gehe und man die Frage, ob die Ukraine in die NATO eintreten, verschieben solle. Es kam zu einem wütenden (!) Schlagabtausch der damaligen Außenministerin der Vereinigten Staaten, Condoleezza Rice mit dem damaligen Außenminister Deutschlands, Frank-Walter Steinmeier. Die Bush-Administration mußte einlenken. Noch damals, 2008, hätte man diese seltsam überzogene selbstgerechte Hybris dieser US-Administration umkehren können.

Demütigender Triumphalismus

Alles das – die gegen Verabredungen rapide vorgenommene NATO-Osterweiterungswellen 1999, 2004 und 2009, der Raketenschirm, die erwähnte Entscheidung von Bush, den jungen eilfertigen und nationalistischen Saakaschwili seit 2004 mit ungedeckten Versprechen in das Abenteuer des Georgien-Krieges im August 2008 zu treiben – repräsentierten Jahre eines eigenartigen selbstbezogenen, zuweilen das internationale Recht in Anspruch nehmenden, zuweilen es brechenden Triumphalismus, nicht nur über das Reich des Bösen. Es erinnerte an alte antikommunistische Containment-Schemata gegenüber einem längst gedemütigten postkommunistischen Russland.

Bush Junior – und mit ihm Vize Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld – hat nicht nur den Irakkrieg ohne Legitimation und mit falschen Begründungen losgetreten, sondern hierzu auch das so genannte Neue Europa unter anderem gegen die Bundesrepublik Deutschland, zum Teil mit Unterstützung Konservativer in Deutschland, mobilisiert. Er hat mit seinen Neokonservativen die Chance machtpolitisch genossen, das in den neunziger Jahren noch einmal geschwächte Russland vor sich herzutreiben.

Keine Wende nach Bush

Auch 2008 gab es keinen Wechsel in der Politik gegenüber Russland. Es gab praktisch, wie Christoph Bertram seinerzeit in der Zeit ausführte, keine eigene Außenpolitik Merkels, ja nicht einmal zunächst jedenfalls eine entwickelte Europapolitik. Man ruhte – wie Bertram sarkastisch schrieb – friedlich in der Mitte Europas in dem vermeintlichen Wissen, das es so am besten sei. Auch die flexiblere Nachfolgeregierung unter Obama hat nicht wirklich eine Korrektur dieser in vielem abenteuerlichen Politik von Bush Junior betrieben. Die NATO Osterweiterung steht weiter im Raum. Und viele auch Konservative mobilisierten in der Ukraine, für Europa und praktisch gegen den Osten. Eine vernünftige Brücken-Politik wurde gar nicht erst konzipiert. Hinzu kam der Raketenschirm, gegen wen auch immer er gedacht war und als die Kritik zunahm, gab Obama ein wenig nach. Von einer neuen Entspannungspolitik, die Russland ökonomisch politisch und auch über das internationale Regelwerk, als Kombination von Macht und Recht, hätte wirksam integrieren können, war kaum etwas zu sehen. Ein solches internationales commitment gibt es gegenwärtig (noch) nicht, stattdessen die sich entwickelnde Verstrickung in einen neuen West-Ost-Konflikt in Europa selbst. Eine Verstrickung, die mit beiden Seiten zu tun hat, also auch mit uns in Europa und im Westen. Von internationaler Balance- und Fairnesspolitik war keine Rede.

Auch die letzte Gelegenheit eines gemeinsamen UN-Beschlusses haben diesmal die „politischen Zwerge“ großspurig, vor allem Frankreich und England missachtet: Sie haben den Beschluss vom 17. März 2011 zum limitierten Einsatz militärischer Gewalt gegen Gaddafi, als sie ihn erst einmal hatten, militärisch missbraucht. Die Achtung der Grenzen dieses Beschlusses und ein Verständnis der Fairness hätten Europa, Amerika – und Russland besser getan. Aber es fehlte an einer selbstverständlichen Achtung der Fairnessregeln auch unter Merkel und Westerwelle und damit an einer praktizierten Alternative, die hätte Russland einbinden können. – Die – selbstverständlich indirekten – Folgen sind verheerend und seit mehr als drei Jahren in Syrien zu besichtigen, nicht nur auf der Krim mit dem Annektionsbeschluss Rußlands exakt drei Jahre nach der Libyen-Resolution.

Statt nun diese Politiken entschieden zu korrigieren, hat die Obama-Administration diese Politik eher verschärft, auch wenn sie in der Frage des in Osteuropa eingesetzten Anti-Raketenabwehrsystems zeitweise nachgegeben hat. Es war kein Ausdruck kluger Diplomatie, so Jack Matlock, als die Administration erklärte, man wünsche sich Putin nicht als Präsident Russlands zurück: „You may not like him, but you should shut up if you´ve gotta deal with the guy“

Nach der Phase der Sanktionen und der moralischen Urteile: Kooperation mit Rußland !

Das teils pompös daherkommende Fingerhakeln zwischen den Vereinigten Staaten und Russland und einflußreichen Claqueuren in den Vereinigten Staaten, in Russland, in Europa oder Deutschland geht weiter – ebenso die ideologische Vehemenz und ultranationalistische Hetze der ukrainischen und russischen radikalen Rechten; da wird einseitige Solidarität nach ethnischem, kulturellem oder religiösem Geschmack eingefordert statt Solidarität zu üben, werden symbolisch Kriegsverläufe in Talkshows nachgeahmt oder wird schlicht auch Monate nach der Europawahl in unverantwortlicher Weise in der ökonomischen Großmacht Europa immer noch kein neuer Außenbeauftragter gefunden.

Es war der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe, der zusammen mit anderen europäischen Experten diese Sanktionen für das unmittelbare Krisenmanagement für notwendig erachtet hat, aber gleichzeitig darauf gedrungen hat, mit Russland strategisch zu einer kooperativen Regelung der internationalen Probleme zu kommen. Und: er warnte angesichts verbaler Aggressionen und gegenseitiger Demütigungen mit Hinweis auf den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine im Osten der Ukraine und dem Beinahe-Zwischenfall zwischen der Schwarzmeerflotte und russischen Flugzeugen mit großem Ernst vor einem Krieg aus Versehen. Ergibt sich daraus nicht, dass man – wo die Zeit davon läuft – den historischen Kompromiss trotz der empörenden Verhaltensweisen der russischen Politik sucht? Ich verstehe den gegenwärtigen deutschen Außenminister so. Ebenso Volker Rühe, der für die unmittelbare Situation Sanktionen empfiehlt, um im nächsten Schritt vor der Gefahr eines Krieges mit Rußland zu warnen und für ein gemeinsames Krisenmanagement und für Kooperation mit der russischen Administration einzutreten. Sie brauchen dafür Unterstützung – und nicht mediale oder grüne Besserwisserei in hohem Ton. Wenn man Frieden und Kooperation und nicht Destabilisierung, die Gefahren von Bürgerkriegen oder von Kriegen will: Neutralität der Ukraine. Einheit der Ukraine in föderaler Form. Gemeinsame Sicherung und gemeinsame ökonomische Perspektive für den osteuropäisch/ russischen Raum. Das waren die Kompromissforderungen des russischen Außenministers seit Monaten. Schon vor Jahren empfahl Helmut Schmidt einen eigenen ökonomischen Raum aus Weißrussland, der Ukraine und Russland in einer europäischen ökonomischen Gesamtperspektive. Angesichts der immer noch drohenden Ausweitung der Krise der Ukraine – und perspektivisch Europas – wäre dies durchaus eine praktikable Alternative. Wenn man den Willen hat und sich über den Verbalfundamentalismus hinwegsetzt. Das kostet Mut.

Wann endlich läßt man das Trennende zurücktreten und ist fähig, wenigstens Krisenmanagement angesichts der sich ausweitenden Gewaltexplosionen und dem Hineinschliddern in veritable Kriege zu betreiben? Gemeinsam – wie denn sonst? Ob Obama, Putin oder Merkel und die anderen. Statt scheinbare „Stärke“ zeigen, sich militärisch nicht mehr zurückhalten, Sanktionen androhen und Drohnen kaufen. Jedem sein geopolitischer bodycheck mit ausgefahrenen Ellenbogen. Kampf aller gegen alle. Na denn.

Notwendig ist eine Verständigung in der und über die Ukraine, wo zwei Stellvertreter – die Vereinigten Staaten/Europa und Russland – den Konflikt und damit das Leben einfacher Zivilisten weiter riskieren und die Bemühungen um Kompromisse säbelrasselnd und tricksend leerlaufen lassen, statt sich zu den allenthalben vorgeschlagenen Kompromissen Steinmeiers oder des französischen Außenministers zu verständigen. Nach einer über ein halbes Jahr währenden Bürgerkriegsanarchie mit seinen Folgen und nach dem Abschuss der Passagiermaschine der malaysischen Fluggesellschaft ist es an der Zeit, dass sich Europäer und die Vereinigten Staaten mit Russland verständigen. Es ginge nach einem Jahrzehnt der Entfremdung um seine Anerkennung in einer globalen Machtposition als Großmacht, die selbstverständliche Mitgliedschaft in der G8 und um die engen Beziehungen der nicht nur im Energiebereich zwischen Europa und Russland. Eine Anerkennung der territorialen Integrität der Ukraine (ohne NATO), die Vermeidung einer Ausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands und eine Belebung der Vorstellung einer gemeinsamen Sicherheit in Europa.

Diesen historischen Kompromiss, der längst noch umfangreicher von den vier großen Alten der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik, unter anderem Henry Kissinger, George W. Shultz und Sam Nunn vorgeschlagen worden war, würde der internationalen Staatengemeinschaft einen Schub für deren internationale Verantwortungsübernahme liefern können – und damit die gegenwärtig zunehmend explodierenden regionalen Konflikte stärker als bisher und vereinter entschiedener als bisher eindämmen können.

 

Weder Joseph-Goebbels-Think-Tank von Svoboda noch eurasischer Alexander Dugin für die Ostukraine

  1. Ukraine/Rußland/Westen. Gegen die Ultranationalisten auf beiden Seiten in der Ostukraine. Krisenmanagement!

Die Maidan-Bewegung mit ihrem berechtigtem Ruf nach mehr ökonomischer Rationalität und gegen Korruption, nach mehr demokratischer und rechtsstaatlicher Freiheit hat ihre Kehrseite durch das jahrelange Bündnis der Klitschkos und Timoschenkos  mit der rechtsextremen, teils neonazistischen sogenannten „Svoboda“ und ihren bewaffneten Gruppen. Sie hatte auch in ihren Spitzen rechtsextreme und rabiate Antisemiten. Andreas Umland hat auf die Gefahren des Svoboda-Rechtsextremismus vor allem in der Westukraine seit langem hingewiesen, auch wenn er diese Gefahren seit Anfang 2014 auch gegenüber Offiziellen aus Deutschland irritierend und unbegründet relativiert hat. Ähnlich Timothy Snider.

Mehr noch: Die gespannte Lage in der Ukraine hat dazu geführt,  diesen extremen Nationalisten mehr Einfluss und Spielraum zu gewähren. Dass sich die nach Westen orientierten Kräfte in Kiew so systematisch auf die zunächst als schwach interpretierten faschistischen Kräfte in der Svoboda eingelassen haben, ist ein Zeichen extremer Schwäche und Fragilität eines freiheitlich-rechtsstaatlichen Kurses. Immerhin kooperieren Svoboda-Kräfte nicht nur mit der NPD, sondern mit den rechtsextremen Kräften in Europa:  Gregor Gysi hat in der Bundestagsdebatte vom 13. März 2014 zurecht auf Oleg Tjagnibok aufmerksam gemacht: Er habe wörtlich gesagt: „Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten.“ Die NPD – selber schwach – ist nicht nur stolz darauf, mit der dänischen, der holländischen oder der tschechischen neo-nationalsozialistischen Partei und mit der BNP Nick Griffins in Großbritannien zusammen zu arbeiten, sondern auch mit Svoboda in der Ukraine und sich so viel systematischer als noch vor einem halben Jahrzehnt international zu vernetzen (vergleiche Auslandsjournal des ZDF vom 19. März 2014). Schon am 6. Dezember 2013 wies Steffen Dobbert in zeit-online auf das seit zwei Jahren bestehende  politische Bündnis der Klitschkos und Timoschenkos mit der Svoboda hin – sie waren in zentralen Funktionen der nicht mandatierten ukrainischen Übergangsregierung : „Bei den Wahlen vor etwa einem Jahr schaffte Swoboda mit 10,44 Prozent den Einzug ins Parlament. „Sie gewannen die gebildetsten, urbansten und viele europaorientierte Wähler für sich, hauptsächlich in der West- und Zentralukraine“, sagt der Politologe Andres Umland, der an der Uni in Kiew lehrt. Nach dem Parlamentseinzug bildete Swoboda eine Koalition mit Jazenjuks Vaterlands- und Klitschkos Udar-Partei. Dieses Bündnis organisiert und befeuert nun auch die Massendemos in Kiews Zentrum. Wobei der kleinste Bündnispartner auf den Straßen die größte Rolle spielt.“

Durch den Ultranationalismus der existierenden Politik Russlands wird deren Spielraum noch verstärkt und die Gespenster der Ultranationalisten und Bündnispartner Hitlers, der ukrainischen Bandera-Einheiten des Zweiten Weltkriegs an die Oberfläche gespült. Wer sich auf lange Dauer  auf ein solches Bündnis von Nationalisten Timoschenkos mit gegen Russland gerichtetem Hass und den antisemitischen Rechtsextremen einlässt, war alles andere als eine rechtsstaatliche Freiheitsbewegung. Sie wurde stattdessen immer erkennbarer eine von Nationalisten und Ultranationalisten wesentlich geprägte Bewegung. Hinzu kommt, dass nach wie vor nicht klar ist, wer im Spätwinter in Kiew neben den Einheiten des Janukovic am Tag der 100 Toten von der anderen Seite, aus einem von der Maidan-Bewegung eingenommenen Gebäude geschossen hat: bewaffnete Kräfte des Maidan? Svoboda-Leute? Leute des Rechten Sektors?  Jedenfalls von dort aus nicht die Einheiten von Janukovic. Über den Umweg ihrer zentralen Beteiligung an der Maidan-Bewegung erreichten Rechtsextreme und Antisemiten, was sie seit 60 Jahren wollten: Sie sind dabei, die Geschicke Europas mitzubestimmen.

In der Ukraine Politik hat Europa eskaliert. Die Parole war: kommt zu uns, bleibt nicht bei Russland. Entweder ihr assoziiert euch mit uns oder nicht. So der EU-Kommissionspräsident Barroso. Eigentlich, so noch Bush Junior 2008, soll die Ukraine in die NATO, wenn schon nicht 2008, dann später. Das war keine Russland auf gleicher Augenhöhe einbeziehende Politik und hat Trotz und Nationalismus in Russland mit provoziert. Niemand, auch kein deutscher Politiker hat ernsthaft versucht, Russland ökonomisch, politisch und auch kulturell in eine gemeinsame Ukraine-Politik einzubeziehen. Dies hat nicht unbedingt diejenigen in der Ukraine gestärkt, die eine Mittler- und Brückenfunktion im eigenen Land sehen können. Die allzu einfache, binäre Logik des entweder wir oder die ist, wie man an der jetzigen Krise in der Ukraine sieht, schlicht zu einfach und geeignet, das Land weiter zu zerreißen. Auch hinsichtlich des Umgangs mit der Ukraine wird sich die EU Vorhaltungen machen lassen müssen. Es gab starke Signale einer wachsenden Spannung um das Assoziierungsabkommen bis hin zu einem fünftägigen Importstopp Rußlands im Herbst 2013 – ohne dass dies zu strategischen Überlegungen einer besseren Integration Russlands in diese Verhandlungen geführt hätte. Im Gegenteil. Weder die EU-Kommission noch die dominierende Nationalstaaten, vorneweg Deutschland unter Merkel und Westerwelle hatten dies auch nur einigermaßen auf dem Schirm. Man ließ sie bürokratisch gewähren – obwohl die Signale gegeben waren. – Eine Dekade nach Putins Werbe-Rede um Vertrauen vor dem Deutschen Bundestag war stattdessen  Außenminister Westerwelle auf dem Maidan und hat damit signalisiert: die Ukraine gehört dem Westen, nicht zu Russland. Die Entfremdung war perfekt, das Kerninteresse einer Sicherung des Vorhofs durch eine Pufferzone, wie geopolitisch konventionell dies auch gemeint sein mag, wurde auch nicht annähernd fair berücksichtigt.

Heute, im August 2014, entfaltet sich vor unseren Augen ein langsam, aber stetig eskalierender Krieg um Teile der Ostukraine – mit inzwischen über tausend Toten. Dabei geht es nicht um die Ausschaltung radikaler Spitzen der Separatisten-Bewegung in der Ostukraine, sondern um eine oft ungezielte Bombardierung von Stellungen der bewaffneten Kräfte und der Zivilbevölkerung. (Vgl. NYT vom 8.8.14 zur Belagerung von Donetsk und dem tödlichen Beschuss eines Hospitals in Donetsk) Der Krieg wird mit traditionellen Armeemitteln – z.T. ungut beraten von Geheimdienstlern der USA – geführt und kann schon deswegen nicht präzise sein. Er trifft unterschiedslos so genannten Separatisten wie die Zivilbevölkerung und radikalisiert damit – als Krieg – die Spannungen. Oft finden gezielte Schläge zum Teil unter extremen Einfluss stehender Nationalgardisten der Ukrainer statt.

Auf der anderen Seite haben wir eine prekäre Mischung von extremen, oft ebenso brutalen ultranationalistischen Hardlinern, zum Teil aus Russland, propagandistisch von russischen Medien unterstützt und nur halb engagierten Bürger in den Städten, die Angst um ihr Leben und ihre Zukunft haben und Russisch sprechen und den Kontakt mit Russland halten wollen, eigentlich ohne Radikalisierung und ohne Krieg und zwischen den Fronten, auch wenn nun der sich stetig erhöhende Blutzoll beide Seiten in der Region radikalisiert. Ein geradezu klassisches Produkt beginnender Kriege. (Vgl. ebenso New York Times (im folgenden: NYT) vom 6.8.2014)

Das ist bei weitem nicht alles: es steht bei einer kontinuierlichen Eskalation, sei es durch die ukrainische Armee, sei es durch rechtsextrem radikalisierte Nationalgardisten, sei es durch prorussische Extremisten auch die Gefahr einer unmittelbaren Intervention russischer Kräfte in den ostukrainischen Raum bevor und damit eine prekäre Ausweitung, die noch weniger kontrolliert werden kann als die bisherigen Ausweitungen, die ohne jede vernünftige Eindämmung geblieben sind.

Was gebraucht wird, ist daher ein Krisenmanagement, das nur auf der Basis dessen gelingen kann, dass man insgesamt mit der russischen Regierung dealen (Matlock) will. Um was es dabei geht, ist in vielen nicht umgesetzten Waffenstillständen – so mehrfach von europäischen Regierungsvertretern, unter anderem von Frank-Walter Steinmeier – formuliert, aber nicht angemessen umgesetzt worden, offenkundig von keiner Seite. Was gebraucht wird, ist mindestens ein überzeugendes Angebot an die Ostukraine im Sinne einer weitreichenden Autonomie und einer ökonomisch sozialen Sicherung der Existenz sowie ihrer basalen Sicherheit – und zwar durch beide Seiten, die in diesem Konflikt verstrickt sind. Es ist deswegen dringlich, da sich der Konflikt ethnozentrisch auflädt und sich dies in ersten Massakern wie unter anderem in Odessa bereits gezeigt hat.[3]

 

  1. Das Desaster ohne Regelung. ISIS nach einem Jahrzehnt Destabilisierung des Irak durch Bush junior und Maliki.

Das Regime Saddam Husseins war furchtbar. Der völkerrechtswidrige Angriff auf den Irak durch Bush jr und seine „Koalition der Willigen“ hat die Kräfte der Gewalt aber in ungeahntem Ausmaß entfesselt (unleashed). Er basierte auf dem ideologischen Fanatismus und entsprechenden Lügen der Bush-Administration. (Der Angriff wurde damals zum Teil von jenen befürwortet, die heute das internationale Recht in Anspruch nehmen.) Ein US-Präsident, der kaum wusste, wie sich Schiiten und Sunniten historisch in Irak unterscheiden, eine Besatzungspolitik, die selbst dazu beigetragen hat, dass es zu ethnischen Säuberungen vor allem in den gemischten Regionen, unter anderem in Bagdad gekommen ist, mit tausenden von Toten und einer jahrelangen Demütigung der Sunniten (immer wieder von dem risikobereiten Vor-Ort-Journalisten Nir Rosen minutiös beschrieben). Das Irak-Abenteuer von Bush hat einer Million Menschen das Leben gekostet, das Land durch eine rüde ökonomisch unachtsame Besatzungspolitik zerrissen, die Baath´sche Armee schlicht entlassen und damit einen Untergrund an Widerstand vorbereitet und das Land heillos in ethnische Spannungen zerlegt, ehe man das Land der Hand eines vom Iran abhängigen klientelistischen Präsidenten Maliki überlassen hat, der einen Rachefeldzug gegen die Sunniten betrieben hat und das Land jahrelangem Terror ausgesetzt hat.[4]

Schon im Frühjahr 2008 beschrieb Nir Rosen die US-amerikanische Besatzungsstrategie The Surge als Desaster:

Converting Sunni oppositions into allies fighting Shiite militias while allowing the Shiite-dominant national police to target mainly on Sunni areas, the U.S. surge has succeeded only in exacerbating the tension among Iraq’s warring parties and simmering a fiercer sectarian struggle. – It’s a cold, gray day in December, and I’m walking down Sixtieth Street in the Dora district of Baghdad, one of the most violent and fearsome of the city’s no-go zones. Devastated by five years of clashes between American forces, Shiite militias, Sunni resistance groups and Al Qaeda, much of Dora is now a ghost town. This is what „victory“ looks like in a once upscale neighborhood of Iraq: Lakes of mud and sewage fill the streets. Mountains of trash stagnate in the pungent liquid. Most of the windows in the sand-colored homes are broken, and the wind blows through them, whistling eerily. House after house is deserted, bullet holes pockmarking their walls, their doors open and unguarded, many emptied of furniture. What few furnishings remain are covered by a thick layer of the fine dust that invades every space in Iraq. Looming over the homes are twelve-foot-high security walls built by the Americans to separate warring factions and confine people to their own neighborhood. Emptied and destroyed by civil war, walled off by President Bush’s much-heralded „surge,“ Dora feels more like a desolate, post-apocalyptic maze of concrete tunnels than a living, inhabited neighborhood. Apart from our footsteps, there is complete silence. (aus Nir Rosen, New America Foundation, March 6, 2008, in Rolling Stone)

Irak heute ist, wo man eine terroristische Extremistengruppe aus geopolitischem Kalkül handeln lässt, sich in Baghdad nicht einmal auf eine Parlamentssitzung zu einigen versteht und die internationale Politik zu lange draufgeschaut hat. In atemberaubender Distanz ließ die internationale Politik  Terror über einen riesigen Raum gewähren und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Terroristen, die Menschen massakrieren, Frauen in die Prostitution zwingen und sich mithilfe erbeuteter Gelder die besten Waffen besorgen. Dieser Terror hat sehr mit dem von der internationalen Staatengemeinschaft hingenommenen, an einen Demozid reichenden Bürgerkriegs in Syrien, aus dem Millionen fliehen und Hunderttausende bis heute ermordet worden sind.

Brandstifter

Im Irak sind die regional feindlich zu einander stehenden Mittelmächte – Saudi-Arabien, Iran und in einem gewissen Sinn auch die Türkei – offenkundig in ihren Interessen gegeneinander gerichtet und forcieren noch den längst ins Extreme entfesselten Konflikt: Die Saudi-Araber und andere, die über verschiedene Kanäle ISIS mit Waffen und Geld unterstützen; die Iraner mit ihren radikalen National-Garden, die eine eigene Rechnung mit dem Irak und den Sunniten offen haben; Kurden, die hofften, endlich ihren Staat zu verwirklichen. Diese gegeneinander gerichteten Kräfte und Nationen fördern Zerstörung statt kooperative Regelungen in der Region. Weder Saudi-Arabien noch die Türkei noch der Iran sind heute in der Lage, eine integrierende stabilisierende Rolle in der Region zu spielen, schon gar nicht im Irak, auch wenn sie zur Niederschlagung der terroristischen Extremisten der ISIS gebraucht werden.

ISIS ist erfolgreich – inzwischen eine Gefahr für die Welt – , weil wir es in der Region mit Brandstiftern zu tun haben, die letztlich an einem vernünftigen Kompromiss und an vernünftiger Regierung nicht interessiert sind. Begonnen hat es, was den Irak anlangt, damit, den von Saddam Hussein mit brutaler Gewalt zusammengehalten Staat auseinander zu nehmen: Die Amerikaner haben damit, so Elliot Neaman (USF) in einem Gespräch, Kräfte entfesselt, die sich ihrer Kontrolle entzogen und sich mittlerweile (seit längerem) gegen sie gewandt haben. Dies gilt für die Sunniten, die ihre militärischen Potenz aus dem jahrelangen Bürgerkrieg aus Syrien und aus einer Politik der Demütigung und Verfolgung durch die Regierung Maliki bezogen haben, die wiederum zu lange und zu sehr von den Amerikanern unterstützt worden ist. Zu den Brandstiftern gehören die, die als schiitische Kämpfer zur Ausbildung in Syrien angeworben wurden und die nun als Kämpfer zurück sind im Irak, wo sie Maliki unterstützen, der wiederum diese braucht, um auch die Reste der Befriedung des Irak durch die amerikanische Besatzung, so es sie gibt, zu zerschlagen. Neaman zitiert den hochrangigen UNO-Funktionär Nader Mousavizadeh, der der NYT vor kurzem sagte, die Rivalitäten im Nahen Osten würden in Wirklichkeit von Brandstiftern aus politischen Motiven immer wieder neu angefacht. Machthaber wie Assad, Maliki, El-Sisi und Gruppen wie Hamas und die israelische Siedlerbewegung lieferten den Zündstoff, der die vor sich hin schwelenden Konflikte erst zum Explodieren bringe. Und zu ihnen gehört, so ließe sich ergänzen, auch das politische und militärische Abenteuer der Bush Junior Regierung und seiner Besatzungspolitik, das die Nachfolge Regierung Obama bis heute bemüht ist abzubrechen.

Erst seit Anfang August 2014 – zwei Monate nach dem Fall von Mosul und ein halbes Jahr nach Falluja – steigt der Druck, ISIS einzudämmen. Inkonsistenzen und Fehleinschätzungen der Obama-Administration

Anfang August 2014 erklärte der ehemalige General der US-Streitkräfte im Irak, Peter W. Chiarelli, in einer US-amerikanischen Sonntagsshow, dass es acht Jahre einer falschen Politik der Regierung Maliki waren, die eine pure ethnozentrische, schiitische Minoritätenpolitik betrieben hat und die Sunniten von allem ferngehalten wurden, was möglich war. Mc Caul, US-Abgeordneter kritisierte am gleichen Wochenende die Entscheidung Obamas aus dem Jahr 2011,  als dieser ohne Not dem Druck des Iran-abhängigen Maliki folgte, keine Truppen im Land zu halten. Der Ausstieg war voreilig und ging erneut zulasten der Sunniten, die noch einmal zurückgestoßen worden sind.[5]

In der Augustausgabe der New York Review of Books beschreibt die ehemalige Mitarbeiterin des State Departments Jessica T. Mathews unter dem (selbst)ironischen Titel Iraq Illusions, wie systematisch Maliki seit acht Jahren die irakischen Sunniten systematisch von politischen Prozessen ausgeschlossen und gedemütigt, ja verfolgt hat. Dies reicht von der Blockade der Ressourcen bis zu willkürlichem Arrest und Folter im vermeintlichen Kampf gegen den Terror, während er dies gegenüber schiitischen Milizen systematisch nicht getan habe. Er suchte jenseits seiner gewählten Funktion die Konzentration aller staatlichen Macht und habe so Parlament und Regierung, das Justizwesen und die Sicherheitskräfte manipuliert und korrumpiert und dennoch die Unterstützung der Besatzungsmacht der Vereinigten Staaten über den größeren Teil des Zeitraums der letzten acht Jahre gehabt. Mathews folgert daraus, dass es nur eine politische Lösung geben müsse, die mit einem neuen Premierminister, der glaubwürdig genug ist, um von Sunniten und Kurden unterstützt zu werden. In der Tat: Die Regierung Maliki gehört – neben dem über drei Jahre hingenommenen Syrischen Bürgerkrieg – zu den Faktoren, ohne die der blitzkriegsartige Durchmarsch der terroristischen ISIS im Irak gar nicht verstanden werden kann. Eine politische Lösung, so Mathews, könne der Irak alleine nicht mehr schaffen. Er brauche die Unterstützung der (gegeneinander gerichteten) Mittelmächte in der Region: von Saudi-Arabien, Iran, der Türkei und Syrien und des stärkerem Engagement der Vereinten Nationen, vor allem aber eine föderale Vision für den Irak mit größerer Autonomie und einer ausgleichenden Autorität an der Spitze, so die Autorin. Eigentlich richtig. Ziemlich utopisch. Und eine glatte Fehleinschätzung ihrerseits und auch Obamas (offenkundig wider die Erfahrung des gesamten letzten Jahres) ist, dass die unter ISIS vereinten Kräfte, da sie unterschiedlicher Natur seien, bald auseinanderfallen würden, wie sie am 10. Juli für die Augustausgabe der Zeitschrift meinte, ohne zu sehen, dass nichts so alternativlos ist wie der furchtbare Erfolg der Bomben und Massaker einer ungecheckten Terror-Crew im Namen terrorisierter Sunniten. Iraq Illusions

Anfang August 2014 wird klarer, wie weit ISIS sich durchgesetzt hat, dass die pure Unterstützung einer sunni-feindlichen Regierung Maliki das Problem vergrößert hat und dass selbst die Hoffnung, die man in die kurdische Peshmerga im Norden gesetzt hat, getrogen hat. ISIS bedroht Minderheiten mit Genozid und mit der Eroberung des Staudamms bei Mosul die Region tigrisabwärts.

Der ehemalige Vertreter der USA in der Turkei, James Jeffrey  stellt in PolicyWatch 2297, August 5, 2014, OF THE WASHINGTON INSTITUTE mit dem Titel ISIS Military Success: A Multiple Threat fest,

“The Islamic State of Iraq and al-Sham (ISIS) has demonstrated remarkable strategic mobility and operational speed in a series of offensives over the past few weeks across its operating areas in Iraq and Syria. These have included:  Attacks against Syrian government installations, including tightening its grip on the Syrian oil business.  A wave of car bombs and suicide bombings that penetrated deep into Shiite Arab neighborhoods of Baghdad, demonstrating the organization’s reach and robust support networks even outside Sunni areas. Twin offensives against the left flank (at Jalula, near the Iranian border) and right flank (at Sinjar and the Mosul dam, in the Syria-Iraq-Turkey tri-border area) of the Kurdistan Regional Government’s (KRG’s) defense line. In the latter location, ISIS appears to have perpetrated massacres of ethnic Yazidi civilians. These apparently diffuse military efforts may be consistent parts of a well-planned next stage of ISIS’s campaign.

ISIS — which recently changed its name to the Islamic State (IS) when it declared a caliphate in parts of Iraq and Syria — has no chance of capturing Baghdad but may be seeking to isolate the city. This likely accounts for the heavy fighting to the north and south of the capital, with the west, including Falluja, already under ISIS dominance. If the major communication lines could be cut, in particular if bridges could be blown up — and ISIS has shown a knack for such combat engineering feats in actions to the north of Baghdad — then the city could be effectively deprived of foodstuffs, fuel, and potable water, and the population „trapped.“ This almost happened in 2004 despite the presence of more than 100,000 U.S. troops in country.

Simultaneously, ISIS could launch another, possibly even larger, wave of bombings than that seen in June and July to terrorize the population already under siege. This might be intended to force the Iraqi government to withdraw forces from strategic areas — from the Haditha dam to the Bayji refinery — to defend Baghdad, and if ISIS were „fortunate,“ such terrorist pressure could trigger an outburst of Shiite militia terror against the city’s remaining Sunni Arab population, as seen in 2006-2007. For ISIS, such an outcome would be a strategic game changer, provoking exactly what the group wants — a regional Shiite-Sunni conflict, with ISIS increasingly serving as the champion of the Sunni majority. This scenario may seem unlikely, but ISIS has not grown and won so rapidly by following logical scenarios.

During the fall of Mosul in June, the KRG withdrew its troops more efficiently than the Iraqi army but did not really fight ISIS. Thereafter, the KRG not only alerted forces along its preconflict „green line“ borders but expanded this front line, occupying Kirkuk and the significant oil fields to its north, and pushing south into multiethnic areas from Sinjar on the Syrian border to Jalula near Iran. This „forward“ defense, however, involved seizing areas with significant Sunni Arab populations, some of whose members harbored sympathies for either ISIS or more traditional Iraqi Sunni Arab insurgent groups allied with ISIS. It is exactly here where ISIS has made dramatic gains in the past several days, although its surge forward in Jalula appears to have been checked, and the KRG has announced a counterattack toward Sinjar. Still, ISIS’s record of holding conquered territory is quite good, and even the peshmerga will have its hands full taking territory back.”

Späte Versuche der Eindämmung

Matthew Levitt sieht in New Republic am 7. 8. 2014 immerhin gewisse Chancen, dass die kurdische Peshmerga, wenn sie besser als bisher von den Vereinigten Staaten unterstützt würden, es schaffen könnte, gegen die durch ihre Rauberfolge militärisch und finanziell gestärkten ISIS-Kräfte ihr nördliches Territorium zu halten und so die unmittelbare Gefährdung von nicht nur christlichen Minoritäten in der Region noch einzudämmen.

Am 8. August schließlich entschied die Obama-Administration nach langem Zögern spät und trotz des immer noch nicht zurückgetretenen, für den Zerfall des Irak wesentlich verantwortlichen Maliki, doch, die unmittelbar von einem Genozid bedrohten Yeziden und andere vor allem christliche Minderheiten in den Bergen von Sinjar mit Wasser und Nahrung zu unterstützen und Einheiten der ISIS südwestlich von Erbil anzugreifen. Mehr als Nadelstiche sind dies nicht.

Zuvor hatten die ISIS Einheiten bereits weitere militärische Erfolge, unter anderem mithilfe von der irakischen Armee erbeuteten US-Waffen, errungen und den für die Wasser- und Elektrizitätsversorgung zentralen Staudamms bei Mosul besetzt. Da die ISIS-Einheiten vor Monaten bereits einen Damm bei Falludja gesprengt und damit die Stadt geflutet haben, ist eine unmittelbare Gefahr für eine ungeheure Verwüstung  durch Flutung tigrisabwärts gegeben. Es hat sich gezeigt, dass die Peshmerga gute Widerstandskämpfer sind und darin oft erfolgreich waren, aber gegen die erbeuteten amerikanischen Waffen der ISIS nicht ankommen. Es ist vor dem Hintergrund der Militär- und politischen Lage voreilig, wenn nicht waghalsig, von einem schnellen Erfolg der Kurden, der Streitkräfte einer kaum funktionsfähigen Regierung in Bagdad und der sehr begrenzten Unterstützung der US-Amerikaner (und gegebenenfalls der Franzosen) gegen die ISIS auszugehen.(Vgl. hierzu NYT vom 8.8.14)

Krisenmanagement?

Ob und wie aber der entfesselte gegenseitige Bürgerkrieg und Terror zwischen Schiiten und Sunniten in den sunnitischen und schiitischen Regionen, einschließlich Bagdad, ohne einen Kompromiss zwischen Sunniten und Schiiten, den es aber nie gegeben hat und der angesichts des gegenseitigen Terrors unendlich erschwert ist, eingedämmt werden kann, ist gegenwärtig nicht zu sehen. Die Forderungen einiger schiitischer und sunnitischer Geistlicher, aber auch moderater Politiker, selbst im Iran, sind verschwindend gegenüber dem Wunsch einer endgültigen militärischen Klärung als deren Verständnis von Stabilität. Erst seit etwa Ende Juli gibt es anhaltende Diskussionen in den Vereinigten Staaten, darüber, wie man das totale Chaos und genozidale Massaker eindämmen könnte. Dabei vermeiden die Amerikaner, mit dem Iran und ihren Revolutionsgarden zu kooperieren – so gut es geht. Eine Regelung des Chaos im Irak ist ohne ein gemeinsames internationales Vorgehen und nicht zuletzt der Mittelmächte wie S-Arabien, Iran und der Türkei unendlich erschwert und mag daher – erneut – zu spät kommen.

 

^             Man war zu spät für einen erfolgreichen frühen Waffenstillstand

  1. Israel und Palästina. Der gegenseitig provozierte Krieg

„Seit dem Beginn der israelischen Luftangriffe im Gazastreifen am Dienstag vergangener Woche wurden in der palästinensischen Enklave bereits 186 Menschen getötet und fast 1300 verletzt. Laut Uno sind viele der Opfer Frauen und Kinder. Das Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge(UNRWA) berichtete von 17.000 Menschen, die in ihren Schulen Zuflucht gesucht hätten.“ (so spiegel-online, 15. 7. 14.) – am 4.8. fast 2000 Palästinenser getötet und fast 10 000 verletzt.

Der Waffenstillstand von Anfang August 2014 – und mehr?

Am 7. August, wenige Tage nach einem Waffenstillstand, der vielleicht halten mag, wird in den Medien, so in der NYT, der immense Schaden in Gaza beschrieben. Er ist größer als in den Waffengängen 2008 und 2012. 1900 Opfer, davon etwa 1400 Zivilisten, darunter 400 Kinder. Ein Schub neuer Traumatisierung ganzer Generationen. Ein entscheidender Teil der Industrie ist zerstört. Die Frage ist eher, wie viel Menschen noch Arbeit haben als wie hoch die Arbeitslosigkeit ist. Die Hamas ist militärisch geschwächt, aber keineswegs nicht mehr präsent. Hamas ist anders als kleine noch radikalere terroristische Sektionen eine soziale und kulturelle Gegebenheit – sie ist zugleich eine politische Partei, die sich um soziale Sicherheit in den Stadtteilen bemüht.

Ebenso in Israel, das mehr als zuvor sich bedroht und eben nicht sicherer sieht, das mehr als Soldaten verloren hat und eine Angst wiederbelebt, die in historische Abgründe reicht.

Ob dieser Waffenstillstand hält, es kaum mehr Raketen auf israelisches Gebiet gibt oder andere Formen tödlicher Guerillaaktionen, erst recht nach den traumatischen Erfahrungen dieses ein Monat lang währenden Kriegs, ist überhaupt nicht ausgemacht. Es ist noch schwieriger als zuvor, zu einer Verständigung zu kommen, die anhält. Erst recht zu einem Kompromissfrieden. Es mag sein, dass es mit internationaler Hilfe gelingt, die ungeheuren Schäden an der Ökonomie und in der Seele der Menschen ein Stück weit zu reparieren. Doch viel schwieriger ist es, eine legitime moderate Einheitsregierung auf der Westbank und in Gaza durchzusetzen, und dieser Regierung und damit den Palästinensern endlich ein Ende der Okkupation und damit eine Regelung des Konflikts anzubieten. Es ist nur zu hoffen, dass diese Katastrophe furchtbar genug war, um mit internationalem Druck nun zu einem Kompromiss zu kommen, der anhält. Um der Sicherheit der Israelis wegen und der in Palästina.

Blockade der Friedensverhandlungen und Logik der Eskalation. Der gegenseitig provozierte Krieg

Es reichte die Entführung von drei Teenagern und ihre Ermordung, um verbal und militärisch loszuschlagen. Dabei wissen wir nicht, wer für das Verbrechen operativ verantwortlich ist. Die israelische Regierung spricht von der Hamas – und blieb lange Zeit die Belege schuldig. Aber damit ist das Ziel der Politik gegenüber den Palästinensern markiert. Jüdische Extremisten antworteten mit der Jagd auf Palästinensern. Das gipfelte in der Ermordung eines Schülers aus Ostjerusalem. Offenkundig eine Tat mit nationalistischem Hintergrund. (Spiegel 29/2014). Die Palästinenser reagierten mit Straßenschlachten und Massendemonstrationen. Die Armee mit Massenverhaftungen: Rund 1000 Palästinenser wurden seit Mitte Juni verhaftet, der Großteil von ihnen auf Verdacht (ebd). Die israelische Armee drang bei Razzien, entgegen den Vereinbarungen des Oslo-II-Abkommen, in palästinensische Städte ein. Der rechtsradikale Wirtschaftsminister der israelischen Regierung, Naftali Bennett: „Wir haben ihre Hauptquartiere zerstört, ihre Geldströme unterbrochen. (…) Wir haben die Hamas fast zerschlagen.“ (ebd)

Tatsächlich hatte seit November 2012 überwiegend Ruhe geherrscht. Ohnehin war die Hamas durch die internationalen Veränderungen geschwächt. Palästinenser gehen davon aus, dass die Entführung instrumentalisiert wurde, um etwas zu tun, was seit langem geplant war: die Hamas zu zerstören und damit  auch die palästinensische Einheitsregierung zu sabotieren. Deshalb das unverhältnismäßige Vorgehen der Armee im Westjordanland, die Massenverhaftungen. (ebd) Hamas reagiert, wie man dann in der Logik des Krieges und der Eskalation reagiert – ein bekanntes Muster – und eskaliert auf ihre Weise – offenkundig in der verzweifelten Hoffnung, so Unterstützung zu mobilisieren.

Die Regierung Netanjahu hat über Jahre alle Friedensverhandlungen von Substanz blockiert und jede Gelegenheit genutzt, sie nicht ernsthaft anzugehen. Netanjahu wollte sie nicht und will sie nicht. Das Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen hat er nicht gewährt. Es passte jede Gelegenheit, internationalen Druck zu unterlaufen und zu beenden. Auch nicht, als die palästinensische Regierung unter Abbas versucht hat, eine der Forderungen der Israelis zu erfüllen, eine gemeinsame Regierung hinzu kriegen, ohne explizite Beteiligung der Hamas, aber mit der Perspektive, so die eigene Legitimation diesseits und gegen die Hamas zu stärken. Mit der Logik eines double-bind des militärisch Stärkeren – abgelehnt.

Diese Blockadehaltung der gegenwärtigen Regierung in Israel (nicht notwendig der israelischen Mehrheit) resultiert aus einer Haltung der Abwehr, der Selbstisolierung und des Nicht-Reagierens auf ein Problem, das immer gravierender wird. Dabei wäre es eine historische Chance der israelischen Regierung gewesen, mit der zuweilen halbherzigen Kerry-Initiative eine Friedenslösung aktiv zu suchen. Je länger sie ausblieb, desto größer wurden die Risiken eines solchen Vakuums. Nicht einmal der verabredete Stopp des Siedlungsausbaus war international durchgesetzt worden. Die Siedlungen nahmen  zu und es gibt Überlegungen, sie stärker zu bewaffnen und zu Schutzburgen auszubauen. Die Enttäuschungen beim Ausbleiben irgendeiner internationalen Regelung haben zu einer enormen Schwächung der um eine pragmatische Lösung bemühten Kräfte auf der Westbank geführt und damit zu einer absehbaren Zuspitzung beigetragen, nicht zuletzt in den palästinensischen Gebieten selbst. In einem gewissen Sinn boten die Kräfte um Abbas eine letzte konstruktive Chance für einen Kompromissfrieden. Kurzum: die Haltung eines entschiedenen Nein zu vernünftigen Kompromissen und eine Politik des Vakuums, die die gegenwärtige Regierung Israels auszeichnet, gefährdet, was sie verhindern soll: die israelische Sicherheit.

Denn die Sicherheit, die sich die gegenwärtige Regierung Israels erträumt, wird es so nie geben. Die Logik der Eskalation – aus Verzweiflung, die Verzweiflung nährt –  wird sie vielmehr weiter gefährden – wie schon in den letzten Jahren, als man die Initiativen des US-amerikanischen Außenministers ausschlug und durch immer neue Siedlungsbauentscheidungen auf der Westbank wie in einem sich wiederholenden Foulspiel auflaufen ließ und schließlich der amerikanische Außenminister angeschlagen aus dem Feld genommen wurde. Erst recht ist man den so zaghaften Wünschen der deutschen Politik nicht nachgegangen, sicher auch, weil sie so zaghaft waren, und man nicht den Mut fand, den Druck zu Kompromissen durch Initiativen der ökonomischen Großmacht Europa, die sie für Israel ist, massiv und entschieden zu unterstützen. Auch aus Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben in Israel und Palästina. Im Kompromiss von zwei Staaten. Der US-Außenminister hatte einiges versucht. Abbas ist ihm weit entgegengekommen. Aber ihnen fehlte der Verhandlungspartner Israel.

Die Rechte hat in Israel gesiegt – und die Melancholie bei den anderen

Seit weit über einer Dekade frißt sich die rechtsradikale Siedlerbewegung in Gesellschaft, Politik und Militär – wie die brillante Studie von Steffen Hagemann zur Siedlerbewegung. Fundamentalismus in Israel (2010) gezeigt hat. In Zeiten der Spannung aber dominiert sie und ihre rechtsradikalen Lautsprecher wie Wirtschaftsminister Bennett oder der Außenminister Liebermann. Und die Radikalen unter den Radikalen sprechen von ethnischen Säuberungen und Tod den Arabern und von der Annektion der Westbank. Nur so kann ein nicht geklärtes, furchtbares Verbrechen an drei jungen Juden bei Hebron das international hingenommene Schliddern in diesen Krieg möglich machen. Es ist ein sinnloser Krieg, der Israelis und Palästinenser – gewiss asymmetrisch – verletzt und ihre Sicherheit weiter gefährdet. Verzweifelte werden sich rächen auf beiden Seiten, bessere Waffen besorgen, vom islamischen Staat oder auf dem Rüstungsmärkten der Welt. In asymmetrischen Aktionen, ob über die Grenzen oder im wunderbaren Tel Aviv. Die rein militärische Sicherheit und die der Dienste laufen ins Leere. Über kurz oder lang.

Der Historiker und Überlebende Saul Friedländer, ein langjähriger enger Vertrauter des großen Zionisten Nahum Goldman, hat es jüngst so formuliert. Ich bin mit Israel verbunden. Mein ältester Sohn und Enkel leben hier, aber ich kann mich selbst nicht als Zionist bezeichnen. Nicht weil ich mich Israel entfremdet habe, sondern weil der Zionismus von der äußersten Rechten eingenommen oder und sogar gekidnappt worden ist. Ähnlich Yossi Sarid, ein politischer Freund der großen Sozialdemokratin und Friedensaktivistin Shulamit Aloni zu ihrer Beerdigung (Vgl. die höchst instruktive Website von Reiner und Judith Bernstein): Der Tag wird kommen, an dem der Status der besetzten Gebiete und der Besatzungssiedler den Staat Israel auffressen wird, der dann die Form einer Demokratie abwirft und die Gestalt der Apartheid annimmt. Noch schärfer, bitterer – melancholisch David Grossmann in der FAZ in  „Israels Politik. Unsere Verzweiflung ist unser Untergang“

„Die Hoffnung und die Verzweiflung – es gab Jahre, da wurden wir in meinem Land zwischen beiden hin und her geworfen. Heutzutage scheint sich die Mehrheit der Israelis und der Palästinenser in düsterer, stumpfer Verfassung zu befinden, aussichtslos, in einer Apathie des Tiefschlafs oder selbstgewählter Benommenheit. In Israel, das mit Enttäuschungen viel Erfahrung hat, tritt die Hoffnung heute (falls sie überhaupt noch jemand erwähnt) nur zögerlich auf, leicht beschämt, sich vorab schon entschuldigend. Die Verzweiflung hingegen kommt sicher und entscheidungsfreudig daher, als spräche sie im Namen eines Naturgesetzes oder eines Axioms, gemäß dem es niemals Frieden zwischen diesen beiden Völkern geben könne und der Krieg zwischen ihnen ein Dekret des Himmels wäre. Aus Sicht der Verzweiflung ist jeder, der noch hofft und an die Möglichkeit des Friedens glaubt, im besten Falle naiv oder ein Träumer, der sich in Illusionen wiegt, im schlechtesten Falle aber ein Verräter, der Israels Durchhaltevermögen schwächt, indem er es dazu ermutigt, sich falschen Visionen hinzugeben. In dieser Hinsicht hat die politische Rechte in Israel gesiegt. Die Rechte, die an dieser Weltanschauung festhält, hat es geschafft, sie der Mehrheit der Israelis erfolgreich beizubringen. Man kann sagen, dass die Rechte nicht nur die Linke bezwungen hat. Sie hat Israel bezwungen. Nicht allein, weil diese pessimistische Weltanschauung den Staat Israel in einer Frage, die für seinen Fortbestand ausschlaggebend ist, lähmt, obwohl gerade hier Mut, Beweglichkeit und Kreativität gefragt sind; die Rechte hat Israel besiegt, indem sie unterworfen hat, was man ehedem den „israelischen Geist“ hätte nennen können: jenen springenden Funken, unser Vermögen zur Wiedergeburt, den Geist des Trotzdem und des Muts. Der Hoffnung. Gegenüber der für seine Existenz wichtigsten Frage verharrt Israel heute so gut wie reglos, man kann auch sagen, es sei untätig. Eigenartigerweise ist dieser Zustand für Israel aber nicht mit offensichtlichem Leiden verbunden: Den führenden Köpfen wie den meisten Bürgern gelingt es, ihre Situation zu verdrängen, Realität und Vorstellung voneinander zu trennen. So leben sie schon viele Jahre, 47 Jahre seit dem Sechstagekrieg und der folgenden Besetzung, und das nicht einmal schlecht, obwohl im Zentrum ihres Daseins im Grunde Leere herrscht. Leere an Taten, Leere an Bewusstsein, eine Leere, in der auf effiziente Weise jede moralische Beurteilung und Erkenntnis der Verzerrung, die der gesamten Situation zugrunde liegt, suspendiert wird. (9. 7. 14)

Er beschreibt den double-bind Netanjahus gegenüber Abbas, Kerry und der Welt:

„Selbst wenn Mahmud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, sich mit ganzer Kraft dafür einsetzt, den Terror gegen die Israelis zu unterbinden, und erklärt zu wissen, dass er seine Geburtsstadt Safed nur als Tourist betreten wird; selbst wenn er proklamiert, dass die Schoa das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte darstellt; und auch wenn er wutentbrannt die Entführer und Mörder der drei jugendlichen Talmud-Schüler angreift – selbst wenn er all das tut, wird ihm der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Windeseile mit einer kalten Dusche antworten. Selbst wenn die Staaten der Arabischen Liga Israel eine Initiative vorlegen, die einen Prozess in Gang setzen kann, der eine ausdrückliche Einladung zu einem jahrelang ersehnten, neuartigen und bisher ungekannten Dialog beinhaltet, wird die israelische Regierung ihn zwölf Jahre vollständig und demonstrativ zu ignorieren wissen. Denn: Keiner wird uns je wieder täuschen. Wir lassen uns nicht übers Ohr hauen. Nie wieder wird man uns dabei ertappen, dass wir einem Palästinenser oder irgendeinem Araber etwas glauben. Auch keinem amerikanischen Außenminister, der ohnehin nicht versteht, was das Leben wirklich ausmacht, und auch keiner Hoffnung, je ein besseres Leben zu haben. Oder irgendein Leben. Interessant ist, dass wir den Weg des Friedens mit den Palästinensern ernsthaft nur einmal, 1993, beschritten haben. Der Versuch ist gescheitert, und es hat den Anschein, als hätte Israel daraufhin beschlossen, diese Option ein für alle Mal zu begraben. Auch hier ist die verzerrte Logik der Verzweiflung am Werk. Den Weg des Kriegs, der Besatzung, des Terrors, des Hasses haben wir Dutzende Male beschritten, ohne dessen müde zu werden oder daran verzweifelt zu sein. Was hat es damit auf sich, dass wir uns ausgerechnet vom Frieden überstürzt und endgültig trennen wollen, nachdem wir nur einmal gescheitert sind?“

Netanyahu hat mit seiner teils rechtsradikalen Regierung alles getan, um einer Friedensregelung aus dem Weg zu gehen. Durch eine Politik der Provokationen und des Zynismus: noch mehr Siedlungsbauentscheidungen nach noch einem neuen Versuch Kerrys, die Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. Unverhältnismäßige Drangsalierung und Verhaftungswellen nach dem feigen Mord an den drei israelischen Schülern bei Hebron. Es gab nicht im Ansatz einen politischen Willen zu einer Sicherheit miteinander. Auch und gerade nicht, nach dem es dem palästinensischen Repräsentanten Abbas gelungen war, auf den Weg einer Einheitsregierung zu gehen und so die gefährliche Kraft von Hamas zu schwächen und zu isolieren. Torpediert. Vorbei. Die Regierung Netanjahu hat dies destruiert. Und die Europäer und nicht zuletzt die Deutschen sprangen Kerry nicht genügend zur Seite. Ängstlich. Es gibt keine Sicherheit voreinander, sondern nur miteinander. Die gegenwärtige Regierung will keine Zwei-Staatenregelung, erst recht nicht die Rechte in dieser Regierung. Wenn aber die gegenwärtige Regierung kein Vertrauen entwickeln kann, muss der internationale Druck erhöht werden, um die gegenwärtige Regierung zum Einlenken zu bringen. Das ist auch mehr als bisher die Aufgabe der Europäer und der deutschen Bundesregierung. Schon jetzt ist das Verhältnis, das lange gut war, durch die provozierenden Aktionen der Regierung Netanjahu erschüttert, noch nicht nach außen, aber innen. Die israelische Regierung hätte froh sein sollen, noch jemand zu haben wie Abbas, der versucht hatte, eine einheitliche Repräsentation diesseits der Extremen zu bilden. Wer dies nicht aufgreift, will nicht. Es gibt keinen politischen Willen für eine Annäherung und einen Kompromiss.

Deswegen sollte man für einen Kompromiß mehr und anderes tun. Mit den großen ökonomischen und politischen Ressourcen Europas und Deutschlands – und einem entschiedeneren Druck der internationalen Politik, auch der Vereinigten Staaten. 50 Jahre nach der Etablierung diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, 47 Jahre nach der Besetzung der Westbank, 20 Jahre nach Oslo und seinem Scheitern mit dem Mord an Itzhak Rabin durch einen rechtsextremen Attentäter nach einer beispiellosen Hetze der Rechten gegen ihn.

Der Trotz der second naiveté. Neu beginnen

Ob es gelingt, die Schwerkraft der Verzweiflung zu überwinden – das hängt nicht nur an einem irgendwie hingenommenen Waffenstillstand – , scheint ungewisser denn je. Äonen entfernt scheint das wunderbar anmutende Friedensgebet vor etwas mehr als einem Monat, zu Pfingsten 2014, in den Vatikanischen Gärten – zwischen dem damaligen Präsidenten Israels Peres, dem palästinensischen Repräsentanten Abbas und Papst Franziskus. Es hat gezeigt, dass der „unerträgliche Konflikt“ (Papst Franziskus) gelöst werden muss.

Dies auch deswegen, weil auch durch das dramatische Vakuum einer Kompromißpolitik inzwischen der Konflikt in Israel zwischen jüdischen und palästinensischen Israelis eskaliert, es kommt zu gegenseitigen Übergriffen und Gewaltakten, die eine neue Dimension haben, die über die Demonstrationen und Ausschreitungen 2000 hinausgehen. Damals kam es zu Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Israelis und der Polizei, jetzt gehen Bürger aufeinander los. Das sind ebenso dramatische Entwicklungen; manche sehen Israel gar auf dem Weg in einen failing state.

Der Rückzug derer, die es nicht mehr aushalten und in Berlin oder Los Angeles leben, macht es schwerer. Der Rückzug der internationalen Politik, vor allem des US-amerikanischen Außenministers Kerry ebenso. Der Philosoph und Mitarbeiter Martin Bubers, Ernst Simon sprach in einem solchen Zusammenhang einmal von einer Hoffnung im Wissen um die Kräfte der Destruktivität – im Sinn einer „second naiveté“. Die Europäer und die Deutschen haben darin eine – ja – historische Verantwortung: der Logik politischer Dominanz und militärischer Zerstörung entgegenzutreten und der Maschinerie des Krieges „in den Arm zu fallen“.

 

  1. Iran.

Für einen Atomkompromiss bis Herbst 2014.

Im Iran hat seit dem Machtantritt des neuen Präsidenten Rouhani eine Wende begonnen, die die internationale Politik im Sinn  einer friedlicheren und kooperativeren internationalen und  inneren Politik des Iran entschieden unterstützen sollte, statt beckmesserisch nach mehr zu fragen und rituell Enttäuschung zu verkünden. Der verantwortliche Test für eine solche internationale Unterstützung ist letztlich, ob die internationale Staatengemeinschaft genügend Willen dafür entwickelt, dass ein Atomabkommen bis Herbst 2014 gelingt. Dies gilt um so mehr, je mehr es an Widerstandspotentialen im Iran selbst gibt. [6]

Im Inneren hat es Schritte der Entspannung gegeben. Die Sittenpolizei, die für Übergriffe verantwortlich war, ist teilweise zurückgezogen worden; die Anzahl der Hinrichtungen allerdings nicht. Auch der Druck auf die Jugend hält an – besonders schwerwiegend angesichts der mangelnden Perspektiven, die sie hat. Es gibt Anzeichen dafür, dass der neue Präsident vorsichtig die Rolle einiger Nichtregierungsorganisationen stärkt, statt alles, was sich bewegt wie zu Zeiten des vorherigen Präsidenten zu unterdrücken.

Erste Schritte in der Außenpolitik sind unter anderen der entschiedene Versuch, zu konstruktiveren Beziehungen gegenseitiger Duldung sowohl mit den Vereinigten Staaten als dem langjährigen Erzfeind wie auch mit dem Staate Israel zu kommen und eine konstruktivere Rolle zur Stabilisierung und der De-Eskalation (mit der prekären Ausnahme der Unterstützung des Assad Regimes und der Unterstützung von Hisbollah) in der Region anzubieten.

Die Administration Rouhani wendet sich glaubwürdig gegen jede Art der Leugnung des Holocaust. Die Grüße an Juden in der Welt zu Rosha Shannah sind weltweit beachtet worden. Immerhin gibt es eine Politik der „Duldung“ Israels, die zugleich die mit guten Gründen geführte Kritik an der Besatzungspolitik fortsetzt, aber einer Regelung auf der Basis der palästinensischen Repräsentanz nicht im Wege steht, sondern ein solches Abkommen de facto hinnehmen würde, welche die vorherige Präsidentschaft nie im Blick hatte. Von einer Vernichtungsabsicht des Staates Israel gar kann im Ernst bei der gegenwärtigen Präsidentschaft nicht die Rede sein, auch wenn auch zuvor unter Ahmadinejad keine operative Planung zur Zerstörung Israels entwickelt worden war.

Von staatsrechtlicher Bedeutung ist die Aussage des neuen Präsidenten,  nach der seine Regierung eine des Glaubens ist, aber keine des Staatsglaubens. Das Personal des dem Außenministerium  untergeordneten Außenpolitischen Instituts ist ausgewechselt worden und hat ein neues Profil, mit dem Wissenschaftler kooperieren können.

Ringen um einen Atomkompromiss

Die Verhandlungen zu einem Atomkompromiss stehen für eine mögliche Wende in den internationalen Beziehungen. Sie werden trotz der vehementen und teils destruktiven Blockadeversuche von innen und von außen von der neuen Präsidentschaft ernsthaft und glaubwürdig betrieben. Nach meinen Eindrücken vor dem Hintergrund einer achttägigen Reise (22.6.-29.6.2014) nach Teheran und Kerman ist die Regierung ernsthaft und glaubwürdig an einem fairen Kompromiss in Fragen des Atomstreits mit der internationalen Gemeinschaft interessiert und bemüht, dies zum Teil mithilfe der internationalen Gemeinschaft auch angesichts von Widerständen im Land und einem nur distanzierten Okay des Revolutionsführers in 2014 durchzusetzen.  Ein Teil dieser politischen Formation innerhalb des Iran hat dies intensiv schon im Jahre 2003 unter anderem über den damaligen Schweizer Botschafter Guldimans versucht, ohne dass dies auch von internationaler Seite von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Es macht aber die Glaubwürdigkeit dieses Ansatzes noch begründeter: damals gab es die Sanktionen noch nicht. Die Geduld und Zähigkeit von Präsident Rouhani, von Außenminister Zarif und des Direktors von IPIS ist beeindruckend. Die Skepsis, ob es reicht, allerdings auch. Sie dürften auch recht damit haben, dass, wenn sie sich bei einem etwaigen fehlenden Willen zur Einigung für ein Aufgeben der Verhandlung entschließen müssten, dies zu einem womöglich weit reichenden langjährigen Backlash führt. Jedenfalls ist der Grad des gegenwärtigen internen Widerstands nach wie vor erheblich.

Vermeintliche Dilemmata in den Verhandlungsgegenständen

In der Sache geht es um einen Kompromiss, der weder für die eine noch für die andere Seite absolute Sicherheit bietet. D.h. nicht, dass Details nicht wichtig sind: z.B. wie viele Zentrifugen der Iran betreiben darf; welcher Anreicherungsgrad erlaubt ist und wie die Anreicherung kontrolliert werden kann; wie mit der Atomfabrik Arak zu verfahren ist; wie die „break-out-time“ bemessen sein soll; wie die Possible Military Dimensions (PMD) beschrieben werden usw. (Vgl. ICG IRAN AND THE P5+1: Solving the Nuclear Rubik´s Cube. May 2014).

Gegenwärtig ist die Gefahr eines Scheiterns keineswegs gebannt. (Vgl. Ali Vaez (ICG): False Dilemmas in the Iran Talks, June 16, 2014 in: The National Interest) Dies gilt angesichts vermeintlicher Dilemmata in den Verhandlungen. Im langen Vorlauf haben immerhin die Verhandlungspartner des Iran implizit anerkannt, dass es ein gewisses Recht des Iran zur Anreicherung gibt. So konnte das Interimsabkommen geschlossen werden. Nun aber gehe es um die Zeit (break-out-time), die benötigt wird, Uran so anzureichern, dass damit eine Bombe hergestellt werden kann. Die Verhandlungsgruppe P5 +1 will sie so restriktiv, der Iran so umfangreich wie möglich halten. Das Problem ist, dass diese Zeitdefinitionen letztlich arbiträr sind – und damit Gegenstand der Verhandlungen und eines Einigungswillens. – Abgesehen davon, dass es zur Fertigstellung einer militärischen Angriffsfähigkeit mit Atomwaffen noch eine Reihe weiterer Schritte bräuchte. Es ist davon auszugehen, dass es ein rigides Kontroll- und Transparenzsystem gibt, erst recht, wenn die iranische Seite in der Frage der Zentrifugen etwas zu verbergen suchte.(ebd.)[7]  Wenn man nicht zurechtkommt, ist die Ausweitung der Transparenz- und Kontrollmaßnahmen. ggf. das Angebot einer neuen Kontrollinstitution für die Urananreicherungsanlagen, die einerseits Transparenz herstellt und andererseits vom Iran akzeptiert wird, eine Möglichkeit. Es sind aber nicht nur die Details, die einvernehmlich zu regeln sind und zur Absicherung des Vertrags führen sollen. Es ist, wie schon das Interimsabkommen, das Abkommen selbst, das in Schritten einen Prozess unumkehrbar machen kann, der nicht nur für das Land, sondern für die gesamte Region, d.h. letztlich auch für die Sicherheit Israels von existenzieller Bedeutung ist.

Widerstände folgen einer verabsolutierten Feindlogik

Der Widerstand von Kräften im Iran, in der Region und in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit und des Kongresses schon gegen das Interimsabkommen und erst recht gegen ein endgültiges Abkommen folgt teilweise einer Feind-Vorstellung, die verengend, ja verabsolutierend wirkt und keine Chance in den schon begonnenen Prozessen sieht. In der Tat: ein Scheitern wäre von unkalkulierbarer, Spannung steigernder, womöglich kriegsgefährlicher Bedeutung.

Die erheblichen und möglicherweise wachsenden Widerstände im Inneren beziehen sich auf die ganze Entwicklung des politischen Kurses der Mäßigung. Sie kommen vor allem aus dem Sicherheitsapparat und aus korrupten Kreisen, etwa aus Kreisen informeller Ökonomie, die unter dem besonderen und des vor allem für die Bevölkerung besonders schmerzlichen drakonischen Sanktions-Regimes Extra-Profite beziehen; aus einem binären Freund-Feind-Denken, in denen bestimmte Kreise ideologisch gefangen sind und die eine De-Dämonisierung  der Vereinigten Staaten, aber auch Europas mental nicht verkraften; sowie aus jenen, die sich in eine „Ostpolitik“, eine Ausrichtung auf China flüchten. Dies sind Faktoren, die dazu beitragen können, dass sich die Chancen und Prozesse für eine Öffnung auch gleich wieder schließen lassen.

Eine solche Gefahr aber dürfte bei einem Erfolg der Atomverhandlungen für lange Zeit entschieden geschwächt sein und je länger die Öffnung und gegenseitige Kooperation dauert, immer schwerer umkehrbar sein. Das ist bei aller Gefahr und allen Risiken eine historische Chance, die zu einem Gutteil auch von den internationalen Beziehungspartnern des Iran abhängt. Dies mag um so bedeutender sein, als inzwischen auf beiden Seiten explizit Feindbeschwörungen jede Differenzierung im Keim zu ersticken vermögen: sei’s von der Rede vom Satan Amerika oder der Achse des Bösen (Irak, Iran und Nordkorea).

Vor diesem dunklen Hintergrund war in der Tat das Interimsabkommen zwischen der Sechsergruppe und dem Iran vom vergangenen November ein historischer Durchbruch. Gegen Pläne des Kongresses im November 2013 setzte die Obama-Administration das Interimsabkommen innenpolitisch durch, ja sie sprach im Falle zusätzlicher Sanktionen durch den Kongress von einem Marsch in den Krieg. Die Regierung Netanjahu verglich die Haltung des Irans mit Nordkorea, sprach von einem historischen Fehler und verharrte stur. Die Versuche zu neuen Sanktionen wurden im Januar 2014 erneut gestartet und nur durch ein angedrohtes Veto Obamas eingedämmt. Schließlich kam es am 20. Januar 2014 zur Umsetzung des in Genf ausgehandelten Interimsabkommens.

Eine historische Chance

Dennoch: Die bisherige Politik der Regierung Rouhani illustriert erneut, dass anders als in totalitären Regimen wir es im Iran gegenwärtig mit einer gesellschaftlich und politisch praktizierten Misch-Verfassung aus theokratischen und stärker pluralen Elementen zu tun haben. Dies hat schon 1989 zum Waffenstillstand zwischen Iran und dem Irak beigetragen und sich in dem im Ergebnis gescheiterten maßvollen Kurs des Präsidenten Chatami gezeigt. Es spricht einiges dafür, dass der gegenwärtige Präsident – sehr viel vernetzter als bisherige Akteure von Reform und Mäßigung – aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt hat.

Statt mit hochgezogenen Augenbrauen auf die nach wie vor existierenden destruktiven Kräfte im Iran gebannt zu warten, ist es meines Erachtens Aufgabe kluger internationaler Politik, angesichts der Gefahr eines Scheiterns der Politik der Mäßigung diese in den Verhandlungen um den Atomkompromiss und durch einen zügigen Abbau der Sanktionen entschieden zu unterstützen.[8] Und so kooperativere und friedlichere Formen der Konfliktregelung in einer Region explodierender Bürgerkriege zu stärken. Diese Chance nicht sehen zu wollen, folgt eine Idee fix, die dem eigenen Glaubensvorrat folgt, aber nicht die beobachtbaren Potenziale sehen will.

Immerhin: Die explizite Abkehr von der Politik des bisherigen Präsidenten ist weltweit wahrgenommen worden. Rouhanis Politik steht damit in scharfem Kontrast zu einer Politik der gefährlichen, ja abenteuerlichen  Eskalationen durch den bisherigen Präsidenten Ahmadinejad. Diese Eskalation war für den breiten Protest in der Wahl 2009, der Manipulation ihrer Ergebnisse und zur  Niederschlagung der grünen Protestbewegung verantwortlich. Der bisherige Präsident war für die Holocaust-Leugner-Konferenz aus dem Jahre 2006 verantwortlich.[9]

Selten hat es seit der islamischen Revolution 1979/80 eine solche Chance gegeben, statt des bisherigen Kurses des Entweder-oder, gut oder böse in der internationalen Politik eine konstruktivere Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Iran und der internationalen Staatengemeinschaft zu versuchen. Dies mag um so bedeutender sein, als inzwischen auf beiden Seiten explizit Feindbeschwörungen jede Differenzierung im Keim zu ersticken vermögen: sei’s von der Rede des Satans Amerikas oder der Achse des Bösen (Irak, Iran und Nordkorea) ohne jede Differenzierung Gerät ist.

Um Schlimmeres zu verhindern ist mehr Mut erforderlich als bisher

Ich wäre als einer von vielen, die massive Kritik an der Entwicklung der iranischen Politik zwischen 2005 und 2013 geübt haben, nicht so dezidiert dafür, mit Mut das Risiko eines solchen Atomkompromisses einzugehen, wenn ich nicht sähe, dass sich mit der jetzigen Präsidentschaft eine der letzten großen Chancen für eine kooperative Atom-, Sicherheits- und letztlich Friedenspolitik für die Region und darüber hinaus bietet. Es ist, das muss ich nicht betonen, für die gesamte Region von entscheidender Bedeutung. Dem neuen Präsidenten ist es innerhalb eines knappen Jahres durch seine Politik der „Mäßigung und Hoffnung“ gelungen, nicht nur konsistent Signale für eine gegenseitige Anerkennung Israels und Irans zu senden – so durch Neujahrsgrüße an Israel, durch das klare Dementi gegenüber der Politik von Ahmadinejad (Kritik an dessen Holocaustleugnung), sondern in ähnlicher Weise an die Internationale Politik und nicht zuletzt an die USA. Seine Politik ist auch für die innere Entwicklung von größter Bedeutung: es ist zu einer fühlbaren Entspannung im Land und auf den Straßen gekommen – die Rolle der Sittenpolizei ist durch eine neue Zuordnung entschieden eingeschränkt worden. Die ökonomische Lage ist trotz überaus strenger Sanktionen verbessert worden. – Dies gilt im Wissen, dass die Probleme in Bezug der Menschenrechte (Zahl der Hinrichtungen) und der Verbindung Irans mit Hizbollah gravierend sind – sie aber auch mit den kommenden diplomatischen Erfolgen angegangen werden können, wie dies schon einmal 10 Jahre zuvor angeboten worden war.

Aflame

  1. Wieviel Katastrophen sind noch nötig, um zu internationalem Krisenmanagement zurückzukehren?

Diese sich überlappenden, ergänzenden und radikalisierenden Gewaltexplosionen sind allesamt Resultat lange gehegter und gepflegter Konflikte und gescheiterter Politiken zu ihrer Einhegung. Sie waren vorhersehbar. Nicht der Zeitpunkt, auch nicht das Ausmaß, aber die Eskalationsgefahr. Viele haben vor ihnen gewarnt. Nicht zuletzt der deutsche Außenminister Steinmeier mit seinem Hinweis, es gebe keine Lösung mit dem Iran und in Syrien ohne Rußland  – vergeblich. In seiner oft wiederholten Warnung vor ähnlichen „Schliddereffekten“ wie er sie für die Eskalation in den ersten Weltkrieg wahrnimmt. Aber das Schliddern geht weiter, beschleunigt sich und wird mit den Mitteln der Diplomatie nicht mehr beherrscht.

Wann endlich läßt man das Trennende zurücktreten und ist fähig, wenigstens Krisenmanagement angesichts der sich ausweitenden Gewaltexplosionen und dem Hineinschliddern in veritable Kriege zu betreiben? Gemeinsam – wie denn sonst? Ob Obama, Putin oder Merkel und die anderen. Statt scheinbare „Stärke“ zeigen, sich militärisch nicht mehr zurückhalten, Sanktionen androhen und Drohnen kaufen. Jedem sein geopolitischer bodycheck mit ausgefahrenen Ellenbogen. Kampf aller gegen alle. Na denn.

Warum muss man Jahre und Jahrzehnte zurückgehen, um sich das nötige Über-den-Schatten-springen zu vergegenwärtigen – wie zwischen Kennedy und Chruschtschow, zwischen Brandt und Breshnjew – weit vor Gorbatschow, wie zwischen Steinmeier und Merkel und Putin noch einmal 2008 auf der NATO-Konferenz oder wie zwischen de Klerk und Mandela Anfang der neunziger Jahren. Wollt ihr, wie Adlai Stevenson in ganz anderem Zusammenhang vor über 50 Jahren den sowjetischen Vertreter fragte, warten, bis die Hölle zufriert – in Donetsk, Gaza, Mosul, Benghazi, Guatemala, Nord-Nigeria, Süd-Sudan oder auf den Bergen von Sinjar ?

 

 

 

[1] Zwischenruf aus San Francisco vom 10. August 2014. Notizen von einem kurzen Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten. Sie greifen einige meiner öffentlichen Statements zu den Krisen um Rußland, Ukraine, Irak, Gaza und Iran – siehe Website hajofunke.de – aus den letzten Monaten auf, ebenso Erfahrungen aus mehrjährigen USA-Aufenthalten seit den 80ern.

Ich danke Michael Lerner, Elliot Neaman; Lutz Bucklitsch und Christiane Mudra sehr für weiterführende Gespräche

 

[2] Von der internationalen Politiktheorie erfahren wir naheliegenderweise wenig zu Krisenanalyse und Krisenbewältigung, mehr über grundlegende Orientierungen des Realismus oder des Neorealismus und anderer Verallgemeinerungsversuche; sie sind „weit ab vom Schuss“. Was gefordert ist, ist die jeweilige Genese des Konflikts im Inneren zu klären: soziale Entgleisungen, Naturkatastrophen, kulturelle, politische und militärische Erschütterungen und sich reproduzierende Gewaltkulturen in autoritären Räumen ohne vernünftige Regierung und Staatlichkeit sowie die versuchte Einflussnahme der um Einfluss ringenden größeren Mächte in der Region – und hieraus ein angemessenes Krisenmanagement abzuleiten, das sich pragmatisch an einem Weniger an Gewalt und Krieg und an einem Mehr an individuellen Rechten, sozialen Chancen und good governance orientiert und daher naheliegenderweise pragmatisch und normativ orientiert ist. Vgl. auch eher allgemein unser Versuch in: Rensmann/Hagemann/Funke. Autoritarismus und Demokratie. Schwalbach 2011

[3] Wie sich ein ethnischer Konflikt mit Stellvertreterrollen aufladen kann, zeigt nach wie vor der bis dato schlimmste Konflikt in Europa nach dem Ende des Weltkriegs. Er zeigt, dass das in der deutschen Diskussion so gepflegte Pochen auf Regeln allein nichts nützt. Denn wer in diesen Monaten in Fragen Rußlands und der Ukraine mit moralischem Ton auf Regeln pocht, erst recht mit einem verbalen Fundamentalismus des die einen haben ganz recht die anderen ganz unrecht, sollte sich daran erinnern, dass Regeln gerade in der internationalen Politik nur Wirkung entfalten, wenn sie durch eine Politik der Kompromisse und der Nachachtung dieser Regeln in und zwischen den Staaten gestützt werden.

Er sollte sich darüber hinaus an die eigene Nase fassen und sich fragen, ob er nicht im Glashaus sitzt. Das gilt für die vielen, die die Politik von Bush Junior hingenommen oder sogar unterstützt haben – gegenüber dem Irak, in der Frage der NATO-Osterweiterung, oft zusammen mit radikalen Neokonservativen aus den Vereinigten Staaten. Schon einmal hat nach dem Ende des kalten Kriegs der Griff zu internationalen Regelwerken nichts gebracht. Der größte Konflikt in Europa nach Auschwitz fand in den Jahren 1992 bis August 1995 mit dem Genozid an den muslimischen Bosniern im zerfallenden Jugoslawien statt. Es hat nichts gebracht, Kroatien anzuerkennen. Mehr noch: die UNO hat (nicht nur in Ruanda) im zerfallenden Jugoslawien versagt: obwohl sie das Konzept der sicheren Häfen verabreden konnte, wurde es nicht zureichend umgesetzt. Dazu hätte es einen entsprechenden politischen Willen gebraucht. An ihm hat es gefehlt, in Deutschland, in Europa, auch in den Vereinigten Staaten, trotz der mutigen Einzelnen wie dem jungen US-Botschafter Peter Galbraith in Kroatien, der Waffen an die Bosnier lanciert hat oder einzelnen britischen Kommandeuren, die safe heavens mit Erfolg verteidigt haben.

In der entscheidenden Sitzung im April 1995 mit UN-Vertretern und der US-Regierung Clinton/Albright stand Srebrenica auf der Tagesordnung: Srebrenica ließ sich wenn überhaupt nur durch eine stärkere Panzerpräsenz von UN Einheiten verteidigen. Das hatten die Holländer nicht, sehr wohl aber die Dänen. Es war verabredet worden, das dänische Bataillon mit dem holländischen auszutauschen und es im Frühjahr nach Srebrenica zu entsenden. Allerdings unter einer Bedingung, dass die UN im Falle einer Umzingelung oder eines Angriffs auf Srebrenica Luftunterstützung garantierten. In der entscheidenden Sitzung vom siebzehnten April  1995 verweigerte dies die damalige Außenministerin der vereinigten Staaten mit eher sarkastischen Worten. Damit war das Schicksal Srebrenicas drei Monate vor seiner Einnahme besiegelt. Die extrem-serbischen Milizen von Mladic wußten drei Monate vorher, dass sie Srebrenica ohne Gefahr einnehmen konnten. Dreieinhalb Jahre später wollte die US-Administration es dann doch noch wissen, obwohl es zuvor zu einem Kompromiss gekommen war, den man nicht wirksam getestet hatte. Stattdessen umging man nun das Völkerrecht, dass es ihnen 1995 noch erlaubt hätte, und führte den Kosovo-Krieg durch Lufteinsätze.

 

[4] In Der amerikanische Weg 2002 und in Gott Macht Amerika 2006 habe ich darüber geklagt. Von meinem Besuch Baghdads Anfang März 2003 hatte ich in elektronischen Medien berichtet. Siehe die einschlägigen Vor-Ort-Berichte Nir Rosens im Internet.

[5] „ISIS blossomed in a political vacuum amid deep, sectarian, societal ruptures. These do not exist in Gaza. So long as Gaza is not left as a festering wound and a political vacuum, there is no reason for hysterical predictions of an Islamic State in Gaza.” (Matthew Levitt in New Republic am 7. 8. 2014)

[6] Die folgenden Einsichten basieren auf den Konzepten und Ideen sowie den ersten Schritten der neuen Präsidentschaft, aus Gesprächen mit Exiliranern und einem achttägigen Besuchs im Iran anlässlich einer mehrtägigen Konferenzserie zur Energie- und Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, des außenpolitischen Instituts des Außenministeriums des Iran, IPIS und von BC CARE der Freien Universität Berlin sowie einer zweitägigen Reise in die Provinz Kerman.

Anlass war die Konferenz German-Iranian Energy Cooperation: A Field for Political Confidence Building? of IPIS-FES-BC CARE/Free University Berlin vom 24 Juni 2014 in Tehran – unter anderen mit dem (wieder eingesetzten) Generaldirektor des IPIS, Dr. Mostafa Zahrani, dem stellvertretenden iranischen Außenminister für Europa und Amerika, Dr. Majid Takhte Ravanchi, mit Professor Christoph Zöpel (SPD), Privatdozent Dr. Lutz Mez, Dr. Behrooz Abdolvand und David Jalilvand (BC CARE der FU Berlin) und einer Reihe weiterer Politikwissenschaftler aus dem Iran und Deutschland. Es kam auch im Rahmen eines Empfangs in der Residenz des deutschen Botschafters zu einer Reihe ausführlicher, sehr offener Gespräche mit den iranischen Partnern:

 

[7] Konkret sind es vor allem drei Punkte: (1) Die Verhandlungsgruppe will, dass Iran die installierten Zentrifugen von gegenwärtig etwa 19.000 auf unter 1000 reduziert – der Iran will sie auf 100.000 und mehr ausdehnen. (2) Die Verhandlungsgruppe P5 +1 will ein Abkommen für mindestens 20 Jahre – der Iran für nicht mehr als fünf Jahre. (3) Der Iran will die Aufhebung der Sanktionen in einem kurzen Zeitraum, während es den USA und der EU um eine schrittweise Suspension der Sanktionen in einem längeren Zeitraum geht. Daneben wollen einige die Raketen des Iran mit zum Gegenstand der Verhandlungen machen.

 

[8] Historische Durchbrüche zu Kompromissen vergleichbarer Natur haben gewisse auch mit Druck, Sanktionen und Isolierung zu tun, aber ebenso sehr mit glaubwürdigen Offerten und persönlichem Vertrauen der Verhandlungspartner. Das gilt für das Ende des kalten Kriegs, das ohne die Ostpolitik Willy Brandts so nicht stattgefunden hätte. Das gilt für die Verhandlungspartner de Klerk und Nelson Mandela zum Ende der Apartheid Südafrikas.

[9] Dies ist von uns mehrfach öffentlich wie  nicht-öffentlich kritisiert worden. In Briefen an die damalige Bundesregierung wie an die Vereinten Nationen, vor allem zum Ausmaß der Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte.

Hinterlasse einen Kommentar