Vom BND Bau in der Chausseestraße in das Sarglager des Krematorium / Ein nächtliches Experiment des Überwachungsschreckens


Im (Schlag-)Schatten des BND. Das nächtliche Theater-Experiment im Berliner Untergrund der Regisseurin Christiane Mudra

Vom BND Bau in der Chausseestraße in das Sarglager des Krematorium

Ein nächtliches Experiment des Überwachungsschreckens

Eine Straße irgendwo mitten in Berlin. Scheinbar unbeteiligte Passenten laufen vorbei. Plötzlich klingelt das Mobiltelefon, und eine verzerrte Stimme lässt einen wissen, dass man beobachtet wird. Was wie eine Szene aus einem Agententhriller klingt, lässt sich in diesen Tagen hautnah miterleben. Im Rahmen des internationalen Literaturfestivals und in Kooperation mit Reporter ohne Grenzen lädt die Regisseurin Christiane Mudra zu einem Überwachungsexperiment in Echtzeit ein, das auf zahlreichen Interviews mit Überwachungsopfern aus der DDR, dem Nahen Osten, der BRD und den USA basiert.“

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Ich bin um 18:00 Uhr per E-Mail-Anweisung vor das Parkgelände des Hamburger Bahnhofs einbestellt. Es regnet in Strömen. Um 18:03 Uhr bekomme ich einen anonymen Anruf: ich soll mich umdrehen. An der Rückseite eines Eingangsschilds befinden sich Dokumente zum Verfassungsschutz, Auszüge aus einem Interview mit einem Anwalt und Publizisten, der unrechtmäßig vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht wurde und ein Hinweis, wohin ich weiterzugehen habe. Der Anruf zeigt, ich werde beobachtet. An der Brücke, wo das erste Maueropfer starb, finde ich einen weiteren Umschlag; es handelte sich um Dokumente zu Zersetzung und Gerichtsurteilen der Stasi und die Information, dass sich das Oberste Gericht der DDR im heutigen Bundeministerium für Wirtschaft und Technologie gegenüber befand. Am Zaun des Wirtschaftsministeriums warten Informationen aus den Gamma Leaks und über Spyware- Exporte in Diktaturen durch die deutschen Firmen Gamma und Trovicor. Der Regen wird stärker. Die nächste Anweisung leitet mich auf die Rampe des Mauerbrunnens. Im umliegenden Invalidenpark ist niemand zu sehen – bis auf zwei, die Angeln statt ins Wasser auf den nassen Rasen werfen. Sie machten sich durch ihr Spiel suspekt. Gehören sie dazu?

Ich gehe die Rampe des Mauerbrunnens hoch, finde eine Weinflasche, deren Etikett ein weiteres Textfragment ist und erhalte die nächste Anweisung, die mich an einer Telefonzelle mit Informationen zu Eikonal und Geschichten aus der BRD, Israel und der DDR, vorbei an Plattenbauten mit beeindruckenden Funkaufbauten auf dem Dach (gehören sie zum BND?) weiterführt. Unterwegs drückt mir plötzlich ein Unbekannter Kopfhörer auf die Ohren. Ich lausche der Geschichte des Stasi- Informanten Carney, der von amerikanischen Diensten Anfang der 90er Jahre aus dem wiedervereinigten Berlin entführt wurde.

Der Weg führt am Augusta Krankenhaus vorbei an die Panke. Von dort aus öffnet sich der Blick auf den im Halbdunkel liegenden, halbfertigen BND-Bau. Kaum noch Licht, ohne Menschen am immer noch nicht fertig bezogenen riesigen Panzerbau, in dem sich das Bundeskanzleramt mehrfach verstecken könnte. Auf einer Bank sitzt ein Mann mit Anonymous- Maske. Die nächste Anweisung leitet mich in die Chausseestraße an einen Bauzaun gegenüber des BND-Monstrums. Ich laufe den Zaun mehrfach hin und zurück und finde nichts. Dann ein Anruf: Am Bauzaun gegenüber. Ich überquere die Strasse. Plötzlich umfasst mich jemand von hinten und drückt mir einen Umschlag auf die Brust. Der Mann, der vor mir mit schnellen, leicht trippelnde Schritten dünnbeinig mit einem Rucksack davon läuft und im Dunkel der Chausseestrasse nach Norden entschwindet, hatte mich beobachtet, dreht sich nicht um. Ich habe in die U-Bahn zu steigen und in einem Weddinger Park eine neue Fundstelle aufzusuchen. An der U-Bahn-Haltestelle gehe ich an einem Mann vorbei, der derjenige sein könnte, der mich 3 Minuten zuvor zu Tode überrascht hat. Ich bin nicht sicher. Er erwidert meine Blicke nicht, steigt aber auch in die U-Bahn ein.

An der nächsten Fundstelle – ein Schaukasten im Park, es ist schon sehr dunkel, es regnet weiter, ist niemand mehr zu sehen.

Doch plötzlich kommt einer auf mich zu, packt mich und zwingt mich mitzukommen. Ich folgte ihm widerwillig durch ein automatisches Rolltor, das hinter mir krachend schliesst. Der Weg über eine Rampe in die geflieste Kellerebene wendet das Spiel. Mit Gewalt werden mir die gesammelten Unterlagen von einer Wärterin vor dem Verhörraum entrissen – in einem Sarglager, das von Särgen freigeräumt und mit Warnungen vor Ammoniakgiften an den Wänden bestückt ist. Die Akte Funke enthält Dinge, von denen ich nicht wusste.

Als ich entlassen werde, habe ich Zeit, im Dokumentationsraum, der sich – noch mit Kühlschränken bestückt- in der ehemaligen Gerichtsmedizin des Krematoriums befindet, mehr über die Zersetzungsbeobachtungen meines früh verstorbenen Freundes Jürgen Fuchs zu lesen. Es war genau so.

Ein beklemmendes Stück zwischen BND und den Isolierkammern der Stasi. Verstörend. Isolierend. Gewalttätig. Das Gefühl der Vereinzelung. Ohne die Gemütlichkeit der Theaterabende neben anderen. Ohne Beifall – Ohne Kommunikation – die Erfahrung unbegrenzter Willkür. Wie in der DDR. Wie in anderen totalitären Regimen. Ich habe nur deshalb nicht abgebrochen oder mich wütender gewehrt, weil es Theater war. Die Verabredung zu einem Spiel. Oder war es mehr?

Eine bedrückend intensive Erfahrung im nassen dunklen Berlin diesseits und jenseits der Mauer.

Ich ahne jetzt erst, was es heißt, im Fadenkreuz eines Geheimdienstes zu sein.

(Hajo Funke, Berlin, Oktober 2014)

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