bnr.de: Terrorakt mit möglichst vielen Opfern


VON ARMIN PFAHL-TRAUGHBER
Die rechtsterroristischen Nagelbombenattentate in London 1999: Vorbild für den Anschlag des NSU in Köln 2004?

Rechtsterrorismus: möglichst hohe Opferzahlen durch Nagelbombenanschlag; Photo: ibefisch/pixelio.de

Angesichts der besonderen Gewaltintensität, die in der geplanten und gezielten Ermordung von Menschen mit Migrationshintergrund zum Ausdruck kam, finden andere Gewaltakte des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) gegenwärtig keine so große Aufmerksamkeit. Zu derartigen Taten gehörte auch der zweite Sprengstoffanschlag: Am 9. Juni 2004 explodierte in der Keupstraße in Köln-Mühlheim eine Bombe, die auf dem Gepäckträger eines Fahrrads angebracht war und um die 10 Zentimeter lange Nägel streute. Dadurch wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Außerdem kam es zu schweren Beschädigungen an Fahrzeugen und Gebäuden.

In der genannten Straße arbeiteten und wohnten insbesondere Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Die Ermittler der Polizei schlossen relativ schnell einen terroristischen Anschlag mit fremdenfeindlichen oder islamistischen Motiven aus. Man vermutete demgegenüber fälschlicherweise einen kriminellen Hintergrund, der sich aus Drogenhandel oder Schutzgelderpressung ergeben habe.

Türkischstämmige Herkunft als soziale Besonderheit der Opfergruppe

Der Anschlag blieb bis zum November 2011 ungeklärt. Erst da stellte sich im Kontext der eher zufälligen Entdeckung des NSU heraus: Der Nagelbombenanschlag im Juni 2004 in Köln ging auf die rechtsterroristische Zelle zurück. Die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera hatten einen nicht näher identifizierbaren Mann festgehalten, welcher ein Fahrrad an den späteren Tatort geschoben hatte. Kurze Zeit später wurde durch eine Fernzündung die Explosion ausgelöst. Die Nutzung von Nägeln ließ auf die erklärte Absicht schließen, möglichst viele Anwohner und Passanten zu verletzen. Demnach richtete sich der Anschlag nicht gegen bestimmte einzelne Personen, auch nicht gegen die Inhaber eines dortigen Friseurladens. Die soziale Besonderheit der Opfergruppe und Verletzten bestand lediglich in deren türkischstämmiger Herkunft. Zwar mutmaßten Anwohner und Betroffene einen fremdenfeindlichen und rechtsextremen Hintergrund. Die Ermittlungsbehörden gingen aber solchen Überlegungen nicht entschieden genug nach.

Zwar fand man am Tatort keine Indizien oder Spuren, die in diese Richtung deuteten. Gleichwohl kennt die Geschichte des Rechtsterrorismus in Europa auch noch einen anderen Fall mit Nagelbombenanschlägen: Im April 1999 kam es in London innerhalb von 13 Tagen zu drei Gewaltakten dieser Art, welche auf Straßen mit besonderen Bewohnergruppen wie Homosexuellen, Migranten und Schwarzen durchgeführt wurden. Bei dem Täter handelte es sich um den britischen Neonazi David Copeland. Copeland’s Leben und Untaten wurden von den beiden Publizisten Nick Lowles und Graeme McLagan in ihrem Buch „Mr. Evil. The Secret Life of Pub Bomber and Killer David Copeland“, London 2000, ausführlich dargestellt.

Auslösung eines „Rassekrieges“

Der 1976 geborene Täter hatte sich bereits als Jugendlicher für den Nationalsozialismus und insbesondere für die SS begeistert. So verwundert es nicht, dass Copeland 1997 der rechtsextremen „British National Party“ beitrat, sie aber bereits 1998 wieder verließ und sich dem „National Socialist Movement“ anschloss.

Und erneut ein Jahr später beging Copeland die erwähnten drei Anschläge mit Nagelbomben an verschiedenen Orten in London: Den ersten führte er am 17. April 1999 in dem insbesondere von Schwarzen bewohnten Stadtbezirk Brixton durch. Der zweite Anschlag folgte am 24. April in der Hanbury Street, wo viele bengalische Migranten einkauften und wohnten. Schließlich explodierte am 30. April eine Bombe in der Old Compton Street, wo sich bekanntermaßen viele Homosexuelle aufhielten. Durch die Stärke der Explosion wurden die Nägel jeweils relativ weit gestreut. Drei Menschen starben und etwa 160 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Veröffentlichung von Videoaufnahmen in den Medien führte dann aber schnell zu Copelands Entdeckung und Verhaftung. Er bekannte sich direkt zu den Taten, welche von ihm allein geplant und umgesetzt worden seien. Copeland erklärte weiterhin, er hätte um der Auslösung eines „Rassekrieges“ willen Furcht verbreiten und die Migranten zu Reaktionen provozieren wollen.

Menschen durch wuchtvolle Streuung von Nägeln mittels Bomben verletzen

Copeland gilt als Einzeltäter, liegen doch für eine direkte Unterstützung durch eine rechtsextreme Organisation keine Belege vor. Inwieweit einschlägige Bekenntnisse von oder Zuschreibungen zu „Combat 18“ angemessen sind, kann daher nur schwer gesagt werden. Unabhängig von der Frage „Einzel- oder Gruppentat“ bleibt aber festzuhalten, dass Copeland aus dem gewaltgeneigten britischen Rechtsextremismus kam und seine Handlungen in deren ideologischem Sinne ausgerichtet waren. Einige Wochen vor den Anschlägen war er zudem zum Leiter des „National Socialist Movement“ für Hampshire ernannt worden, was für seine tiefe Verankerung im militanten rechtsextremem Spektrum spricht. Die Auswahl der Opfergruppen in Form von Homosexuellen, Migranten und Schwarzen steht ebenso für eine entsprechende Kontinuität wie der systematische Versuch, möglichst viele ihnen zugehöriger Menschen durch die wuchtvolle Streuung von Nägeln mittels Bomben zu töten oder zu verletzen.

In diesem letztgenannten Aspekt bestehen Gemeinsamkeiten mit dem Anschlag des NSU am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße. Hier soll natürlich nicht die Auffassung vertreten werden, das ostdeutsche Neonazi-Trio hätte die Taten Copelands als Plan oder Vorbild für ihr Nagelbomben-Attentat genutzt. Eine Kausalität folgt nicht notwendigerweise aus einer Parallelität. Gleichwohl macht die Kenntnis der Nagelbomben-Anschläge in London deutlich, dass solche Gewalthandlungen in der praktischen und theoretischen Konsequenz rechtsterroristischen Vorgehens liegen. Aus der Kenntnis davon hätte sich auch die Hypothese ableiten lassen, wonach der Kölner Anschlag einen fremdenfeindlichen und rechtsterroristischen Hintergrund hätte haben können. Ein vergleichender Blick auf Entwicklungen im Ausland wie hier auf den rechtsextremen Gewalttäter in Großbritannien kann nämlich den Blick zur Erkenntnis der Hintergründe von Anschlägen im eigenen Land schärfen.

Quelle: Blick nach Rechts

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