#Fremdenfeindlichkeit| Offener Brief von ehemaligen Schülerinnen und Schülern des Domgymnasiums Merseburg


Sehr geehrter Herr Dr. Mannke,

wir – ehemalige Schülerinnen und Schüler des Domgymnasiums Merseburgs, an dem Sie viele Jahre tätig waren – haben mit großer Bestürzung Ihren Artikel „Flüchtlingsdebatte: Anpassung an unsere Grundwerte erforderlich“ in der Zeitschrift des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt (3/2015) zur Kenntnis genommen.

Ihr Unterricht und die Zusammenarbeit mit Ihnen haben uns geprägt. Im Deutschunterricht haben Sie uns mit der überwältigenden Prosa des Kosmopoliten Stefan Zweig oder den beklemmenden, die schrecklichen Folgen von Propaganda und Nationalismus entlarvenden Werken von Erich Maria Remarque vertraut gemacht. Im Geschichtsunterricht halfen Sie uns, uns mit den erschreckenden Mechanismen der Demagogie in Victor Klemperers „LTI“ auseinanderzusetzen. Zudem führten Sie uns – nicht zuletzt auf Grundlage Ihrer eigenen Biografie als Nachfahre der Hugenotten – deutlich vor Augen, dass Migration als ein Grundbestandteil der Geschichte Europas und der Welt zu begreifen ist. Umso überraschender und bedauerlicher ist es nun für uns, gerade von Ihnen einen solchen Artikel zu lesen. Wir sind ebenso empört darüber, wie Ihre Zeilen dazu beitragen, das Bild eines intoleranten und rassistischen Sachsen-Anhalts zu vermitteln.

Ihr Beitrag nutzt einerseits neu-rechte und von rechtskonservativen Autoren geprägte Begriffe wie „Invasion“ und „ungehemmte Einwanderungsströme“. Sie greifen andererseits auch auf klassische kulturrassistische Ressentiments zurück, indem Sie das Trugbild des (ungebildeten) virilen muslimischen jungen Mannes als Bedrohung (weißer) deutscher Frauen imaginieren. Die Reduktion des komplexen Themas Flucht und Asyl auf die Angst um „unsere“ Mädchen und „unsere Werte“ sowie die fragwürdigen Spekulationen über die Sexualität muslimischer Männer sind eines Pädagogen unwürdig. Wir alle empfanden die gleiche Bestürzung über Ihre Argumentationen und Begrifflichkeiten, die wir sonst nur von den wöchentlichen Aufmärschen der *Gidas in Dresden, Leipzig oder Erfurt kennen.

Wir bestreiten die Herausforderungen nicht, vor denen der Rechtsstaat und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland stehen. Dass eine sinnvolle Integration nur über Spracherwerb und positiven Bezug auf geteilte Werte gewährleistet werden kann, ist unzweifelhaft. Lehrerinnen und Lehrer dürfen, wenn sie sich mit den zunehmend heterogenen Klassenzusammensetzungen und Sprachkompetenzen überfordert fühlen, damit nicht allein gelassen werden.

Statt Ängste mit Halbwahrheiten zu schüren, die häufig ganze Lügen sind, sollten gerade Sie als Geschichtslehrer wissen, dass Wandel und Verflechtungen die Grundlagen jedweder Geschichte sind.

Man kann sich beim Gedanken daran unbehaglich fühlen, dass ein Wandel, den man selbst nicht gewollt hat, die eigene Welt verändern wird. Doch das gibt niemandem das Recht, Menschen zu diffamieren. Vielmehr nimmt dieser Wandel jeden von uns in die Pflicht, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, damit er friedlich und zum Wohle aller verläuft.

Wir hoffen, Sie für diese notwendige Debatte zu gewinnen. Ihren Unterstellungen und Ihrem kulturell basierten Rassismus widersprechen wir deutlich. Wir sind enttäuscht und traurig.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr/Ihre

Alexander Amori (geb. Döring), Abiturjahrgang 1997
Franka Böttcher, Abiturjahrgang 2000, Halle/Saale
Angelika Brünecke, Abiturjahrgang 2005, Leipzig
Sandra Bullens, geb. Lönnig, Abiturjahrgang 1995, München
Mona Engelke, Abiturjahrgang 1997, Bremen
André Gottschalk, Abiturjahrgang 2009, Aurich
Anja Gruber-Wiedemann, Abiturjahrgang 1997, Merseburg
Andreas Heidenreich, Abiturjahrgang 1996, Berlin
Sven Jaros, Abiturjahrgang 2006, Leipzig
Lucas Jost, Abiturjahrgang 2000, Guadalajara (Mexiko)
Marcus Jost, Abiturjahrgang 1997, Hamburg
Rebecca Jost, Abiturjahrgang 2004, Leipzig
Alexander Kaluza, Abiturjahrgang 2006, Braunschweig
Jakob Kindler, Abiturjahrgang 2000, Halle/Saale
Robert Kindler, Abiturjahrgang 1997, Berlin
Annekathrin Lange, Abiturjahrgang 2000, Berlin
Benjamin März, Abiturjahrgang 1998, Leipzig
Tina Otten, Abiturjahrgang 2008, Halle/Saale
Ann-Kathrin Pfeffing, Abiturjahrgang 2006, Leipzig
Lisa Richter, Abiturjahrgang 2006, Berlin
Susanne Rönicke (geb. Ebert), Abiturjahrgang 1997, Leipzig
Antje Ryssel, Abiturjahrgang 1995, Leipzig
Matthias Schrinner, Abiturjahrgang 2007, Leipzig
Ellen Schweda, Abiturjahrgang 1995, Halle/Saale
Dr. Bernhard Spring, Abiturjahrgang 2003, Halle/Saale
Sebastian Striegel, Abiturjahrgang 2000, Halle/Saale

Kontakt und Rückfragen: Sven Jaros (sven.jaros@gmx.net) und Lisa Richter (lisa.magdalena.richter@gmail.com)