Als „Expertin“ für die Szene in dem Bundesland war Bettina Neumann geladen, die bis 2011 18 Jahre lang die Referatsleiterin Auswertung beim Baden-Württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz war. Doch Erhellendes konnte oder wollte sie an diesem Tag nicht sagen. Beobachter_innen mussten den Eindruck gewinnen, dass sich manche Ausschuss-Mitglieder mittlerweile besser mit der Materie auskennen, als die Beamt_innen, die sich tagtäglich mit der Szene beschäftigen. Die am häufigsten benutze Phrase war mal wieder „ich kann mich nicht erinnern“ – und von ihrem eigenen Vergessen war die Zeugin „auch erschüttert, aber das ist eben so“.
Baden-Württemberg sei nie eine Hochburg des Rechtsextremismus gewesen und die vorhandenen Strukturen habe man gut im Blick gehabt. Kontakte in den Osten habe es nicht gegeben, auch Tino Brandt sei keine Person mit Bezügen zu Baden-Württemberg gewesen, war Neumann der Meinung. Dass Brandt Ende der 90er Jahre ein Haus in dem Bundesland kaufte, dass zahlreiche Blood&Honour-Kader in den Raum Stuttgart und Ludwigsburg zogen, dass Mundlos in einem Brief an Thomas Starke begeistert von den zahlreichen Waffen in der Region Ludwigsburg schrieb, dort hätten sie sogar einen regelrechten „kleinen Waffenladen“ – von all dem will die Chef-Auswerterin nichts gewusst haben. Der Raum Ludwigsburg sei eben schon immer ein weißer Fleck gewesen. „Wo die Kontakte des Trios zu Ludwigsburg herkommen habe ich mich auch gefragt, das ist mir ein Rätsel“, sagte Neumann vor dem Ausschuss.
Von einem anderen Thema wurde die Zeugin offensichtlich völlig überrascht. Heute arbeitet Bettina Neumann als Chef-Auswerterin beim Bundesamt für Verfassungsschutz und ist dort Kollegin des Akten-Schredderers, der nach dem Bekanntwerden des NSU im November 2011 seine Kolleg_innen anwies mehrere Akten zu schreddern. Das machte die Ausschuss-Mitglieder hellhörig und zog Fragen über den Vorgang nach sich. Nervös schaute sich Neumann nach dem Vertreter des Bundesinnenministeriums um, der auch gleich intervenierte und meinte, dieser Komplex sei nicht von der Ladung der Zeugin abgedeckt – doch es half nichts. Dennoch wollte Neumann offensichtlich nicht zur Aufklärung beitragen. „Es war eine total hektische Zeit mit viel Arbeit, da passieren halt auch Fehler“, erklärte sie die Akten-Vernichtung. Zwar habe sie mit dem Schredderer auch über die Aktion gesprochen, doch um was es konkret ging und wann das war, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern – aber jedenfalls nicht im Sommer, so die Zeugin.
Dies deutet darauf hin, dass die Schredder-Aktion in der Behörde schon weit vor dem Rücktritt des BfV-Chefs Fromm bekannt gewesen sein muss. Dies bestätigte auch der Ausschuss-Vorsitzenden Edathy, der von der Vernehmung der Beamtin berichtete, die die Akten schließlich in den Schredder steckte: der Vorgang sei intern bereits kurz nach der Akten-Vernichtung diskutiert worden, habe die Behördenleitung aber erst Monate später erreicht und dann dem Chef den Kopf gekostet.
Besser als über die Region Ludwigsburg, war das Landesamt für Verfassungsschutz über die Gründung einer KKK-Sektion in Schwäbisch-Hall informiert. Über Internet-Recherchen und Zeug_innen wurden bereits 1998/99 erste Hinweise auf KKK-Aktivitäten bekannt. Neumann berichtete, das Amt habe bundesweit 20 Mitglieder identifiziert, davon 5-6 in Baden-Württemberg. 2002 löste sich die Zelle dann auf – nach einer koordinierten Aktion des Bundes-Verfassungsschutzes und der Landesämter. Zeitgleich wurden 2002 alle Mitglieder für Gefährdenansprachen aufgesucht, woraufhin die Aktivitäten aufhörten. Ziel sei „wehret den Anfängen“ gewesen, so Neumann. Man habe so früh wie möglich verhindern wollen, dass etwas passiert: „laufenlassen und dann Einschreiten ist eine feine Sache, wenn es funktioniert“.
Ob die Mitgliedschaft zweier Polizeibeamten beim KKK ein Grund für diese einmalige Aktion gewesen sein könnte blieb auch beim zweiten Zeugen des Tages offen. Der frühere Baden-Württembergische VS‘ler Helmut Rannacher brachte es in seinen 35 Jahren bei der Behörden vom Sachbearbeiter bis zum Chef. Er berichtete über die beiden V-Leute beim KKK. Die Landesbehörde war deshalb so gut informiert, da der V-Mann des Bundesamtes Thomas Richter(„Corelli“) regelmäßig über die Treffen und ihre Mitglieder berichtete. Das führte zur Abschaltung des zweiten V-Manns im KKK-Kreis Achim Schmidt, der zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre für das Landesamt arbeitete, aber seinem Arbeitgeber nichts von der Gründung der KKK-Zelle erzählte. Das Amt fühlte sich angelogen und schaltete ihn ab.
Hellhörig wurde das Amt bei zwei anderen Mitgliedern. Zwei Polizisten waren regelmäßig beim KKK dabei, doch sehr aktiv seien beide nie gewesen, „einem war es zu lasch“, so Rannacher. Einschreiten konnte die Behörde aber erst über ein Jahr nachdem sie davon erfuhr, da die Information aus Quellenschutzgründen erst „handhabbar“ gemacht werden musste. Die disziplinarischen Reaktionen der Landespolizei waren verhalten. Ein Beamter bekam eine Rüge ausgesprochen, der zweite nicht einmal dies. Der VS bekam noch weitere Hinweise auf drei weitere Polizist_innen, die auch bei Kreuzverbrennungen und im Umfeld des KKK dabei gewesen sein sollen, doch verifizieren ließen sich dies Meldungen nie, so dass auch die Konsequenzen ausblieben.
Seinen Unmut äußerte Hannacher über den öffentlichen Umgang mit den Geheimdiensten. Zwar räumte er ein, dass die „Institution Verfassungsschutz“ im Bereich Rechtsterrorismus versagt hat. „Das Ergebnis ist desaströs“, beim Amt fehlte die Vorstellungskraft für derartige Taten von Neonazis. Doch verwahrte er sich gegen Kritik: „über den gesamten Verfassungsschutz werden Kübel von Häme und Missachtung ausgeschüttet, das ist bitter für die Aktiven, die undifferenziert zu den Deppen der Nation heruntergemacht und heruntergeschrieben werden“.
Letzte Zeugin des Tages war die Angelika Baumert, Erste Kriminalhauptkommissarin (EKHK‘in) beim BKA, die über Jahre mit Ermittlungsverfahren gegen Thorsten Heise befasst war. Bei einer Durchsuchung wurden 2007 Tonbänder bei Heise beschlagnahmt, auf denen er Jahre zuvor heimlich Gespräche mit Tino Brandt aufgenommen hat. Auf einem Band unterhalten sich beide auch über ein abgetauchtes Trio aus Jena, die Namen Mundlos,Zschäpe und Böhnhardt fallen und Heise spekuliert, ob die Behörden das Trio als terroristischen Arm des Thüringer Heimatschutzes (THS) bewertet haben. Doch nach der Beschlagnahme der Bänder passierte erstmal nichts. Zwei Jahre später, 2009, wurden die Bänder dann zwar verschriftlicht, aber es passierte weiterhin nichts. Erst als der Ermittlungsbeauftragte des Untersuchungsausschusses die Akten des BKA nach Stichworten durchsuchte, stieß er auf die brisanten Akten. Dass die Bänder zwei Jahre lang nicht ausgewertet wurden und auch dann nichts passierte, erklärte die spätere Verfahrensführerin mit Überlastung: „Es war bei uns wirklich ein Zeitproblem, ich hatte Verfahren die höherwertiger, aktueller waren“. Warum der Fund später nicht an Thüringen weitergemeldet wurde, konnte sie auch nicht erklären. Heute arbeitet Baumert bei der „EG Trio“, der Sonderkommission des BKA.
Ob in dieser Abteilung die eigenen Akten gelesen und die Asservate zeitnah und nicht erst in einigen Jahren ausgewertet werden, wissen wir jedoch nicht.
Auf Thomas Richter als NSU-Kontaktperson zu stoßen war kein Kunststück: Sein Name samt Adresse und mehreren Telefonnummern stand auf einer Adressliste von Uwe Mundlos, die Polizisten 1998 in der Bombenwerkstatt des späteren NSU in Jena sichergestellt hatten. Von 1997 bis 2007 soll Thomas Richter auch als Informant »Corelli« des Bundesverfassungsschutzes tätig gewesen sein. Er war u.a. ein Herausgeber der Zeitung »Nationaler Beobachter« und betrieb mehrere Neonazi-Internetseiten. Auch im Blood & Honour Milieu mischte Richter mit. Anfang der 1990er Jahre war er laut VS-Erkenntnissen u.a. zusammen mit dem späteren Bundesvorsitzenden der NPD-Jugendorganisation Michael Schäfer, Mitglied der European White Knights of the Ku Klux Klan (EWK KKK), einem deutschen Ableger des rassistischen Geheimbunds aus den USA. Weitere Mitglieder waren auch mindestens zwei Polizeibeamte aus Baden-Württemberg. Diese arbeiteten 2005 bei der Bereitschaftspolizei in Böblingen. Hier arbeitete zeitgleich die Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 von den NSU-Mitgliedern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Heilbronn erschossen wurde. Einer der Polizisten war sogar schwerpunktmäßig an Einsätzen mit »rechtem Hintergrund« beteiligt.
Thomas Richter unterstützte auch das Neonazi-Fanzine »Der Weiße Wolf«. In dessen Ausgabe Nummer 18 aus dem Jahr 2002 erschien ein Vorwort mit dem fett gedruckten Hinweis: »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen 😉 Der Kampf geht weiter…«. Herausgegeben wurde das Heft zeitweise von David Petereit, Landtagsabgeordneter der NPD in Mecklenburg-Vorpommern. BKA-ErmittlerInnen stellten bei ihm später einen »Unterstützerbrief« des NSU sicher.
Der folgende Text ist der GAMMA-Ausgabe 193 entnommen, erschienen Anfang Juli 2012. Den kompletten Artikel inklusive zahlreichen Fotos gibt es hier zum Nachlesen.
Die rechtsterroristische Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ wurde erst möglich durch eine aktive Szene von Helfern und Mitwissern. Sie alle sind Teil eines Neonazi-Netzwerks, das nach wie vor auf Konspirativität bedacht ist. Und nach wie vor heißt ihr Zentrum: Sachsen.
Asservat 23.6.1: Ausschnitt aus der Adressliste des Uwe Mundlos, u.a. mit Kontakten in Chemnitz, Nürnberg und Halle.
Die Tage des NSU waren gezählt, als Beate Zschäpe am 4. November 2011 ihre letzte Reise antrat. Kurz zuvor hatten sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Bankraub in einem Wohnmobil in Eisenach erschossen, umstellt von der Polizei. Erst knapp fünf Tage später wird sich Zschäpe in Jena der Polizei stellen. Was in der Zwischenzeit geschieht, lässt sich nur lückenhaft rekonstruieren.
Fest steht: Zschäpe fährt Bahn. Am 7. November macht sie einen Stopp im sachsen-anhaltischen Halle, Ankunft: 5.50 Uhr. Sie ist über Bremen und Hannover gefahren, will weiter nach Dresden fahren und dann, endgültig, zurück nach Thüringen, wo alles begann. So scheint es unerfindlich, dass Zschäpe ihren letzten freien Tag in Sachsen-Anhalt verbringt. Doch mit der Stadt Halle verbindet den NSU ein Stück Papier.
Postfach 700512 in Halle
Es ist eine Adressliste des Uwe Mundlos, die den Ermittlern von Anbeginn vorliegt. Gefunden wurde sie am 26. Januar 1998, dem Tag, als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt abgetaucht sind. Hätte man diese Liste nicht unbesehen zu den Asservaten gelegt, hätten die Fahnder ahnen können, wohin das Trio unterwegs ist – allein zehn Nummern auf der Liste führen nach Chemnitz. Darunter ist auch Thomas Starke, damals einer der führenden Köpfe der sächsischen „Blood & Honour“-Sektion. Jener Gruppierung, die sich sodann auf Waffensuche für die angehenden Terroristen begibt. Bis 2000 werden die Jenaer in der sächsischen Stadt unbehelligt ausharren, ehe sie nach Zwickau übersiedeln.
Die Adressliste enthält weitere Kader der Neonazi-Szene, darunter Matthias Fischer, heute Anführer des militanten bayrisches Kameradschafts-Verbandes „Freies Netz Süd“. Fischer kommt aus Nürnberg. Zwischen 2000 – der erste Mord – und 2005 wird der NSU hier drei Migranten regelrecht hinrichten.
Interessant ist noch ein weiterer Name auf der Liste: Thomas Richter aus Halle, damals ebenfalls im „Blood & Honour“-Spektrum aktiv. Handschriftlich hatte Mundlos die Postfach-Nummer 700512 vermerkt, dazu eine Festnetz- und eine Handynummer. Sie gehören Richter, der damals in der Szene als „HJ-Tommy“ bekannt gewesen ist. Das Postfach benutzt Richter noch immer, es steht im Impressum seiner Website „Nationaler Demonstrations-Beobachter“. Der Name ist Programm, denn dort sammelt der reiselustige Anti-Antifa-Fotograf etliche Bilder von rechten Aufmärschen, richtet die Kamera aber auch gern auf JournalistInnen.
Dereinst gab Richter dem Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“ (Falschschreibung im Original) ein virtuelles Zuhause und stellte seinen eigenen Webspace („Oikrach“) zur Verfügung. Das wäre längst vergessen, hätte der damalige „Weisse Wolf“-Herausgeber David Petereit im Jahr 2002, Heft 18, nicht ein denkwürdiges Vorwort vorangestellt. Dort fett hervorgehoben ist ein merkwürdiger Gruß: „Vielen Dank an den NSU“. Neun Jahre, bevor die breite Öffentlichkeit vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ Notiz nimmt. Es ist überhaupt die erste öffentliche Erwähnung des NSU.
Petereit ist kein Niemand, sondern heute Abgeordneter der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Und bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei bei ihm einen Brief des NSU. Es handelt sich um ein Anschreiben an Sympathisanten, das vermutlich schon im Jahr 2000 verfasst worden ist. „Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten fortgeführt“, hieß es da. Textbausteine aus dem Brief tauchen später im bekannten „Paulchen Panther“-Bekennervideo auf.
Den abschließenden Satz des Briefes – „Beiliegende Unterstützungen ziehen keinerlei Verpflichtungen nach sich“ – deuten Ermittler heute so, dass der NSU Überschüsse ihrer Überfälle an ausgewählte Kameraden verschickt haben könnte; an Petereits „Weissen Wolf“ spendeten die Terroristen offenbar 2.500 Euro. Der NSU wurde so zum Co-Sponsor der Neonazi-Zeitschrift – neben Thomas Richter. In der Ausgabe 20 des Fanzines finden sich nämlich gleich mehrere Werbeanzeigen für Richters Internetangebote.
Ausgabe 20 ist die letzte Nummer der Zeitschrift, und dort sprachen die Autoren Klartext. In einem sechsseitigen Text wird das Konzept des „leaderless resistance“, des führerlosen Widerstands, empfohlen: „Jene die uns beim Erreichen unserer Ziele nicht unterstützen müssen ausgeschaltet werden“. Der anstehende „Kampf“ sei „eine Angelegenheit von Einzelaktionen“ – eine Angelegenheit konspirativer Zellen. In einem weiteren anonymen Artikel heißt es zu den „Aufgaben einer völkischen und nationalen Jugendbewegung“, man müsse „radikal und für unsere Feinde unerkannt“ agieren, sich zur „entscheidenden Schlacht“ rüsten und womöglich „zu den ****** greifen“. Es geht um Waffen. Die Ähnlichkeiten zur Strategie des NSU sind frappierend.
„Saubere Kameradschaft“ in Südwestsachsen
„Radikal und unerkannt“ wollten auch die Brüder André und Maik Eminger agieren. 2006 lebten beide in Zwickau. Gemeinsam mit vier weiteren Neonazis – darunter der heutige „Freies Netz“-Aktivist und bekennende Hitlerist Tony Gerber – wollten sie eine „saubere Kameradschaft“ aufbauen. „Sauber“ sollte wohl heißen: Keine Säufer, keine Mitläufer, sondern Leute, die es ernst meinen.
Ein früherer Anlauf dazu war die Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE), in der die Eminger-Brüder in den Jahren 2000 und 2001 mitgemischt haben. Im Juli 2000 lud die WBE zu einem Wehrsport-ähnlichen „Marsch“ durch ein Waldstück in Johanngeorgenstadt. Der Einladung folgten neben den Emingers u.a. der NSU-Unterstützer Matthias Dienelt.
Glaubt man übereinstimmenden Presseberichten, so observierte der sächsische Verfassungsschutz diesen eigenartigen Event und machte Fotos von den Teilnehmern. Darunter habe sich eine Person gefunden, die dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos „sehr stark“ ähnelt. Der Verdacht ist bis heute nicht geklärt worden. Auch gibt es bislang keine Erklärung für den irritierenden Umstand, dass zu dem Fahrzeug, dem das eventuelle NSU-Mitglied entstiegen ist, kein Haltereintrag vorlag. Doch ohnehin hatte die Observation keine Folgen, ein Zugriff erfolgte nicht.
Allerdings waren die Emingers als WBE-Rädelsführer damit ins Visier sächsischer Behörden geraten. Das Landesamt für Verfassungsschutz glaubte 2003, dass Maik Eminger Sachsen verlassen habe und irrelevant geworden sei, weil er so häufig in Niedersachsen auf Montage war. Seinen Bruder André passte man jedoch im selben Jahr zu einem „Informationsgespräch“ ab. Mit seinem alten Freundeskreis habe er gebrochen, sagte der mutmaßliche NSU-Helfer den Schlapphüten, auch seine Freundin könne sich nicht mit der rechten Szene identifizieren.
Zwei schlechte Lügen – gut genug, um den Verfassungsschutz zufrieden zu stellen. Denn aus der „sauberen Kameradschaft“ ist zwar nichts geworden, die Kameraden trafen sich 2006 nur einige Male in der Zwickauer Allendestraße 122, damals als „Nazi-WG“ bekannt. Aber in den beiden Folgejahren entstanden am gleichen Ort die „Nationalen Sozialisten Zwickau“ – als Ableger des „Freien Netzes“, mit tatkräftiger Unterstützung des Altenburger Neonazis Thomas Gerlach. Der „Hammerskin“ war offenbar zeitweise mit der NSU-Helferin Mandy Struck liiert, beide kannten sich aus der mittlerweile verbotenen Gefangenen-„Hilfsoganisation“ HNG. Zur neuen FN-Kameradschaft gehörte dann auch Tony Gerber. Und im direkten Umfeld der FN-Gründer Gerlach und Maik Scheffler tauchte der Hallenser Thomas Richter wieder auf.
Nur um die Emingers wurde es still. Im Schlafzimmer von André und Susann Eminger fand die Polizei später eine Spendendose mit der Aufschrift „Nationale Sozialisten Zwickau“. Heute ist bekannt, dass beide den NSU bis zum Schluss aktiv unterstützt haben. Nach André Emingers vorübergehender Festnahme im November 2011 standen seiner Ehefrau sofort Kameraden der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ (NSC) zur Seite, die sich früher – ob Zufall oder nicht – „Chemnitzer Heimatschutz“ nannten. NSC-Köpfe wie Eric Fröhlich – ein Kader des „Freien Netzes“ – standen überdies in engem Kontakt zum Jenaer NSU-Unterstützer und Waffenlieferant Ralf Wohlleben, bevor auch der verhaftet wurde.
Der Neonazi-Aktivist Fröhlich, der sich redlich Mühe gibt, nicht öffentlich aufzufallen, hatte seit spätestes 2000 Kontakte zur sächsischen „Blood & Honour“-Sektion, die sich anfangs um die „Betreuung“ der Untergetauchten gekümmert hatte. Einiges spricht dafür, dass das Bargeld – immerhin mehrere tausend Euro –, das bei Emingers Verhaftung auf dem Gehöft seines Bruders sichergestellt wurde, wiederum von NSC-Aktivisten zur Verfügung gestellt worden war.
Postfächer 101540 und 341133 in Leipzig
Im Rückblick werden mit jedem weiteren Detail die Konturen eines konspirativen Netzwerks deutlicher, das über die Grenzen einzelner Gruppen und Bundesländer hinaus weist. Ausgerechnet Maik Eminger hat darin einen festen Platz. Seit spätestens 2006 trat er als Aktivist der Neonazi-Gruppierung „Schutzbund Deutschland“ auf und entwickelte sich rasch zu einer Schlüsselfigur der Szene.
Der „Schutzbund“ war 2004 in Brandenburg aus der „Bewegung Neue Ordnung“ hervorgegangen, einer ultra-rassistischen Abspaltung von der NPD. Während der „Schutzbund“ vor allem im Norden des Bundeslandes aktiv war, übernahm die betont völkische „Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost Brandenburg“ (GSOBB) das Zepter im Süden. Die GSOBB ist später bekannt geworden als die kürzlich verbotene „Spreelichter“-Gruppe. Der „Schutzbund“ wurde allerdings bereits 2006 verboten, ihm folgte unmittelbar darauf die „Bewegung Neues Deutschland“.
Die Flugblätter der „Bewegung Neues Deutschland“ ähnelten der Propaganda des verbotenen „Schutzbundes“ frappierend. Mit zwei Unterschieden: Die Verteilung geschah nun überregional, die rassistischen Flugschriften tauchten 2006 u.a. in Berlin, Leipzig und Chemnitz auf. Als „Verantwortlicher“ wurde nun der Name Maik Eminger vermerkt sowie das Postfach 101540 in Leipzig. Das Postfach gehörte dem damals einflussreichen „Kameradschaftsführer“ Jens Schober aus Leisnig. Zu einer Zeit, da der Hamburger Neonazi Christian Worch noch regelmäßig „Großaufmärsche“ in Leipzig veranstaltete, die auch regelmäßig blockiert wurden, war Schober Worchs Mann in Sachsen. Mit dem abrupten Ende der Aufmarschserie im Sommer 2007, nachdem die letzte Neonazi-Demonstration „boykottiert“ worden ist, fiel Schober in die Bedeutungslosigkeit und landete in psychiatrischer Betreuung.
Ein Jahr zuvor war Maik Eminger ins brandenburgische Göhlsdorf/Kloster Lehnin gezogen, in Zwickau behielt er einen Nebenwohnsitz. Über die Grenzen der Bundesländer hinweg knüpfte er weiter am rechten Netzwerk, organisierte die Logistik, lagerte Propaganda in einer angemieteten Halle in Damsdorf bei Lehnin. Seine „Bewegung Neues Deutschland“ war organisatorisch nur eine Zwischenstation. Zum Todestag des Hitler-Stellvertreters und verurteilten Kriegsverbrechers Rudolf Heß wurden 2007 Plakate gefertigt, die als Urheber bereits das „Freie Netz“, „Märkisches Infoportal“, „Lausitz Infos“, den „Nationalen Widerstand (NW) Berlin“ sowie die „Spreelichter“ auswiesen. Das Plakat wurde Eminger zugerechnet – es folgte eine Hausdurchsuchung. Im selben Jahr kursierten in mehreren Bundesländern Flyer zum angeblichen „Volkstod“. Das ist seitdem eines der beliebtesten Kampagnenthemen bei Neonazis.
Auch für diese Flyer zeichnete Eminger verantwortlich. Als Kontaktmöglichkeiten waren E-Mail-Adressen für Brandenburg, Potsdam, die Lausitz, Annaberg im Erzgebirge, Burg bei Magdeburg, Leipzig, Delitzsch und Chemnitz angegeben. Unter den letzten drei Adressen waren damals Aktivisten des eben erst gegründeten „Freien Netzes“ erreichbar.
Eminger hatte sich derweil ein neues Postfach zugelegt, wieder in Leipzig, Kennnummer 341133. Eingerichtet wurde das Postfach von einem Verein, der gar keiner ist: einer „Thulegesellschaft e.V.“ Denselben Namen führte eine antisemitische Vereinigung in der Weimarer Republik – die Neuauflage war freilich nicht ins Vereinsregister aufgenommen worden. Das Postfach führte vielmehr zum damaligen Wohnort eines Aktivisten des Leipziger „Freies Netz“-Ablegers („Aktionsbündnis Leipzig“) namens Sebastian Klein in der Dieskaustraße, Stadtteil Großzschocher. Mittlerweile wohnt Klein gemeinsam mit dem Neonazi Falk Freigang in Leipzig-Plagwitz.
Die sächsischen Wurzeln
Die Sachsen waren verlässliche Partner. Wenn Eminger rief, spurte die „Bewegung“ im Freistaat. Im April 2008 versammelten sich an einem Waldgebiet in Cottbus-Sachsendorf etwa 200 Nazis zu einem unangemeldeten „Fackelmarsch“. Dazu war – neben Eminger – eine ganze Autokolonne aus Ostsachsen angereist, insgesamt etwa 50 „Aktivisten“. Unter ihnen befand sich unter anderem Martin Schaffrath, einst führender Kopf der verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ und seit 2009 NPD-Stadrat im ostsächsischen Stolpen. Hinzu gesellten sich Mitglieder des „Freien Netzes Borna-Geithain“, beispielsweise Manuel Rübestahl und Tony Keil. Dieser war 2009 für die NPD in den Bornaer Stadtrat eingezogen. Sein Mandat kann er aber nicht mehr wahrnehmen, er sitzt aktuell wegen einer Körperverletzung im Gefängnis.
Zwischenzeitlich war Maik Eminger erneut umgezogen und wohnt seitdem in Mühlenfließ, Ortsteil Grabow. Dort bewohnt er mit seiner Ehefrau Sylvia ein Gehöft. Nicht nur im Netzwerk der „Freien Kräfte“, auch bei der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) mischte Eminger von dort aus mit. Auf seinem Hof wurden wiederholt „Sonnenwendfeiern“ abgehalten und dazu Nazilieder gegrölt. Ende 2007 war Eminger zudem einer der Mitorganisatoren einer konzertierten Aktion sächsischer Neonazis: In der ersten Dezemberwoche wurden im ganzen Bundesland Hausfassaden mit rechten Parolen beschmiert und mit Plakaten beklebt. Bei einigen öffentlichen Einrichtungen, darunter Schulen, wurden die Schlösser mittels Sekundenkleber blockiert. Insgesamt 65 Sachbeschädigungen zählte die Polizei binnen weniger Tage, hauptsächlich begangen in Ostsachsen sowie Leipzig und Geithain.
In einer Pressemitteilung gab die Polizei zu verstehen, dass ein „extremistischer Hintergrund“ nicht ausgeschlossen werden könne. Tatsächlich trug die Aktionsreihe den Titel „Menschenrecht bricht Staatsrecht“ – ein Ausspruch Adolf Hitlers.
Und so kam zusammen, was zusammen gehört: Als die HDJ 2009 verboten wird, bleibt Eminger der führende Kopf des Potsdamer „Stützpunkts“ der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN). Beim Aufbau dieser Gruppe konnte Eminger auf seine sächsischen Kameraden zählen. Namentlich der FN-Aktivist Tommy Naumann aus Leipzig – er war zwischenzeitlich Anführer des sächsischen JN-Landesverbandes geworden – stand ihm beratend zur Seite. Andere Leipziger wie Istvan Repaczki haben intensive Kontakte in die Region Potsdam aufgebaut.
Als Ende Dezember 2007 vor dem Neuruppiner Landgericht u.a. gegen Maik Eminger wegen volksverhetzender „Schutzbund“-Flugblätter verhandelt wurde, organisierten die „Freien Kräfte Potsdam“ – auch dies eine Eminger-Filiale – eine „Solidaritäts-Kundgebung“ vor dem Gericht. Motto: „Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit für Maik E.“
Unter die Teilnehmer mischten sich „Freies Netz“-Aktivisten aus Leipzig. Und im Leipziger Stadtteil Dölitz wohnt mittlerweile auch Thomas Richter mit seiner Verlobten und wähnt sich in Sicherheit. Im mittlerweile nicht mehr erreichbaren „Thiazi-Forum“ – im Juni kam es zu Hausdursuchungen bei den Betreibern – glaubte er sich unter dem Alias „geheimkult“ zwischenzeitlich gar dem Umsturz nahe: „Wenn wir an der Macht sind, wird dieses nicht möglich sein. Es wird auch unsere Stunde kommen, wo wir nicht mehr die sein werden die geknüppelt werden!!!!“
Seit dem Auffliegen des NSU und etlichen Razzien bei seinen „sauberen Kameraden“ weiß er es besser. Die Einschläge kommen immer näher.
Quelle: GAMMA
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ich finde ihre verfassungen nicht ganz unspekalutiv