HEISE| „Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen“


Marcus Klöckner 29.06.2014

Michael Buback sieht Parallelen zwischen der Aufarbeitung in Sachen NSU und der Aufarbeitung im Mordfall seines Vaters

Gibt es Parallelen zwischen dem Fall NSU („In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen“) und der Aufarbeitung des Mordes an dem von der Roten Armee Fraktion (RAF) 1977 ermordetenGeneralbundesanwalt Siegfried Buback?

Im Mai dieses Jahres meldete sich der Sohn von Siegfried Buback, der sich seit Jahren für die Aufklärung des Verbrechens an seinem Vater einsetzt, in einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. Darin verdeutlichte er: Sowohl im Fall seines Vaters als auch in Sachen NSU gibt es erstaunlich viele Überschneidungen.

Im Gespräch mit Telepolis geht Michael Buback auf die Parallelen ein, er verrät, welche Aussagen von Innenminister Thomas de Maizière ihn schockiert haben, was er von einer Art Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild hält und er spricht an, welche Schritte er von ehemaligen RAF-Mitgliedern für notwendig hält, so dass es zu einer Versöhnung kommen könnte.

Die entscheidende Parallele: das Zusammenwirken des Verfassungsschutzes mit Terroristen oder mit Terroristen nahe stehenden Personen

Vor kurzem haben Sie einen Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, darin sprechen Sie an, dass es Parallelen zwischen dem Karlsruher Attentat (bzw. dem Verfahren gegen Verena Becker) und dem Komplex NSU gibt. Welche Parallelen sehen Sie?

Michael Buback: Die Parallelen zwischen dem Stuttgarter RAF-Verfahren gegen Verena Becker und dem Münchner NSU-Prozess erscheinen mir auffällig: Viele Jahre lang wurde jeweils nicht gegen dringend Tatverdächtige vorgegangen, Akten verschwanden oder wurden vernichtet.

Die wohl entscheidende Parallele ist, dass es ein Zusammenwirken des Verfassungsschutzes mit Terroristen oder mit Terroristen nahe stehenden Personen gegeben hat. Ich befürchte, dass der Wunsch der Angehörigen nach Aufklärung der Morde auch im NSU-Prozess nicht erfüllt werden wird. Die als unmittelbare Täter bezeichneten zwei Männer sind nicht angeklagt und gegen sie kann es keinen Prozess mehr geben, da sie tot sind.

Erstaunlicherweise wurden beide über etwa zehn Jahren nicht wegen der Morde angeklagt, aber nach dem Tode der beiden Männer sind die Ermittler fest überzeugt, dies seien die Täter gewesen. Mich erstaunt diese Annahme auch deshalb, weil meiner Frau und mir von zwei Bundesanwälten erklärt wurde, es sei naiv anzunehmen, dass die Besitzer der Karlsruher Tatwaffe, also Verena Becker und Günter Sonnenberg, bei ihrer Verhaftung vier Wochen nach dem Verbrechen, auch die Karlsruher Täter seien.

Eine solch brisante Waffe werde selbstverständlich von den Tätern an Dritte weitergegeben. Beim NSU-Komplex wird der umgekehrte Schluss gezogen: Hier gelten diejenigen als unmittelbare Täter, bei denen oder in deren Bereich die Tatwaffe gefunden wurde.

Können Sie weitere Beispiele anführen?

Michael Buback: Ich kann mich nicht zu Details äußern, da ich das Stuttgarter Verfahren als Nebenkläger sehr viel besser kenne als das Münchner NSU-Verfahren, von dem ich nur aus der Presse weiß. Die zentrale Parallele – und dies ist wohl des Pudels Kern – erscheint aber klar. Sie liegt im Zusammenwirken des Geheimdienstes mit Terroristen und es gibt wenig Neigung, dies publik zu machen. Es erstaunt dann nicht, dass es in Verbindung mit den RAF- und NSU-Verfahren in Umfang und Zeitpunkt bemerkenswerte Aktenvernichtungen gab.

Die beim BKA gelagerten Spurenakten zum Karlsruher Attentat wurden im Jahre 1994 auf Weisung des Generalbundesanwalts vernichtet. Dabei hatte es im Jahre 1982 die Mitteilung des Verfassungsschutzes an den Generalbundesanwalt gegeben, Stefan Wisniewski sei der Karlsruher Schütze gewesen. Gegen ihn hatte die Bundesanwaltschaft zum Zeitpunkt der Aktenvernichtung jedoch noch kein Ermittlungsverfahren wegen dieses Attentats aufgenommen.

Irritierend ist auch, dass die 1982 übergebene Verfassungsschutzakte mit dieser Information über Wisniewski in der Bundesanwaltschaft verschwunden ist, sodass sie von der Behörde im Jahre 2007 beim Verfassungsschutz angefordert werden musste.

Welche Schlüsse ziehen Sie für sich aus dieser Erkenntnis?

Michael Buback: Die Verbrechens-Aufklärung wird offensichtlich schwer, wenn es ein Zusammenwirken geheimdienstlicher Stellen mit Personen im terroristischen Bereich gegeben hat. Bei Verena Becker geht auch der Senat des Stuttgarter Oberlandesgerichts davon aus, dass sie Informantin des Bundesamtes für Verfassungsschutz war. Bei dieser Sachlage stößt die weisungsgebundene Bundesanwaltschaft an Grenzen.

Es kann dann zwar jahrelang verhandelt werden, aber Kernpunkte bleiben ausgeklammert. Der Stuttgarter Prozess zum Karlsruher Attentat befasste sich mehrfach mit den örtlichen Gegebenheiten des Camps, in dem sich RAF-Terroristen im Jemen aufgehalten hatten. Der Antrag der Nebenklage, einen Lokaltermin am nahe gelegenen Karlsruher Tatort anzusetzen sowie an der Stelle, an der die Täter vom Motorrad in den Fluchtwagen umgestiegen sind, wurde dagegen vom Senat abgelehnt, obwohl dies für die Beurteilung von Zeugenaussagen sehr wichtig gewesen wäre.

Im Falle der NSU-Morde wäre zu fragen, wie durch die Vernehmung von Ferienbekannten und Nachbarn, die keinerlei Nähe zu einem der Tatorte hatten, die Ermittlungen vorangebracht werden können, wenn ein Verfassungsschützer nichts bemerkt hat, der in Kassel zur Tatzeit beim Tatort war und als Mann vom Fach doch Beobachtungen gemacht haben müsste. Wenn Geheimdienste im Spiel sind, kommt man nicht weiter, sagte mir ein kenntnisreicher Beobachter zu Beginn des Stuttgarter Prozesses. Dies wollten meine Frau und ich nicht glauben.

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