Hajo Funke| Das Bundesamt für Verfassungsschutz auflösen. Die Debatte ist eröffnet


Das Bundesamt für Verfassungsschutz auflösen. Die Debatte ist eröffnet

Beide Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag dringen auf eine Auflösung des Bundesamts für Verfassungsschutz in seiner bisherigen Form, auf das Ende des Einsatzes von V-Leuten in der rechten Szene – wie auf eine Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes und auf eine entschiedene Einschränkung der Aufgaben und Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes. Sie fordern, was Konsens im Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU war, einen Neustart der deutschen Sicherheitsarchitektur. Sie fordern die Bundesregierung auf, ihren Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes und damit auch die Erweiterung der Überwachungsaufgaben und Befugnisse der Nachrichtendienste zurückzuziehen. Sie haben damit eine Debatte eröffnet, die mindestens weite Teile dieses Jahres zur Frage des Totalversagens der Sicherheitsbehörden im NSU-Mordgeschehen prägen dürfte.

Die Oppositionsparteien und beträchtliche Teile der Öffentlichkeit ziehen damit die Konsequenzen aus dem Scheitern des Bundesamts für Verfassungsschutz, angemessen aufzuklären und ihrer Kernfunktion als Frühwarnsystem gerecht zu werden. Dies betrifft eine Mammut-Institution, die seit ihrem Beginn eine Spur an Skandalen hinter sich gelassen hat, ohne je inhaltlich, personell und strukturell reformiert worden zu sein. Stattdessen hat sie bis in die jüngste Zeit hinein, ein von jeder rechtsstaatlich vernünftigen und wirksamen Kontrolle befreites Eigenleben geführt – als eine Institution im Ausnahmezustand. Letztendlich ein Staat im Staat. Weder die internen Kontrollen noch die Fachaufsicht, noch die legislative und öffentliche Kontrolle haben dieses Eigenleben beenden können oder wollen.

Dies ist geradezu dramatisch im Fall des NSU-Mordgeschehens und seines Umfelds nachgewiesen worden. Die Nebenklagevertreter haben in Münchener Prozess zum NSU in diesen Tagen zu Recht davon gesprochen, dass der Verfassungsschutz nicht auf dem rechten Auge blind war, sondern zu nahe dran. In der Dokumentation der ARD „VMannland“ ist gezeigt worden, dass V-Leute des Bundes und der Landesämter im Umfeld des NSU aktiv und gewaltfördernd tätig waren. Damit ist das Bundesamt Teil des Problems und nicht seiner Lösung.

Der Versuch der Bundesregierung, diese Institution, die Teil des Problems ist, erst recht in ihrer bisherigen Struktur, ihrem bisherigen Personal und ihrer bisherigen Mentalität, mir nichts dir nichts ohne eine fundamentale Reform dieser Institution an Haupt und Gliedern noch in seiner informationellen und strategischen „Zentralstellenfunktion“ noch  zu stärken, ist nicht nur unverständlich, sondern eine Provokation der Öffentlichkeit. Dies darüber hinaus sogar als Reform darzustellen, gleicht einer Irreführung der Öffentlichkeit und lenkt von zentralen Ursachen des totalen Versagens der Sicherheitsbehörden ab.

Mehr noch: das riesige Problem der V-Leute dadurch bereinigen zu wollen, dass man ihnen Straftaten zugesteht, die sie ganz offensichtlich auch bisher ungestraft begehen durften, ohne dafür belangt zu werden. Ein Beispiel wäre das Wirken des Tino Brandt in Thüringen. Diese Art V-Leute – das hat hinlänglich nicht nur der Thüringer Untersuchungsausschuss, sondern auch der Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU zur Genüge gezeigt – verschärft das Problem des Gewaltrechtsextremismus, statt es zu kontrollieren. Aber auch der Umgang mit den häufig wertvollen Erkenntnissen dieser V-Leute, also dem Nichthandeln zeigt, dass es hier eine dringende Änderung in der Arbeitsweise der Ämter geben muss. Eine gesetzliche Verpflichtung Straftaten aufzuklären und den Strafverfolgungsbehörden alle gewonnenen Erkenntnisse zu übermitteln. Das sorgt erst für einen Schutz der Bürger und seiner Verfassung.

Der Entwurf der Bundesregierung folgt den Wünschen eines von jeder Selbstkritik freien Bundesamts für Verfassungsschutz und seines Präsidenten und trägt die Handschrift des Bundesinnenministers und seines allseits verkündeten Blicks nach vorn, statt nach unten und nach hinten. Das heißt, es ist ein Entwurf, ohne wirklich das Ausmaß der sicherheitspolitischen Katastrophe im Kontext des NSU und des damit verbundenen schwärenden Skandals auch nur ansatzweise an sich heranzulassen. Es ist das Festschreiben des Status Quo, des Staat im Staat. Offenkundig hat der Bundesinnenminister seine Art der Konsequenz aus den Skandalen im vorherigen Amt gezogen: Augen zu und durch – den Blick nach vorn. Statt Konsequenzen aus dem NSU-Skandal zu ziehen, ist der Entwurf geeignet, diesen Skandal zu vertiefen, die Beihilfe der Behörde an den Handlungen des NSU zu legalisieren – ein Freibrief für staatlich legalisierten Rechtsbruch. Der Entwurf sollte zurückgezogen werden.

LB/HF, 24. 4. 2015

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