Hajo Funke: Die Suche nach dem NSU-Trio wurde 2003 durch thüringische Behörden sabotiert


Das mutige Zeugnis des Polizisten Marko Grosa im Erfurter Untersuchungsausschuss

 

Mehrfache Sabotage bei Ermittlungen zur Suche des NSU Trio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durch das LKA in Thüringen.       Zum Erfurter Untersuchungsausschuss vom 9. Januar 2014

Ein Wendepunkt der Aufklärung

Was am 9. Januar2014 im Erfurter Untersuchungsausschuss unter der Leitung von Dorothea Marx erörtert worden ist, ist ein Wendepunkt in der Aufklärung der Ursachen bei dem Versagen der Sicherheitsbehörden, das Trio wenigstens im Jahr 2003 noch zu finden. Dies ist nicht nur den Erinnerungen des damaligen Dezernatsleiters des LKA, Marko Grosa zu verdanken, sondern aller Polizisten einschließlich des damaligen operativen Chefs des LKA, Werner Jakstat.

Denn dieser Tag ist ein entscheidender Beleg dafür, dass niemand, absolut niemand mehr – erst recht nicht mit dem nötigen Nachdruck (Schily) – im LKA ernsthaft nach dem Trio gefahndet hat. Was sich gezeigt hat, ist ein ständig wechselndes Personal in einer Struktur und Mentalität der Verantwortungslosigkeit. Obwohl drei Namen im Sachstandsbericht vom 17. September 2003 in Sachen Trio als verantwortlich genannt sind, hat einer nach dem anderen an diesem Tag sich für diesen Bericht und seinen Inhalt als nicht zuständig erklärt. Nicht der damalige amtierende LKA-Chef Jakstat, der nur unterzeichnet habe, nicht der für den Inhalt verantwortlich genannte Polizist Hackbarth, der betonte, dass er damals überhaupt erst seit zwei Tagen im LKA tätig war und er daher von den Inhalten der vorausgegangenen Maßnahmen nichts wissen konnte. Und auch nicht der schon aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestags bekannte Jürgen Dressler, der irgendwie immer dabei war, – und zwar wie er sagte, weil er nicht mehr dabei war, sondern nur noch seinen Namen hergegeben habe. Er sei schon zuständig für den islamistischen Terrorismus nach den Attentaten auf die beiden Türme in Manhattan gewesen. So konnte und wollte auch Jürgen Dressler sich nicht an den Inhalt des Sachstandsberichts und dessen Zustandekommen  erinnern.

Der Reihe nach betonten mehrere Polizisten, dass sie nur für wenige Wochen oder Monate und mit wechselnden Vorgesetzten eigentlich jeweils nicht oder kaum noch zuständig waren und wenn sie zuständig gewesen sein sollten, sich ohnehin nicht mehr erinnern. Eine organisierte Verantwortungslosigkeit, deren Organisation im einzelnen bisher noch nicht bekannt ist, die aber in ähnlicher Form schon aus früheren Vernehmungen von Beamten in den Sicherheitsbehörden, die dem Innenministerium in Erfurt unterstehen, drastisch beschrieben worden ist (so in der Zusammenfassung des Zwischenberichts des Erfurter UA).

„Kriegen sie nichts raus“

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit dieses Tages stand allerdings die Frage, ob der heutige Präsident des Thüringer Landeskriminalamtes, Werner Jakstat 2003 die Fahndung nach dem Trio blockiert hat. So war das in Report Mainz berichtet worden. Auslöser für die damalige Situation war der Hinweis eines Polizisten, dass Uwe Böhnhardt wohl vor kurzem von einem frühen Kumpel an einer Straßenkreuzung gesehen worden war und man sich dann kurz im Zentrum von Jena getroffen hatte. Der Polizist hatte dies zufällig im Bekanntenkreis mitbekommen und sah sich verpflichtet, dies weiter zu melden. Daraufhin wurde von dem seinerzeitigen Dezernatsleiter Grosa veranlasst, dass zwei Kollegen zur Ermittlung „rausfahren“. Dies geschah am 6. Juni, einem Freitag. Sie besuchten den „Hinweisgeber“ S , der offenkundig seine Aussage vor den Polizisten bestätigte. Während des Tages, an dem die Ermittlung stattfand, hat laut Report Mainz der damalige zuständige Leiter des LKA, Jakstat, den ermittelnden Polizisten bedeutet, dass man nichts rauskriegen solle. Marko Grosa -Polizist aus dem katholischen Eichsfeld, heute 44 Jahre, konfliktfähiger Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Thüringen –  damals noch in Ausbildung und erst 33 Jahre alt – hat sich im Untersuchungsausschuss zum Empfang  einer solchen Weisung bekannt  und nach mehrfachen Nachfragen an den ihn berührenden Kern eines entsprechenden Telefonats, das er entgegengenommen hat, sehr genau erinnert. Zwar könne er sich nicht mehr an den genauen Wortlaut Jakstats in diesem kurzen Telefonat erinnern, aber sehr wohl an die Kernbotschaft. Im ersten Teil habe er gesagt, man solle rausfahren und dem Hinweis auf den  Aufenthaltsort Böhnhardts nachgehen. Im zweiten Teil dieser wenigen Sätze habe er aber dann erklärt, er wünsche nicht, dass diese Ermittlung zu einem konkreten Ergebnis führen: Kriegen Sie da  nichts raus – war die Botschaft.

Dies kam ihm merkwürdig vor, es hat ihn offenkundig irritiert und bis heute verstört. Er habe dann die, die in der Nähe waren, wohl am Schreibtisch seines Zimmernachbarn, Achim Freund, zusammengeholt und die Botschaft zitiert und sich und sie gefragt, was dies eigentlich bedeute. Auf Nachfragen aus dem Untersuchungsausschuss betont er, er sei sich sicher, dass er eine solche oder ähnliche Anweisung nicht ausgeführt hätte. Kollegen, unter anderem Jürgen Dressler, hätten ihm aber damals bedeutet, dass es ähnliche Fälle schon früher gegeben hätte. Der Verfassungsschutz wäre irgendwie bei der Fahndung nach dem Trio beteiligt gewesen. Es habe das Gerücht eines aus dem Ruder gelaufenen Zeugenschutzprogrammes für die drei gegeben . Gewiss, so Grosa, könnten mehrere Personen ebenfalls bezeugen, dass der Anruf Jakstats ihn irritiert habe; vielleicht werden sich noch einige andere daran erinnern, wenn sie sich daran erinnern wollen (vergleiche Zeit-online vom 9. Januar von Sebastian Haak). Da nicht klar ist, wer an diesem informellen Gespräch teilgenommen hat, liegt es nahe, dass ein Teil – so etwa der Polizist Kleimann – sich tatsächlich nicht erinnern kann. Weniger klar ist dies bei Jürgen Dressler. Als ihn der Ausschuss vernahm, hat er sich undeutlich geäußert und vor allem betont, dass er nicht mehr zuständig gewesen sei und sich wohl deswegen nicht mehr erinnere. Als Jakstat – seit 2001 aus Bayern abgeordnet im Landeskriminalamt in Erfurt – befragt wurde, konnte er sich ebenfalls nicht erinnern. Zunächst betonte er, für ein Telefonat habe er gar keine Zeit gefunden an jenem 6. Juni, wie ein überdichter Kalender an diesem Tag zeige, er könne sich das nicht vorstellen. Jedenfalls erinnere er sich nicht an ein solches Gespräch. Er glaube auch, ein solches Gespräch hätte mit dem Abteilungsleiter durchgeführt werden müssen. Es fänden sich keine Belege für ein solches Telefonat. Insofern steht die Aussage von Herrn Grosa gegen ein Nicht-erinnern des Herrn Jakstat und damit der Vorwurf einer Sabotage, dem Hinweis nachzugehen und entsprechend  zu ermitteln, im öffentlichen Raum.

Vorausgegangen war dem ein Bericht von Report Mainz von Mitte Dezember, nach dem es eine eidesstattliche Versicherung gebe, nach der Jakstat vor einer erfolgreichen Ermittlung gewarnt habe. Daraufhin hatte das Innenministerium unter der operativen Leitung des bekannten Ryczko in der ersten Hälfte des Dezember alle infrage kommenden Beamten zu dienstlichen Erklärungen aufgefordert. Diese dienstlichen Erklärungen sprachen davon, dass man sich nicht oder nicht so recht, jedenfalls nicht an ein solches Telefonat erinnere. Auch der Polizist Grosa habe eine ausweichende dienstliche Erklärung abgegeben, wie es heißt. Er hat dazu Stellung genommen und mitgeteilt, dass er sich trotz des enormen Drucks entschlossen habe, sich doch erinnern zu wollen und erwartet, sicherlich von Jürgen Dressler, dass er dies auch tue, obwohl bekannt ist, dass dies bei Jürgen Dressler sehr unwahrscheinlich ist. Nach verläßlichen Quellen (u. a. dem mdr vom 8. 1. 2014) hat sinngemäß Innenminister Geibert selbst vor der versammelten Mannschaft des LKA Mitte Dezember 2013 auf seine Weise autoritären Korpsgeist mobilisiert: Dem, der verraten hat, dem soll die Schamesröte ins Gesicht steigen. – Als ginge es nicht um die Aufklärung eines Kapitalverbrechen, den Morden des NSU und der Rolle der Sicherheitsbehörden.

Im Ergebnis haben wir jedenfalls eine Beschreibung eines Sabotageversuchs der Ermittlungen durch den operativen Chef des LKA vom 6. Juni 2003, die wie Clemens Binninger in der Sendung von Report Mainz sagte, eine neue Dimension bedeuten würde. In anderen Worten: es war nicht nur eine weitere Panne, dass man dem nicht weiter nachgegangen ist, sondern eine Strategie: eine bewusste Sabotage.

Dafür spricht auch, dass es hinsichtlich der Hinweise von Herrn S keine weiteren Aktivitäten zur Auffindung des Trios oder eines aus dem Trio in den folgenden Monaten gegeben hat. Man hätte stattdessen aber – so einhellig der Untersuchungsausschuss – den Verbleib des roten Hyundai von Uwe Böhnhardt klären müssen . Man hätte vor allem den von Herrn S genannten frühen und engen Kumpel von Uwe Böhnhardt, in Jena, Marcel M ohne große Probleme ausfindig machen können. Man hatte Vornamen, Namen und Strasse.

Nichts davon ist in den Akten auffindbar oder durch Vernehmungen von Polizisten, die damit befasst waren, rekonstruierbar. Es geschah offenkundig nichts. Die Zuständigen hatten durch ihre Maßnahmen gezeigt, dass sie die drei nicht mehr finden wollten. Offenkundig warteten sie auf die Verjährung. Den Sachstandsbericht  vom September 2003 hat deswegen konsequenterweise in den Vernehmungen des 9. Januar 2014 niemand inhaltlich verantworten wollen, schon gar nicht der Unterzeichner Jakstat.

Dressler und Eimecke mit kugelsicherer Weste im Jenaer Neubaugebiet auf Suche nach dem Trio?!

Im Laufe dieser historischen Sitzung kam noch eine weitere Maßnahme im Zusammenhang mit der Fahndung nach dem Trio heraus, die es 2003 gegeben habe, deren Umstände dem erzählenden Polizisten, dem im Ruhestand nun wieder in Hessen lebenden Kleimann umgetrieben haben: Mit Dressler und Eimecke seien sie zu einem Neubaugebiet gefahren und hätten sich überraschend für ihn, den dritten, vor dem Hauseingang kugelsichere Westen angelegt – im Gegensatz zu ihnen konnte er dies nicht, weil er von der Gefahr zuvor nicht informiert worden war; Dressler und Eimecke dagegen wußten Bescheid: Dressler und Eimecke waren (eben doch) sehr gut über die Gewaltgefahr von möglicherweise Bewaffneten aus dem Trio und seinem Umfeld informiert – nur nicht der dritte, Herr Kleimann. Dies hat den Ruheständler nicht losgelassen.

Irritierend für viele Untersuchungsausschussmitglieder war auch, dass in einer weiteren Ermittlungsmaßnahme im Jahr 2002 zwar eine Exfrau des Jan Böhnhardt, von der er damals bereits  seit 10 Jahren geschieden war, mit einer TKÜ überzogen wurde, aber der in der gleichen Strasse wohnende Bruder des Uwe Böhnhardt,  Jan Böhnhardt selbst nicht in die Maßnahme einbezogen war.

Marko Grosa erwähnte darüber hinaus einen weiteren Vorfall: er habe anlässlich des massenhaften Versands von CDs im terroristischen Blut und Ehre-Kontext  einen Antrag auf eine TKÜ-Maßnahme gegen Thorsten Heise gestellt. Er wurde zur Klärung dieses Antrags in das Landesamt für Verfassungsschutz beordert und traf völlig überraschend auf eine große Gruppe von Geheimdienstlern, unter anderem auch Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Landesamts Niedersachsen und des Landesamts in Thüringen selbst. Sie bedeuteten ihm, dass dem Antrag nicht stattgegeben werden könne. Er bat dann darum, die offenkundig anderswie beschafften Erkenntnisse womöglich aus anderen Maßnahmen ihm doch mitzuteilen. Dies wurde versprochen – geschah aber nie.

2003. Sabotage und ihre Vertuschung

Insgesamt zeigt dieser Vernehmungstag für das entscheidende Jahr 2003, dass man offenkundig das Trio laufen lassen wollte und Maßnahmen zur Ergreifung nicht mehr betrieb, sondern vielmehr mit der Äußerung des damaligen LKA-Chefs sogar sabotierte. In der Regel geschah die Sabotage – jedenfalls in diesem Jahr – durch Nichtstun, hier aber zusätzlich durch die Anweisung zum Nichtstun. Selbst wenn es diese Anweisung nicht gegeben hätte, entspricht das objektive Ergebnis exakt einer „Findet nichts heraus“-Vorgabe

Natürlich ist es von Bedeutung, wenn nun andere von ähnlichen und vergleichbaren Erfahrungen berichten. Aber auch wenn dies nicht geschieht, ist nun erstmals ein Sachverhalt evident, der beweist, dass das Versagen der Sicherheitsbehörden in Thüringen in jener Zeit organisiert, d.h. bewusst betrieben wurde.

So bewusst, wie das Bundesamt das Trio im gleichen Jahr aus einem gemeinsamen Bericht von BKA und Bundesamt ausweislich der Aussagen des hierfür zuständigen Manns im Bundesamt, eines Herrn Menhorn alias Egerton (Tarnnamen) gestrichen – den Bericht „feinjustiert“ (Bundesamt) – hat. Sie wurden vom Schirm der Verfassungsschützer gelöscht.

Es ist das gleiche Jahr, in dem der Verfassungsschützer des baden-württembergischen Landesamts Günter Stengel von einem Hinweisgeber mit dem Namen Ogertschnik/Erbse/Staufenberg erfährt, dass es eine Terrorgruppe ähnlich der RAF von rechts mit dem Namen „NSU“ gebe, die aus – so der Hinweisgeber – fünf Personen bestehe und zu der ein Mundlos gehöre. Eine Aussage, die der Verfassungsschützer weitergab und die in den folgenden Jahren als irrelevant abgetan wurde. Die Löschung des Archivgedächtnisses und des Gedächtnisses der Verfassungsschützer war 2003 offenkundig ganze Arbeit.

Es ist das gleiche Jahr, in dem ein sehr befreundeter Geheimdienst den Zuständigen mitteilt, dass eine rechte Terrorgruppe in Deutschland unterwegs ist.

Dass alles rauskommt.

Notwendigkeit weiterer unabhängiger Ermittlungen in Untersuchungsausschüssen, Gerichtsprozessen und der Öffentlichkeit

Es ist vor dem Hintergrund des 9. Januar 2014 überfällig, dass man diesem Sich-Versagen nachgeht, auch wenn das zu weiteren Ermittlungen zum Verhalten der Sicherheitsbehörden führt.

Jedenfalls ist der Skandal – zum Skandal einer Mordserie durch gewalttätige Neonazis – die Tatsache von wiederholten Ansätzen eines Staats im Staat, der jenseits des  bestehenden Rechtsstaats unkontrolliert dem Sicherheitsauftrag bewusst nicht  nachgeht. Man muss nun damit rechnen, dass auch andere Vorgänge,  die bisher als Pannen bewertet wurden,  in Wirklichkeit Teile einer bewussten Verhinderungsstrategie gewesen sind.

 

2 Kommentare

  1. […] via hajo funke: Die Suche nach dem NSU-Trio wurde 2003 durch thüringische Behörden sabotiert […]

  2. […] Die Obleute der Fraktionen von Linke, SPD und Grüne im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages haben Innenminister Jörg Geibert (CDU) aufgefordert, den Präsidenten des Landeskriminalamtes, Werner Jakstat, vom Dienst zu suspendieren. Dies müsse geschehen, solange der Vorwurf im Raum stehe, Jakstat habe im Juni 2003 die Fahndung nach dem Terrortrio NSU gezielt zu verhindern versucht (T-Online; Hintergrund hierzu auf hajofunke.wordpress). […]

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