Hajo Funke| Die Todesumstände von Florian Heilig müssen komplett geklärt werden. Die Glaubwürdigkeit der Familie Heilig und der Verlust ihres Vertrauens in die Behörden


Die Todesumstände von Florian Heilig müssen komplett geklärt werden.

Die Glaubwürdigkeit der Familie Heilig und der Verlust ihres Vertrauens in die Behörden

Tod aus Liebeskummer! Das war die Antwort der zuständigen Polizeistellen weniger als 10 h nach dem Verbrennungstod von Florian Heilig am 16. September 2013 am Cannstatter Wasen in Stuttgart.

Auf Grundlage der Einstellungsverfügung des zuständigen Staatsanwaltes Biehl, der diese Verfügung noch während der laufenden Obduktion anordnete, an der er anwesend war, führte die Polizei keine weiteren Todesermittlungen mehr durch. Keine 10 Stunden nach diesem schrecklichen Vorfall. Weder die beabsichtigte Durchsuchung des Zimmers von Florian Heilig, noch die Sicherstellung der kompletten Kommunikationsdaten, einschließlich SMS-Verkehr, noch weitere Ermittlungen zu den Hintergründen. Alles gestoppt, obwohl keinerlei persönliche Erklärung bis dahin gefunden wurde.

Bisher ist die Polizei jeden Beleg für diese These schuldig geblieben.  Das war fahrlässig und ist Ausdruck einer „organisierten Verantwortungslosigkeit“ (Clemens Binninger).

Dementsprechend hat man polizeilicherseits kaum etwas angemessen und vollständig untersucht – weder das Auto noch andere Dinge. Es war ja schließlich „Selbstmord aufgrund von Liebeskummer“.

Die Familie war darüber verzweifelt. Sie wusste es anders. Aber sie wurde nicht angemessen gehört. So ging das eineinhalb Jahre. (Wir haben darüber berichtet. Micha Brumlik und ich haben in der taz die fällige Selbstreinigung der Regierung in Sachen des polizeilichen Versagens in der NSU Mordserie verlangt.) Noch in der EG-Umfeld verkündete der Landesinnenminister: Alles geklärt. Basta. Auch die Enquetekommission brachte nichts Neues,  ehe diese selbst aufgab. (Auch darüber ist ausreichend berichtet worden.)

Dann wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Zunächst schien es so, als wollte er die Position des Landesinnenministers und der ihm untergeordneten Polizei- und Verfassungsschutzdienststellen gewissermaßen im Medium eines Ausschusses verteidigen. Aber das kam nicht gut an –  erst recht nicht, nach dem Vertreter von NSU-Untersuchungsausschüssen: Eva Högl, Clemens Binninger und Dorothea Marx teils von oben herab zur Rede gestellt wurden. Dieses Verhalten erfuhr eine vernichtende Kritik nicht nur in den lokalen Medien.

Die dramatische Wende im Untersuchungsausschuss Anfang März 2015.

Das Versprechen des Vorsitzenden des Untersuchungsausschuss, Wolfgang Drexler auf rückhaltlose Aufklärung.

Dann vor etwa drei bis vier Wochen geschah ein kleines Wunder. Es kam zu einer Wende. Das erste Mal seit dem Auffliegen des NSU, ja eigentlich seit dem Polizistenmord in Heilbronn 2007 gab es ein entwickeltes Interesse im Land, es wissen zu wollen. Dies lag besonders an der Leitung dieses Untersuchungsausschusses, an Wolfgang Drexler.

Eltern und Schwester der Familie waren in dieser Sitzung vom 20. Februar 2015 anwesend. Ich selbst konnte mit anderen für eine ernsthafte kritische Prüfung der Rolle der Polizei und der Rechtsextremen und des sich auftürmenden Drucks gegenüber Florian Heilig werben. Die Familie begann das erste Mal seit dem Verbrennungstod ihres Sohnes ansatzweise ihr Vertrauen in eine Institution zu prüfen. Zwei Wochen später, am 2. März wurden sie zu ihrer eigenen Überraschung ernsthaft angehört und fair befragt. Auch das war zuvor durch das, was man auf den Fluren des Landtags gehört hatte, nicht sichergestellt. Aber die Fragen an Tatjana Heilig, die Schwester von Florian Heilig und an seinen Vater, Gerhard Heilig, waren zu ihrer Überraschung achtsam und genau. Die folgenden Vernehmungen insbesondere der Polizisten, die die Todesnachricht überbracht hatten und des Staatsanwalts Biehl, der die Ermittlungen mit einem Federstrich noch am Todestag beendet hatte, hatten sie erneut schockiert. Entscheidendes entsprach nicht dem, was sie selbst mitgeteilt hatten. Es wurde verzerrt oder falsch berichtet.

Nach einer langen Woche von Abwägungen und informellen Gesprächen entschloss sich die Familie, mit dem Untersuchungsausschuss und seiner Leitung dann zusammenzuarbeiten, wenn geklärt ist, dass das, was sie zur Verfügung stellen würden, nicht der Polizei übergeben wird. Die Angst, diese Dinge könnten „verloren gehen“, war zu groß.

Der Leiter des Untersuchungsausschusses hat dies zugesagt. Erst jetzt war die Familie bereit, mit einer Institution des Rechtsstaats erneut zusammenzuarbeiten und das, was sie hatten und haben, dem Untersuchungsausschuss und nur ihm zur Verfügung zu stellen. Dies ist am Dienstag, dem 17. März, zwei Wochen nach ihrer Anhörung geschehen. Ausdruck einer Bereitschaft der Familie, mit dem Untersuchungsausschuss an der Aufklärung der Todesumstände von Florian Heilig zusammenzuarbeiten. Sie tun dies nach bestem Wissen und Gewissen und sind bereit, auch das, was noch gebraucht wird, insbesondere etwa das in ihrer Verfügung befindliche Auto so schnell es geht dem Untersuchungsausschuss zu überlassen.

 

Ein Abgrund an Versagen der Sicherheitsbehörden.

Die Polizei hat es in einer Mischung von Gleichgültigkeit und Zynismus gewagt, ohne jeden empirischen Beleg der Familie zu erzählen, dass Florian Heilig wegen schlechter Zensuren Selbstmord begangen hat. Als die Familie die Polizei darauf hingewiesen hatte, dass er eher ein Einser-kandidat gewesen sei, verfiel die Polizei auf „Selbstmord aus Liebeskummer“ – erneut ohne jeden Beleg. Sie gaben vor, das Auto untersucht zu haben und die Schlüssel nicht gefunden zu haben.

Sie haben das Auto nicht ordnungsgemäß untersucht. Als das Auto verschrottet werden sollte, hat die Familie darauf bestanden, dass es in ihren Besitz zurückgegeben wird. Es wurde danach an einem geheimen Ort gesichert – in der Hoffnung, dass irgendwann die Mittel dazu bereitständen, es selbst zu untersuchen oder von jemandem ihres Vertrauens untersuchen lassen zu können.

Als klar wurde, dass die Familie mit der Leitung des Untersuchungsausschusses zusammenarbeiten wird, hat die Schwester von Florian Heilig sich entschlossen, das zerstörte Auto zu durchsuchen – und fand u.a. den Schlüsselbund, einen halb verbrannten Kanister-Deckel, eine Pistole, eine Machete, halb verbrannte Teile von Handys. Sie haben u. a. dies dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses hat dies glaubwürdig und umsichtig, am Tag nach der Übergabe der Öffentlichkeit (am 18. März), mitgeteilt. Weitere Nachfragen gehen eher an ihn – oder den Anwalt der Familie. Die Familie hat gute Gründe, ihr Recht auf Privatsphäre zu wahren – wie andere auch.

Und es ist Sache der Polizei und der Sicherheitsbehörden, Konsequenzen zu ziehen – und nun endlich die aufzufinden, die Florian Heilig in den Tod getrieben haben, die ihm mehrfach aufgelauert sind und ihn dabei mehrfach verletzt haben. Gewiss ist dies nicht im Interesse jener Personen, die es bisher verstanden haben, die Ermittlungen, nicht nur im Fall von Florian Heilig, sondern auch im Fall der Ermordung von Michele Kiesewetter, in jeder Form zu unterbinden.  Nun endlich ist das LKA gehalten und gefordert die Todesumstände von Florian Heilig vollständig aufzuklären und zahlreiche Fragen zu beantworten.

Zu klärende Fragen

  • Wer hat im Januar bzw. Februar 2012 Florian Heilig in Mannheim eine schwere Messerstichverletzung zugefügt?
  • Wer ist fünf Tage vor seinem Tod Florian Heilig an seiner Ausbildungsstätte in Geradstetten aufgelauert und hat ihn zusammengeschlagen? Gab es darunter auch „Kroaten“?
  • Wer hat am Sonntagnachmittag (etwa 17.00), kurz vor seinem Tod, ihn angerufen und ihn so in Angst versetzt?
  • Welche Rolle spielen Polizisten, die im Verdacht stehen, mit dem Ku-Klux-Klan in Verbindung gestanden zu haben, in diesem Ermittlungsfall? Eine Formation,  die der Spitzel des Bundesamts für Verfassungsschutz, Corelli und der des Landesamts Baden-Württemberg, Achim Schmid jahrelang gepflegt hat.
  • Gibt es Verbindungen zwischen Polizisten in Heilbronn und anderswo zu Rechtsextremen?
  • Welche Erkenntnisse haben Polizei, Verfassungsschutz oder sonstige Behörden, nicht nur in Baden-Württemberg über terroraffine Netzwerke in Baden-Württemberg, wie etwa den NSS oder andere?
  • Welche Rolle spielen diese Netzwerke auch im Zusammenhang mit der Ermordung von Michele Kiesewetter?
  • Kann das LKA, mit dem Stand der heutigen Kenntnisse, zu 100% ausschließen, dass die „Pannenserie“ während der Ermittlungen, zum Nachteil der Michele Kiesewetter und Martin Arnold, wirklich Zufall waren oder nicht bewußte Handlungen, um eine tatsächliche Aufklärung zu verhindern?
  • Wurde während des mehr als eineinhalbjährigen Kontakts von Florian Heilig zur LKA Gruppe Big Rex kein vernünftiges Protokoll geführt? Wer hat mit ihm kommuniziert, wer hat ihn abgeschöpft? Waren Verfassungsschützer darunter?

Ist der Justizminister des Landes Baden-Württemberg bereit disziplinarrechtliche Vorermittlungen gegen den ehemaligen Staatsanwalt Biehl, wegen des offensichtlichen Fehlverhaltens, aufzunehmen? Und dieses auch der Innenminister gegenüber beteiligten Polizeibeamten und Verfassungsschützern?

Es ist nur zu hoffen, auch um Schlimmeres zu vermeiden, dass neben der bisherigen vorzüglichen Arbeit des Untersuchungsausschuss, die Zuständigen in den Behörden und Ämtern,  endlich ihren Job machen und tun, was ihres Amtes ist.

(Hajo Funke, Montag, den 23. März 2015)