Hajo Funke| Die NSU Staatsaffäre in Baden-Württemberg. In diesen Wochen platzt der Ballon aus Lügen, Verdeckungen und Verstrickungen in Stuttgart auf.


Die NSU Staatsaffäre in Baden-Württemberg. In diesen Wochen platzt der Ballon aus Lügen, Verdeckungen und Verstrickungen in Stuttgart auf.

Wochen zuvor unvorstellbarer Enthüllungen – nun auch von Teilen der Polizei.

NSS und NSU

Der 13. März 2015 hat es in sich: unter der souveränen Leitung Wolfgang Drexlers kommt im Untersuchungsausschuss, der die ganze Wahrheit inzwischen wissen will, heraus: In einem entscheidenden Punkt hat der von der Polizei als Schwätzer mit Räuberpistolen hingestellte und auf den Cannstatter Vasen am 16. September 2013 im Auto verbrannte Florian Heilig die Wahrheit gesagt: es gab (und gibt) die Neoschutzstaffel: NSS. Einer ihrer Akteure trägt „NSS“ als Tattoo an seinem Körper. „Matze“/Matthias K. Aus Neuenstein bei Öhringen. Die „NSS“ habe sich, so Florian Heilig in seinen Vernehmungen gegenüber den Sicherheitsbehörden, mit dem NSUlern der Mordserie in einem Jugendheim in Öhringen Anfang 2010 getroffen. Es gibt dieses Heim an der angegebenen Adresse und man hat sich getroffen.

Das Landeskriminalamt habe erst in den letzten Wochen die Identität von Matze festgestellt. Wer das glaubt, soll es glauben. Entscheidend ist, dass es festgestellt worden ist.

Das Kartenhaus beginnt gerade zusammenzufallen. Die nächsten Aufklärungsschritte

Der NSS habe sich an dem Mord an Michele Kiesewetter beteiligt – eine weitere Aussage von Florian Heilig. Sie ist noch nicht bestätigt worden, aber muss nun in aller Entschiedenheit geprüft werden.

  • Ebenso muss geprüft werden, ob und warum ein bekannter neonationalsozialistischer „Kroate“ (Florian Heilig) ihn in Mannheim mit Messerstichen schwer verletzt hat.
  • Ebenso ernsthaft muss geprüft werden, warum die Whats Apps-Chats nicht einfach abgerufen und gesichert worden sind, die man jederzeit, auch heute noch, sichern kann.  Sie geben womöglich Aufschluss über die Hintergründe, in der Florian Heilig in den Tod getrieben worden ist – etwa in Form eines begleiteten Selbstmords oder wer ihn in den Tod getrieben hat.

  • Wir wollen wissen, ob es Zwei oder mehr gab, die unmittelbar am Tatort waren und sich am Fahrzeug aufgehalten haben und vor allem wieso sie dort waren.

  • Wir wollen wissen, welche Bedeutung es hat, dass Polizisten, die Kontakte zum Ku Klux Klan hatten/haben und womöglich entscheidend an der Aufklärung der Todesumstände des Florian Heilig beteiligt waren, an diesen Ermittlungen überhaupt beteiligt waren, die zuvor in der BFE-Einheit der Michele Kiesewetters tätig waren.

  • Gibt es die überprüfbare Zusage der Leitung des Untersuchungsausschuss, dass mit absoluter Datensicherheit das, was in der Verfügungsgewalt der Familie Heilig sich befindet und an unbekannten Orten, außerhalb ihrer Wohnung, gelagert wird, untersucht wird? Das sollte dann geschehen – was auch immer es ist: von den DNA-Spuren am Auto und dem, was in ihm aufgefunden wird/wurde – bis zu den technischen Geräten, wie dem Notebook des Florian Heilig.

Staatsanwaltschaftsaffäre

Das Verhalten der Zuständigen aus Polizei und gegebenenfalls Verfassungsschutz, vor allem aber aus der Staatsanwaltschaft kann und sollte vom Untersuchungsausschuss systematisch überprüft werden.

Das gilt insbesondere für den Staatsanwalt Biehl, der noch am Todestag Florian Heiligs, während der von ihm begleiteten Obduktion des Leichnams, eine Einstellung des Todesermittlungsverfahrens verfügte, obwohl bis dato weder das Zimmer des Florian Heilig durchsucht wurde, noch es ausführliche Vernehmungen mit den Familienangeghörigen oder der Freundin gab, noch die Telekommunikationsdaten, samt SMS-Verkehr, gesichert wurden. Noch die Ermittlungen der Kriminaltechnik und der Obduktion abgewartet wurde. Dieses bedarf einer diziplinarrechtlichen Überprüfung.

Diese Erkenntnisse aus dem Verfahren zum Nachteil von Florian Heilig müssen auch zu einer erneuten Überprüfung der Umstände der Heilbronner Tat führen. Sind die Zeugen und Aussagen wirklich angemessen bewertet worden. Sind die Umstände einer sehr auffälligen „Dichte“ an Sicherheitsbehörden am Tatort, verschiedener Ämter, mit in die Fallbewertung einbezogen worden? Sind auch die Anhaftungen, zumindest eines Kollegen, des Polizisten Daniel S., der „Kieserwetters BFE-Einheit“ angehörte, an der Kleidung des Martin A. entsprechend berücksichtigt worden?[1]

Herr Biehl ist nun bei der Generalbundesanwaltschaft. Die Generalbundesanwaltschaft geht hartnäckig von dem NSU-Trio als den einzigen Tätern in Heilbronn aus. Demnach darf es für die GBA keine anderen Ermittlungsergebnisse geben. Schon Staatsanwalt Meier-Manoras hat unabhängig voneinander gemachte Zeugenaussagen, die andere mutmaßliche Mittäter gesehen haben, unter anderem blutverschmierte, und entsprechende von den Zeugen veranlasste Phantombilder, in ihrer Bedeutung verworfen und blockiert, obwohl die Polizei mindestens drei dieser Phantombildern veröffentlicht sehen wollte.

Das Verhalten eines Teils der Sicherheitsbehörden in BW – das zeigt die späte Erkenntnis, dass es das gegeben hat, was Florian Heilig erzählt hat, ist so bodenlos und so empörend, dass mir die angemessenen Worte der Beurteilung inzwischen dazu fehlen.

Ich hoffe, dass der Untersuchungsausschuss unter seiner entschiedenen Leitung den Gegendruck der Verschweiger aushält. Es wäre ein entscheidender Dienst an der Demokratie und ihrer Glaubwürdigkeit – und an denen, die unter der Verdeckung und ihren Folgen auch jetzt noch leiden.

(Hajo Funke, Berlin, 14.3.2015)


[1] Inzwischen scheint sich der Aufklärungswille in allen Untersuchungsausschüssen in Sachen NSU zu beschleunigen: in Wiesbaden durch den Willen zur Aufdeckung der Mordumstände an Halit Yozgat und die Ermittlungsblockade durch den Verfassungsschutz und den damaligen Innenminister Bouffier, in Düsseldorf, wo die Umstände der Attentate in der Kölner Propsteigasse und in der Keupstraße sowie nicht zuletzt der Mord in Dortmund (in enger Nähe zum Kasseler Mord) anstehen; inzwischen sehen beträchtliche Teile des Bundestags die Notwendigkeit eines Dritten Untersuchungsausschuss auch und gerade zum Verhalten der Sicherheitsbehörden, um den gegenwärtig sich noch vertiefenden Skandal NSU endlich aufzuklären.

ein Kommentar

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