Hajo Funke| Stunde der Verdunkelung: Der 12. Februar 2014 im Stuttgarter Landtag – Jetzt erst recht: Überfälliger Untersuchungsausschuss in Baden Württemberg


„Verschiebung des Tatsächlichen“ (Hannah Arendt über Lüge und Wahrheit)

            Stunde der Verdunkelung: Der 12. Februar 2014 im Stuttgarter Landtag

       Jetzt erst recht: Überfälliger Untersuchungsausschuss in Baden Württemberg

Der Tag der Präsentation des Berichts der Ermittlungsgruppe Umfeld im baden-württembergischen Parlament ist ein schwarzer Tag für die Demokratie und ihre Transparenz.

Noch während der Bericht der EG Umfeld[1] vom Innenminister und den Obleuten aller Fraktionen des baden-württembergischen Landtags überschwänglich und auch selbstgefällig gefeiert wurde, war den Parlamentariern klar, dass er mit der öffentlichen Vorstellung Makulatur ist. Ich habe selten in der Geschichte des deutschen Parlaments eine hohlere, ja Lügeninszenierung erlebt wie an diesem 12. Februar in dem überfüllten Raum des Innenausschusses in Stuttgart.

(1)Im Vorfeld vor der öffentlichen Präsentation am 12. Februar 2014 wird klar, dass die These von den zwei Tätern in Heilbronn nicht mehr zu halten ist. Dies gilt für den potentiellen Mittäter X, gegen den deswegen Ermittlungen im Auftrag der Generalbundesanwaltschaft geführt werden sollen. Statt anzudeuten, dass es weitere Ermittlungen von Bedeutung gibt, schweigt der Innenminister. Im Bericht der EG Umfeld aber steht, dass es keine Zweifel an der Zwei-Täter-These gibt. Eine bewusste, strategische Lüge gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit. Diese bewusste Unwahrheit hätte man verhindern können, wenn der Innenminister und die Landesbehörden sowie der Generalbundesanwalt ernsthaft auf die Notwendigkeit neuer Ermittlungen im Fall Heilbronn und möglicher Beschuldigungen verwiesen hätte. Dies hätte den Ermittlungen keinen Abbruch getan. Es wäre also möglich gewesen, auch unter Anerkennung aller Geheimhaltungsnotwendigkeiten nicht die glatte strategische Unwahrheit zu sagen und diejenigen wenigen, die weitere Fragen haben, nicht mit dem autoritären Konsens des gesamten Saals zu belächeln und so zu verunglimpfen.

Der überschwänglich gefeierte Bericht akzeptiert schlicht die These von den zwei Tätern in Heilbronn und bestreitet, was noch die SOKO Parkplatz an Hinweisen bietet, dass es vermutlich 4-6 Täter bzw. Mittäter waren, unter anderem die mit blutverschmierten Händen bzw. Kleidungsteilen von der Theresienwiese nach Süden geflüchtet sind. Das gilt auch für die unabhängig voneinander gemachten Phantombilder, die keine Ähnlichkeit mit den beiden vermeintlichen Alleintätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zeigen. D. h., man unterstellt etwas, was so nicht ausermittelt ist, ohne dies nachvollziehbar selbst geprüft zu haben.

(2) Thomas Moser weist darauf hin, dass darüberhinaus eines der Phantombilder (das Phantombild Nummer acht) von Personen, die am Mordtag auf der Theresienwiese gesehen worden sind, eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem früheren Informanten, mit Thorsten O hat. Ein früherer Beamter des Landesamts für Verfassungsschutz hat von diesem Informanten im Jahre 2003 die Information erhalten, dass eine rechtsterroristische Gruppierung mit dem Namen NSU und mit unter anderem der Person Mundlos aktiv sei. Es handelt sich um den Informanten Stauffenberg/Erbse/Thorsten O. Thorsten O war V Mann des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. War Thorsten O am Tattag auf der Theresienwiese in Heilbronn? Obwohl der Bericht die Existenz von Thorsten O einräumt, unterstellt er schlicht ohne weitere Prüfung, dass es keine Ähnlichkeit zwischen Thorsten O und einem der Phantombilder gibt. Dies bleibt unüberprüft, obwohl es eine Überprüfungs- und Ermittlungspflicht der Ermittlungsgruppe Umfeld gibt. Damit bleibt die zu ermittelnde Frage offen, ob es einen (oder mehrere) Informanten der Sicherheitsbehörden am Mordtag in Heilbronn gegeben hat. Sich mit dem nicht nachvollziehen Bescheid des Innenministers und seiner Ermittlungsgruppe zufriedenzugeben, heißt jeden Aufklärungswillen zu begraben. Das kann weder im Interesse der Öffentlichkeit noch des Landesparlaments sein.

Es gibt darüber hinaus Hinweise, dass an anderen Stellen in der Theresienwiese (in der Nähe des Bahnhofs und an einem der südlichen Ausgänge beispielsweise) weitere Dienstnehmer der Landesbehörden womöglich wegen einer parallelen Aktion anwesend waren. Auch darüber wird bis heute nicht berichtet.

(3) Geradezu fassungslos macht die wilde These im Bericht, dass nach vorliegenden Erkenntnissen kein direkter Bezug von KKK-Strukturen in Baden-Württemberg zum NSU bestehe (vergleiche Seite 26 des Bericht). Noch im September 2013 sahen sich die Landesbehörden gezwungen, Akten an den Untersuchungsausschuss des Bundestages hinsichtlich der Rolle und der Aussagen des V-Manns und KKK-Mitgründers Achim Schmid zu übersenden. (Achim Schmid hatte direkten Kontakt zum NSU und wird nicht umsonst in der Maßnahme der Landesbehörden Sachsens „Terzett“ als wesentlicher Informationsträger geführt)

Sie sind bisher erkennbar nicht ausgewertet worden. Achim Schmid, der sich in Deutschland aufhält, hat darüber hinaus einbekannt, dass er hätte angesichts des Zulaufs von Polizisten zu seiner Organisation eine eigene Polizeisektion gründen können. Nachweislich waren auch Mitglieder der Einheit von Kiesewetter und der Nachbar-Einheiten Mitglieder des KKK und vermutlich auch am Tattag in Heilbronn. Es ist daher geradezu die Aufklärungspflicht des Landtags und gegebenenfalls neuer Ermittlungen auf Basis von Strafanzeigen, dass die Rolle der auf mörderischer Gewalt ausgerichteten KKK Ideologie in Polizeieinheiten endlich angemessen aufgeklärt wird. Man wird auch den Gerüchten nachgehen müssen, dass in Einheiten der Bereitschaftspolizei Thor Steinar Kleidung getragen, ausländerfeindliche Parolen gerufen wurden und es offenkundig eine Prügelei zwischen Polizisten und Migranten gegeben hat. Vor allem stellt sich die Frage, die nicht nur für Baden-Württemberg, sondern von internationaler Bedeutung ist, welche Informationsverbindungen zwischen den Rechtsextremen in der Polizeieinheit und den Rechtsextremisten außerhalb um den Tattag herum gegeben hat. Einfach einen Zufallsmord zu unterstellen, ist abenteuerlich, wenn diese Dinge nicht ausermittelt sind.

Es ist unerfindlich, warum die Landesbehörden die Rolle des KKK wiederholt verharmlost und nicht angemessen die Öffentlichkeit informiert haben, auch über ihr eigenes Verhalten nicht. Das gilt auch für die Frage, ob es wie der CDU-Obmann Clemens Binninger im PUA andeutete, womöglich einen Honigtopf, d.h. eine eigene Gründung von Landesbehörden dieses KKK gegeben hat. Es gibt keine angemessene Aufarbeitung der Verstrickung der Polizei, schon gar nicht durch den Bericht der Ermittlungsgruppe Umfeld.

(4) Dreist ist schließlich die Stellungnahme des Berichts zur Zeugenaussage des Onkels der Polizistin Kiesewetter. Immerhin hat dieser unmittelbar nach der Tat in Heilbronn mitgeteilt, dass die Tat etwas mit den „Türkenmorden“ zu tun habe. Es spricht sehr viel dafür, dass er danach von wem auch immer (wie auch andere) bedroht worden ist, seine Aussage zu wiederholen. Sie nun einfach abzutun, zeigt ein abgründiges Ausmaß an Unwillen, weiter zu ermitteln. Es zeigt die Abwehr.

(5) Es ist eine Ungeheuerlichkeit, zu sagen: „Nach den Ermittlungen der EG Umfeld und den Ermittlungen des für das Todesermittlungsverfahren zuständigen Polizeipräsidiums Stuttgart bestehen keine Zweifel, dass es sich um einen Suizid des jungen Mannes gehandelt hat“ (es geht um Florian H). Mindestens muss man den Hinweisen aus Polizeikreisen selbst nachgehen, nachdem dem jungen Mann Gewalt angetan worden ist. Nach Informationen aus Sicherheitsbehörden des Landes ist der junge Mann unter Druck zur Zusammenarbeit gebracht worden, vermutlich schon 2010. Auch hier wird schlicht die Unwahrheit verkündet. Haben die Landesbehörden eine Mitschuld am Tod des Jungen? Haben sie alles getan, wie sie es vorgaben, ihn zu schützen? Und: Gab es – erneut bzw. immer noch – Verstrickungen zwischen Sicherheitsleuten und Rechtsextremen, etwa im bis heute nicht kontrollierbaren Verfassungsschutz? Dies wird zu klären sein.

(6) Für einen Untersuchungsausschuss spricht darüber hinaus, dass eigene rechtsextreme, neonazistische und terroristische Gruppierungen und Formationen, von denen immer wieder die Rede ist, nicht angemessen öffentlich erörtert werden. Das gilt etwa für die Standarte Württemberg.

Akt der Vertuschung

Der Bericht fällt hinter den Stand des Wissens der eigenen Behörden zurück. Damit ist er ein Akt der Vertuschung. Dies gilt für die Mehrtäterschaft in Heilbronn. Dies gilt für den Gründer des KKK, einem bezahlten Informanten des Verfassungsschutzes. Dies gilt für die Verstrickung der Polizei mit den rassistischen KHK K Strukturen, auch in der Polizeieinheit von Michele Kiesewetter. Dies gilt für Beziehung zwischen Personen in Baden-Württemberg und dem NSU. Dies gilt für die Todesumstände des jungen Mannes Florian H.

Angesichts dieses geradezu ungeheuerlichen Ausmaßes an Vertuschung wird gleichzeitig die strategische Bedeutung klar, mit der die Landesbehörden Schweigen durchsetzen wollen. Das wird angesichts der weiteren Enttarnungen, des öffentlichen Drucks und auch der langsam wachsenden Stimmen im Landesparlament, durch einen eigenen Untersuchungsausschuss tatsächlich kompetent zu ermitteln, Akten beiziehen zu können und Zeugen ähnlich einem Gerichtsverfahren vernehmen zu können, nicht mehr lange gelingen.

(H. Funke, 14. 2. 2014)

 

 


[1] Der Bericht der Ermittlungsgruppe Umfeld des Innenministeriums Baden-Württemberg (Bezüge der Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund nach Baden-Württemberg) enthält viel Material und eine Reihe von Hinweisen. Aber er ist dadurch eingestandenermassen begrenzt, dass er das, was das GBA vorgibt, nicht selbst ermitteln kann, darf und will. Zugleich aber sagt dieser Bericht, dass an den Einschätzungen des GBA nicht gezweifelt werden braucht, ohne dies ausweisen zu können, da es ja laut Bericht gar nicht Gegenstand eigener Ermittlungen sein kann. Der Bericht belegt, dass es keinen Aufklärungswillen des Innenministers gibt, sondern dass er darin systematisch ist, dass er jeden Zweifel, jede weitere Nachfrage zu ersticken sucht und so Parlament und Öffentlichkeit irreführt. Der Bericht ist gar keiner, sondern ein Dekret des Frageverbots:

 

2 Kommentare

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  2. Was mir heute wichtig erscheint #345

    Lichterloh: „Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe ›EG Umfeld‹ ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten: Man wiederholt in atemloser Dummheit, was mittlerweilen bundesdeutscher Standard geworden ist: Man habe bis November 2011 nichts von der Existenz…

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